Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 16. Oktober 2017
Thomas Henze
Mathias Hellmann
Maximilian Kall
Bevollmächtigte der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland
Gerichtshof der Europäischen Union
ZUSTELLUNGEN
– Kanzlei –
Bevorzugt per e-Curia oder an:
2925 Luxemburg
Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie
Per e-Curia
Referat EA5
Scharnhorststr. 34 - 37
10115 Berlin
Deutschland
Telefax:
Stellungnahme
In der Rechtssache C-299/17
betreffend das dem Gerichtshof der Europäischen Union vom Landgericht Berlin (Deutsch-
land) vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen in dem dort anhängigen Rechtsstreit
VG Media – Gesellschaft zur Verwertung der
Urheber- und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen mbH
gegen
Google Inc.
nehmen wir namens und in Vollmacht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland wie
folgt Stellung:
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– 2 –
Inhaltsverzeichnis
A. EINLEITUNG .................................................................................................................... 3
B. RECHTLICHER RAHMEN ................................................................................................ 3
I. Unionsrecht ................................................................................................................... 3
II. Deutsches Recht .......................................................................................................... 5
C. SACHVERHALT UND VORLAGEFRAGEN ...................................................................... 6
D. RECHTLICHE WÜRDIGUNG ........................................................................................... 7
I. Zur ersten Vorlagefrage ................................................................................................. 8
1. Vergütungspflicht für die Zugänglichmachung von Presserzeugnissen durch
Suchmaschinen und News-Aggregatoren .................................................................... 8
2. Anwendungsbereich von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie ................................................... 9
a) Keine Vorschrift über den „Zugang“ zu Diensten ................................................. 9
b) Keine Vorschrift über die „Betreibung“ von Diensten ..........................................10
aa) Sinn und Zweck des Notifizierungsverfahrens ..............................................11
bb) Systematische Auslegung der Unterbegriffe der technischen Vorschriften ...12
c) Keine Vorschrift, die speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielt ....12
II. Zur zweiten Vorlagefrage .............................................................................................13
E. ERGEBNIS ......................................................................................................................14
– 3 –
A. EINLEITUNG
1
Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Berlin betrifft die Auslegung von
Art. 1 Nrn. 2, 5 und 11 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen
und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsge-
sellschaft in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 20. Juli 1998 geänderten Fassung (im Folgenden: die Richtlinie)1.
2
Der Gerichtshof hat über die Frage zu entscheiden, ob die Vorschriften des deutschen
Urheberrechtsgesetzes über den Schutz des Presseverlegers, die zum 1. August 2013
in Kraft getreten sind, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.
3
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diese Bestimmungen
keine Vorschrif-
ten betreffend Dienste im Sinne von Art. 1 Nr. 5 in Verbindung mit Nr. 2 und 11 der
Richtlinie sind.
B. RECHTLICHER RAHMEN
I. Unionsrecht
4
Art. 1 Nrn. 2, 5 und 11 der Richtlinie 98/34/EG in der durch die Richtlinie 98/48/EG ge-
änderten Fassung bestimmt:
„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
2. ‚Dienst‘: eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in
der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen
Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.
Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck
– ‚im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne
gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird;
–‚elektronisch erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Ge-
räten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompressi-
on) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am
1 ABl. 1998, L 204, S. 37; ABl. 1998, L 217, S. 18. Gemäß Art. 10 der Richtlinie (EU) 2015/1535 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf
dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesell-
schaft (ABl. 2015, L 241, S. 1) wurde die Richtlinie 98/34/EG aufgehoben. Sie bleibt jedoch zeitlich
auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar.
– 4 –
Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf
optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weiterge-
leitet und empfangen wird;
–‚auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung‘ eine
Dienstleistung, die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anfor-
derung erbracht wird.
Eine Beispielliste der nicht unter diese Definition fallenden Dienste findet
sich in Anhang V.
(…)
5. ‚Vorschrift betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über
den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und
über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer
von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Aus-
schluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer de-
finierten Dienste abzielen.
(...)
