Ref. Ares(2020)7713635 - 17/12/2020
EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, 18.9.2019
C(2019) 6852 final
04329 Leipzig
DEUTSCHLAND
BESCHLUSS DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION NACH ARTIKEL 4 DER
DURCHFÜHRUNGSVORSCHRIFTEN ZU DER VERORDNUNG (EG) NR. 1049/20011
Ihr Zweitantrag auf Dokumenteneinsicht nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
– GESTDEM 2019/3057
Sehr geehrter
,
ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 21. Juli 2019, das am 22. Juli 2019 bei uns
registriert wurde und in dem Sie gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen
Parlaments, des Rates und der Kommission2 (im Folgenden „Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001“) einen Zweitantrag auf Akteneinsicht stellen.
1.
GEGENSTAND IHRES ANTRAGS
In Ihrem Erstantrag vom 5. Mai 2019, der am 24. Mai 2019 registriert wurde und an die
Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien gerichtet war,
beantragten Sie Zugang zu folgenden Dokumenten: „Alle Dokumente zum
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in
sozialen Netzwerken) ..., die die Vereinbarkeit des Gesetzes mit EU-Recht im Hinblick
auf die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die europarechtlichen Vorgaben
im Bereich der ,Dienste der Informationsgesellschaft‘ (E-Commerce-Richtlinie)
überprüfen“3.
1
ABl. L 345 vom 29.12.2001, S. 94.
2
ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43.
3
Der Originalantrag in deutscher Sprache lautet wie folgt: „Alle Dokumente zum
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen
Netzwerken – NetzDG, vom deutschen Bundestag am 1. September 2017 erlassen), die die
Commission européenne, 1049 Bruxelles/Europese Commissie, 1049 Brussel − BELGIQUE/BELGIË. Tel.: +32 229-91111.
Unter diesen Antrag fallen nach Erkenntnis der Generaldirektion Kommunikationsnetze,
Inhalte und Technologien die folgenden Dokumente:
„Notifizierung TRIS 2017/127/D – Deutscher Gesetzentwurf zur
Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ –
aktualisierte
Bewertung
des
Gesetzentwurfs,
26. Oktober
2017,
Az. Ares(2017)5237350 (im Folgenden „Dokument 1“)
In
ihrem
Erstbescheid
vom
17. Juli
2019
gewährte
die
Generaldirektion
Kommunikationsnetze,
Inhalte
und
Technologien
auf
der
Grundlage
der
Ausnahmeregelung des Artikels 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich (Schutz von
Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung) der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
teilweisen Zugang zu diesem Dokument.
In Ihrem Zweitantrag bitten Sie um Überprüfung dieses Standpunkts, und stützen Ihren
Antrag auf eine Reihe von Argumenten. Diese wurden bei meiner Bewertung in den
entsprechenden Abschnitten berücksichtigt.
Die Liste der Dokumente, die bei der Bearbeitung Ihres Erstantrags als Gegenstand Ihres
Antrags ermittelt wurden, wurde von Ihnen zwar nicht angefochten, aber im
Zusammenhang mit dem vorliegenden Antrag wurden folgende weitere Dokumente
ermittelt:
„Notifizierung TRIS 2017/127/D – Deutscher Gesetzentwurf zur
Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ –
Bewertung des Gesetzentwurfs JUST/CNECT, 26. Oktober 2017,
Az. Ares(2017)5237754 (im Folgenden „Dokument 2“);
„Rechtsgutachten“
–
Interessenträgerbeitrag,
5. Mai
2017,
Az. Ares(2017)3481026 (im Folgenden „Dokument 3“).
Am 14. August 2019 haben Sie einen Zweitantrag zu Ihrem weiter gefassten, unter dem
Aktenzeichen GESTDEM 2019/4266 registrierten Antrag gestellt. Sie werden die
betreffenden Dokumente und die entsprechende Bewertung der Europäischen
Kommission im Rahmen dieses Antrags erhalten.
2.
PRÜFUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN IM RAHMEN DER VERORDNUNG (EG)
NR. 1049/2001
Bei der Prüfung eines nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 gestellten Zweitantrags
auf Dokumenteneinsicht überprüft das Generalsekretariat den Erstbescheid der
Vereinbarkeit des Gesetzes mit EU-Recht im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention
sowie die europarechtlichen Vorgaben im Bereich der ,Dienste der Informationsgesellschaft‘
(E-Commerce-Richtlinie) überprüfen“.
2
betreffenden Generaldirektion. Nach Abschluss dieser Überprüfung kann ich Ihnen
mitteilen, dass Ihnen
- auf der Grundlage der Ausnahmeregelung des Artikels 4 Absatz 2 zweiter
Gedankenstrich (Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung) der
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 teilweiser Zugang zu Dokument 2 gewährt wird;
- auf der Grundlage der Ausnahmeregelung des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b
(Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen) der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 teilweiser Zugang zu Dokument 3 gewährt wird.
Bezüglich Dokument 1 muss ich Ihnen leider mitteilen, dass wir aus den nachstehend