Im Sinne dieser Definition
– gilt eine Vorschrift als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft
abzielend, wenn sie nach ihrer Begründung und ihrem Wortlaut insgesamt
oder in Form einzelner Bestimmungen ausdrücklich und gezielt auf die Re-
gelung dieser Dienste abstellt;
– ist eine Vorschrift nicht als speziell auf die Dienste der Informationsge-
sellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder im
Sinne eines Nebeneffekts auf diese Dienste auswirkt.
(...)
11. ‚Technische Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vor-
schriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlä-
gigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für
das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung ei-
nes Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat
oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehalt-
lich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwal-
tungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, In-
verkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung o-
der Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von
Diensten verboten werden. (...)“
5
Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der geänderten Richtlinie 98/34/EG lautet:
– 5 –
„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommis-
sion unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich
nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäi-
schen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche
Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer
Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen
Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus
dem Entwurf hervor.“
II. Deutsches Recht
6
Die Vorschriften des deutschen Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutz-
rechte (Urheberrechtsgesetz) zum Schutz des Presseverlegers lauten:
„§ 87f Presseverleger
(1) Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das aus-
schließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerbli-
chen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt
sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseer-
zeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des
Unternehmens als Hersteller.
(2) Ein Presseerzeugnis ist die redaktionell-technische Festlegung journa-
listischer Beiträge im Rahmen einer unter einem Titel auf beliebigen Trä-
gern periodisch veröffentlichten Sammlung, die bei Würdigung der Ge-
samtumstände als überwiegend verlagstypisch anzusehen ist und die nicht
überwiegend der Eigenwerbung dient. Journalistische Beiträge sind insbe-
sondere Artikel und Abbildungen, die der Informationsvermittlung, Mei-
nungsbildung oder Unterhaltung dienen.
§ 87g Übertragbarkeit, Dauer und Schranken des Rechts
(1) Das Recht des Presseverlegers nach § 87f Absatz 1 Satz 1 ist über-
tragbar. Die §§ 31 und 33 gelten entsprechend.
(2) Das Recht erlischt ein Jahr nach der Veröffentlichung des Presseer-
zeugnisses.
(3) Das Recht des Presseverlegers kann nicht zum Nachteil des Urhebers
oder eines Leistungsschutzberechtigten geltend gemacht werden, dessen
Werk oder nach diesem Gesetz geschützter Schutzgegenstand im Presse-
erzeugnis enthalten ist.
(4) Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen
oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von
Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte
entsprechend aufbereiten. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils 1
Abschnitt 6 entsprechend.
§ 87h Beteiligungsanspruch des Urhebers
Der Urheber ist an einer Vergütung angemessen zu beteiligen.“
– 6 –
C. SACHVERHALT UND VORLAGEFRAGEN
7
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens – die Verwertungsgesellschaft Media GmbH –
nimmt die in den §§ 87f ff. des deutschen Urheberrechtsgesetzes geregelten Leis-
tungsschutzrechte von Presseverlagen gegenüber Suchmaschinenanbietern und ge-
werblichen
Diensteanbietern,
die
Inhalte
entsprechend
aufbereiten
(News-
Aggregatoren), wahr. Die Beklagte Google Inc. betreibt die Suchmaschine Google so-
wie verschiedene weitere Onlineangebote wie Google News.
8
Gestützt auf die ihr von den Verlagen übertragenen Leistungsschutzrechte begehrt die
Klägerin u.a. die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen der
Nutzung von Textausschnitten, Bildern und Bewegtbildern für die Anzeige von Sucher-
gebnissen und Nachrichtenüberblicken seit dem 1. August 2013. Die Beklagte hat hier-
für bislang kein Entgelt an die Klägerin entrichtet.
9
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Beklagte die Leistungsschutzrech-
te der Presseverlage, die von der Klägerin wahrgenommen werden, verletzt, und hält
die Klage deshalb für teilweise begründet. Es stellt jedoch in Frage, ob der Anwend-
barkeit der deutschen Vorschriften über das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers
eine Verletzung der Notifizierungspflicht nach der Richtlinie 98/34/EG in der durch die
Richtlinie 98/48/EG geänderten Fassung entgegensteht.
10
Das vorlegende Gericht stellt vor diesem Hintergrund folgende Fragen zur Auslegung
von Art. 1 Nrn. 2, 5 und 11 der Richtlinie:
„Stellt eine nationale Regelung, die es ausschließlich gewerblichen Betrei-
bern von Suchmaschinen und gewerblichen Anbietern von Diensten, die
Inhalte aufbereiten, nicht aber sonstigen - auch gewerblichen - Nutzern
verbietet, Presseerzeugnisse oder Teile hiervon (ausgenommen einzelne
Wörter und kleinste Textausschnitte) öffentlich zugänglich zu machen, nach
Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der
Normen und technischen Vorschriften eine Regelung dar, die nicht speziell
auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielt,
und, falls dies nicht der Fall ist,
2. stellt eine nationale Regelung, die es ausschließlich gewerblichen Be-
treibern von Suchmaschinen und gewerblichen Anbietern von Diensten, die
Inhalte aufbereiten, nicht aber sonstigen - auch gewerblichen - Nutzern
verbietet, Presseerzeugnisse oder Teile hiervon (ausgenommen einzelne
Wörter und kleinste Textausschnitte) öffentlich zugänglich zu machen, eine
technische Vorschrift im Sinne des Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34/EG des
– 7 –
Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 über ein Infor-
mationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschrif-
ten, nämlich eine verbindliche Vorschrift dar, die die Erbringung eines
Dienstes betrifft.“
11
Mit Beschluss vom 10. Juli 2017 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof eine
Klarstellung übermittelt, wonach Gegenstand der Vorlage die Auslegung der Richtlinie
98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG ist, und zwar auch hinsichtlich der
Auslegung von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie.
D. RECHTLICHE WÜRDIGUNG
12
Zunächst möchte die Bundesregierung den Gerichtshof auf folgende Aspekte hinwei-
sen: Die deutschen Regelungen über das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers
dienen dem Schutz von Presseerzeugnissen und damit der Freiheit und Vielfalt der
Medien.2 Der deutsche Gesetzgeber wollte gewährleisten, dass Presseverlage auch im
Online-Bereich nicht schlechter gestellt werden als andere Werkvermittler wie z. B.
Tonträgerhersteller, Filmproduzenten oder Sendeunternehmen, die nach Art. 3 Abs. 2
Buchst. b bis d der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informations-
gesellschaft3 bereits nach Unionsrecht über das Recht der öffentlichen Zugänglichma-
chung verfügen. Schutzgegenstand ist die wirtschaftliche, organisatorische und techni-
sche Leistung des Presseverlegers als Grundlage für die Entstehung und Verbreitung
journalistischer Angebote.
13
Die Kommission hatte sich während des Gesetzgebungsverfahrens im Februar 2013
bei der Bundesregierung nach einer Notifizierung des Gesetzes erkundigt. Die Bundes-
regierung hatte daraufhin gegenüber der Kommission ihre Rechtsansicht erläutert,
dass die Regelungen über das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers nicht der No-
tifizierungs-Richtlinie unterfallen. Die Kommission hatte das deutsche Gesetzgebungs-
verfahren daraufhin nicht beanstandet.
14
Für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens kommt es nach Ansicht der
Bundesregierung allein auf die Frage an, ob die deutschen Vorschriften über das Leis-
tungsschutzrecht des Presseverlegers Vorschriften betreffend Dienste im Sinne von
2 vgl. Drucksache 17/11470 des Deutschen Bundestages, S. 6.
3 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmoni-
sierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informations-
gesellschaft, ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10–19.
– 8 –
Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie in Verbindung mit Nr. 2 und Nr. 11 dieses Artikels sind. Denn
dies ist die einzige Kategorie technischer Vorschriften im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der
Richtlinie, deren Prüfung im vorliegenden Verfahren in Betracht kommt.4
15
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie in Verbindung
mit Nr. 2 und Nr. 11 dieses Artikels dahin auszulegen ist, dass eine allgemeine urhe-
berrechtliche Bestimmung des nationalen Rechts, nach welcher der Hersteller eines
Presseerzeugnisses (Presseverleger) das ausschließliche Recht hat, das Presseer-
zeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen,
es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte,
keine
Vorschrift betreffend Dienste darstellt, die der Notifizierungspflicht nach Art. 8 dieser
Richtlinie unterliegt.
I. Zur ersten Vorlagefrage
16
Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationa-
le Regelung, die es ausschließlich gewerblichen Betreibern von Suchmaschinen und
gewerblichen Anbietern von Diensten, die Inhalte aufbereiten, nicht aber sonstigen –
auch gewerblichen – Nutzern verbiete, Presserzeugnisse oder Teile hiervon öffentlich
zugänglich zu machen, eine Vorschrift betreffend Dienste im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der
Richtlinie sei oder nach dem letzten Satz des ersten Unterabsatzes dieser Bestimmung
eine Regelung sei, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste
abziele.
1. Vergütungspflicht für die Zugänglichmachung von Presserzeugnissen durch
Suchmaschinen und News-Aggregatoren
17
Wegen der in dieser Hinsicht möglicherweise missverständlichen Formulierung der
Vorlagefrage, möchte die Bundesregierung zunächst darauf hinweisen, dass das Leis-
tungsschutzrecht die Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen durch Suchma-
schinen und News-Aggregatoren nicht verbietet. Die Vorschriften über das Leistungs-
schutzrecht sind keine gesetzlichen Verbotsnormen. Vielmehr räumen sie Pressever-
legern ein privates Ausschließlichkeitsrecht ein.
18
Die Regelung folgt dabei dem im unionsrechtlichen wie auch deutschen Urheberrecht
üblichen Regelungsmodell: Sie räumt dem Berechtigten ein Ausschließlichkeitsrecht
4 vgl. Schlussanträge des Generalanwalts
Maciej Szpunar vom 4. Juli 2017 in der Rechtssache
Uber
France SAS, C-320/16, EU:C:2017:511, Rn. 12.
– 9 –
ein, um so die Verwertung des geschützten Inhalts durch Lizenzierung monetarisieren
zu können. Dabei handelt es sich um das ausschließliche Recht, Presseerzeugnisse
zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt
sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Die Reichweite dieses Aus-
schließlichkeitsrechts ist zudem in zeitlicher und sachlicher Hinsicht begrenzt (vgl.
§ 87g Abs. 2 bis 4 des deutschen Urheberrechtsgesetzes).
19
Soweit das Ausschließlichkeitsrecht reicht, beruht es ausschließlich auf der privatauto-
nomen Entscheidung des Rechtsinhabers, also des Presseverlegers, ob er Dritte von
der Nutzung seiner Presseerzeugnisse ausschließen möchte. Regelmäßig wird er da-
ran interessiert sein, Dritten die Nutzung gegen Zahlung einer entsprechenden Vergü-
tung zu gestatten. Suchmaschinenbetreiber können dann entscheiden, ob sie auf die
Aufnahme der geschützten Leistungen der Presseverleger in den Index der Suchma-
schine verzichten wollen, oder aber sich für die Inanspruchnahme der Leistung ent-
scheiden und hierfür ein Entgelt zahlen.
2. Anwendungsbereich von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie
20
Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie definiert eine Vorschrift betreffend Dienste als eine allgemein
gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genann-
ten Dienste und über deren Betreibung. Hierzu gehören insbesondere Bestimmungen
über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter
Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten
Dienste abzielen.
21
Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich bei den §§ 87f bis 87h des
deutschen Urheberrechtsgesetzes aus folgenden Gründen nicht um Vorschriften be-
treffend Dienste:
a) Keine Vorschrift über den „Zugang“ zu Diensten
22
Die Vorschriften zum Schutz des Presseverlegers betreffen nicht den „Zugang“ zu
Diensten der Informationsgesellschaft im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie. Insbe-
sondere enthalten diese keine Vorschriften, die den Zugang von Nutzern zu Suchma-
schinen oder News-Aggregatoren an Voraussetzungen knüpfen oder sonst regeln wür-
den.
– 10 –
b) Keine Vorschrift über die „Betreibung“ von Diensten
23
Es handelt sich auch nicht um Vorschriften über die „Betreibung“ von Diensten der In-
formationsgesellschaft. Die Vorschriften regeln nicht die Verbreitung, Nutzung
oder Vermarktung eines Dienstes wie einer Suchmaschine. Die Wertschöpfung mit den
betroffenen Dienstleistungen und der Zugang von Nutzern zu diesen Angeboten blei-
ben durch die Regelungen unbeeinflusst.
24
Die Regelungen über das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers betreffen nicht die
Erbringung von Diensten, die Dienste selbst oder die Empfänger von Diensten. Dies
wären die Merkmale, die Art. 1 Nr. 5 Unterabs. 1 beispielhaft für Vorschriften betreffend
Dienste anführt. Diese Merkmale legen die unmittelbare Verknüpfung von nationaler
Regelung und betroffener Dienstleistung oder betroffenem Dienstleistungserbringer
nahe.
25
Vielmehr beeinflussen die Regelungen allenfalls die allgemeinen wirtschaftlichen und
rechtlichen
Rahmenbedingungen
für
Suchmaschinenanbieter
und
News-
Aggregatoren. Sie wirken sich jedoch nicht auf die Dienstleistung selbst und deren
technisches Funktionieren aus.
26
Suchmaschinenanbieter und News-Aggregatoren – wie im Ausgangsverfahren Google
– müssen Lizenzen erwerben, wenn sie bestimmte Presserzeugnisse im Rahmen ihres
Geschäftsmodells verwerten möchten. Dies betrifft nicht das Angebot ihrer Dienstleis-
tung auf dem digitalen Binnenmarkt, sondern lediglich die Frage, welche Daten ihnen
zu welchen Bedingungen zur Zusammenstellung ihres Suchindexes oder ihres Nach-
richtenüberblicks zur Verfügung stehen.
27
Solche lediglich die Rahmenbedingungen einer Dienstleistung betreffenden Vorschrif-
ten fallen nicht unter Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie. Anderenfalls würde deren Anwen-
dungsbereich über den Wortlaut der Richtlinie hinaus ausgedehnt, was angesichts der
Rechtsfolge der Unanwendbarkeit nationalen Rechts bei Verletzungen der Notifizie-
rungspflicht5 nicht vertretbare Rechtsunsicherheiten zur Folge hätte. Auf diese Gefahr
hat auch Generalanwalt
Szpunar in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache
Uber
France SAS hingewiesen und ausgeführt:
„Wenn jede nationale Bestimmung, mit der die Vermittlung rechtswidriger
Tätigkeiten verboten oder geahndet wird, schon deshalb als technische
5 Urteile vom 30. April 1996,
CIA Security International, C-194/94, EU:C:1996:172, Rn. 54, sowie zu-
letzt vom 4. Februar 2016,
Ince, C-336/14, EU:C:2016:72, Rn. 67.
– 11 –
Vorschrift anzusehen wäre, weil diese Vermittlung höchstwahrscheinlich
elektronisch erfolgt, müsste eine Vielzahl geschriebener und ungeschrie-
bener innerstaatlicher Vorschriften der Mitgliedstaaten aus diesem Grund
notifiziert werden. Dies würde zu einer unangemessenen Erweiterung der
Notifizierungspflicht führen, ohne tatsächlich zur Erreichung der Ziele die-
ses Verfahrens beizutragen, das verhindern soll, dass die Mitgliedstaaten
mit dem Binnenmarkt unvereinbare Maßnahmen erlassen, und eine besse-
re Nutzung der Vorteile des Binnenmarkts durch die Wirtschaftsteilnehmer
ermöglichen soll. Stattdessen würde eine solche mit der Unanwendbarkeit
der nicht notifizierten Vorschriften geahndete übermäßige Notifizierungs-
pflicht Gesetzesumgehungen ermöglichen und zu Rechtsunsicherheit auch
in den Beziehungen zwischen Privatpersonen führen.“6
aa) Sinn und Zweck des Notifizierungsverfahrens
28
Für dieses Verständnis spricht die Zielrichtung der Richtlinie: Das Notifizierungsverfah-
ren bei der Kommission soll verhindern, dass die Mitgliedstaaten mit dem Binnenmarkt
unvereinbare Maßnahmen erlassen, und eine bessere Nutzung der Vorteile des Bin-
nenmarkts durch die Wirtschaftsteilnehmer ermöglichen.7 Dies entspricht den im zwei-
ten und dritten Erwägungsgrund festgehaltenen Zielen, insbesondere größtmögliche
Transparenz bei nationalen Regelungen zu schaffen, die sich auf den Binnenmarkt
auswirken können. Mit der Erweiterung der Richtlinie auf Vorschriften, die Dienste der
Informationsgesellschaft betreffen, hat der Unionsgesetzgeber der Bedeutung der
freien Verbreitung dieser Dienste im Binnenmarkt Rechnung getragen.
29
Die im Ausgangsverfahren maßgeblichen Vorschriften des deutschen Urheberrechts-
gesetzes haben jedoch weder unmittelbare Auswirkungen auf die Dienstleistung noch
auf deren grenzüberschreitenden Verkehr im Binnenmarkt. Wie bereits dargestellt, wir-
ken diese sich als allgemeine Rahmenbedingungen allein auf den Zugang von Such-
maschinenanbietern und News-Aggregatoren zu Daten für ihren Suchindex aus.
6 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts
Maciej Szpunar vom 4. Juli 2017 in der Rechtssache
Uber
France SAS, C-320/16, EU:C:2017:511, Rn. 31 (Unterstreichungen hinzugefügt); vgl. auch Schluss-
anträge von Generalanwalt
Michal Bobek vom 7. Juli 2016 in der Rechtssache
M. und S., C-303/15,
EU:C:2016:531, Rn. 62 („Um einer ‚Notifizierungs-Flut‘ im Zusammenhang mit der Richtlinie 98/34
vorzubeugen, sollte eine unkontrollierte Ausweitung des Anwendungsbereichs der „sonstigen Vor-
schriften“ auf den Bereich der Dienstleistungen auf der Grundlage, dass nationale Maßnahmen, die
sich auf die Erbringung von Dienstleistungen beziehen, mittelbare Auswirkungen auf den Handel mit
Erzeugnissen haben können, nicht zugelassen werden.“); vgl. auch Rn. 36 dieser Stellungnahme der
Bundesregierung.
7 Vgl. Urteil vom 4. Februar 2016,
Ince, C-336/14, EU:C:2016:72, Rn. 82.
– 12 –
bb) Systematische Auslegung der Unterbegriffe der technischen Vorschriften
30
Bei systematischer Auslegung der Begriffsbestimmungen des Art. 1 der Richtlinie ist zu
berücksichtigen, dass die Vorschriften betreffend Dienste nach Nr. 5 einen Unterbegriff
der technischen Vorschriften nach Nr. 11 bilden.8
31
Die drei weiteren Unterbegriffe, nämlich technische Spezifikationen nach Nr. 3, sonsti-
ge Vorschriften nach Nr. 4 und mitgliedstaatliche Verbotsvorschriften nach Nr. 11 be-
ziehen sich entweder auf Merkmale von Produkten oder auf Vorschriften, welche die
Zusammensetzung oder Herstellung eines Produktes wesentlich beeinflussen können
(Nr. 4) oder die Erbringung oder Nutzung eines Dienstes verbieten können (Nr. 11).
32
Technische Vorschriften im Sinne der Richtlinie wirken sich also unmittelbar auf das
jeweilige Erzeugnis als solches9 aus, dessen Merkmale oder Anforderungen geregelt
werden. Regelungen über die Rahmenbedingungen, unter denen ein Erzeugnis oder
eine Dienstleistung entsteht, sind hingegen keine technischen Vorschriften im Sinne
der Richtlinie.
33
Die einheitliche Zielrichtung der Richtlinie, zur Gewährleistung des freien Verkehrs von
Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt beizutragen, legt nahe, dass die drei Va-
rianten der technischen Vorschriften einheitlich auszulegen sind. Vorschriften, die nur
die Rahmenbedingungen für die Sammlung von Daten durch Suchmaschinenbetreiber
betreffen, können daher von Art. 1 Nr. 5 nicht erfasst sein.
c) Keine Vorschrift, die speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielt
34
Die deutschen Vorschriften über das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers
zielen
nicht speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft ab.
35
Nach Art. 1 Nr. 5 Unterabs. 5 ist eine Vorschrift nicht als speziell auf die Dienste der
Informationsgesellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder
im Sinne eines Nebeneffekts auf diese Dienste auswirkt.
Das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers könnte allenfalls derartige
inzidente10 Auswirkungen oder Nebeneffekte für Suchmaschinenanbieter
8 Urteil vom 4. Februar 2016,
Ince, C-336/14, EU:C:2016:72, Rn. 70;
Urteil vom 13. Oktober 2016,
M. und S., C-303/15, EU:C:2016:771, Rn. 18.
9 Urteil vom 1. Februar 2017,
Município de Palmela, C-144/16, EU:C:2017:76, Rn. 25.
10 vgl. Schlussanträge des Generalanwalts
Maciej Szpunar vom 4. Juli 2017 in der Rechtssache
Uber
France SAS, C-320/16, EU:C:2017:511, Rn. 33.
– 13 –
oder News-Aggregatoren haben. Die Regelungen wirken sich nicht direkt
auf Dienste der Informationsgesellschaft aus. Nebeneffekte können sich al-
lenfalls aus den privatautonomen Entscheidungen der Rechteinhaber erge-
ben, die ihre Rechte gegenüber solchen Diensten wahrnehmen und Li-
zenzverträge schließen oder hiervon absehen können.
36
Wäre die Einräumung von privaten Ausschließlichkeitsrechten unterschiedlichster
Rechteinhaber notifizierungspflichtig, nur weil solche Rechte auch gegenüber den Be-
treibern von Diensten der Informationsgesellschaft geltend gemacht werden können,
würde dies zu einer unangemessenen Erweiterung der Notifizierungspflicht führen.
Dies brächte erhebliche Rechtsunsicherheiten in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen
mit sich.11
37
An dieser Beurteilung ändert sich auch durch § 87g Abs. 4 Satz 1 des deutschen Ur-
heberrechtsgesetzes nichts. Diese Vorschrift enthält eine Beschränkung des Aus-
schließlichkeitsrechts und bestimmt, dass die öffentliche Zugänglichmachung von
Presseerzeugnissen zulässig ist, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von
Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte aufberei-
ten. Diese Ausnahmevorschrift lässt die Rechtsnatur des insoweit eingeschränkten
Ausschließlichkeitsrechts unberührt. Anders als vom vorlegenden Gericht angenom-
men, führt die Nennung von gewerblichen Anbietern von Suchmaschinen oder gewerb-
lichen Anbietern von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten, als Tatbestands-
merkmal in § 87g Abs. 4 Satz 1 des deutschen Urheberrechtsgesetzes nicht dazu,
dass diese als Adressaten der Regelungen zum Ausschließlichkeitsrecht insgesamt
anzusehen sind. Dies sind vielmehr gemäß § 87f Abs. 1 Satz 1 des deutschen Urhe-
berrechtsgesetzes die Hersteller von Presseerzeugnissen.
II. Zur zweiten Vorlagefrage
38
Die zweite Vorlagefrage hat das Landgericht Berlin nur für den Fall gestellt, dass die
erste Frage zu verneinen ist, es sich bei den §§ 87f bis 87h des deutschen Urheber-
rechtsgesetzes also um eine Vorschrift betreffend Dienste im Sinne des Art. 1 Nr. 5 der
Richtlinie handelt. Nach Auffassung der Bundesregierung besteht deshalb keine Ver-
anlassung zu ihrer Beantwortung durch den Gerichtshof.
39
Die Bundesregierung möchte lediglich darauf hinweisen, dass rein privatrechtliche
Vereinbarungen wie die Einräumung einer Lizenz zur Nutzung eines Presseerzeugnis-
11 vgl. o.g. Schlussanträge in der Rechtssache
Uber France SAS, Rn. 31.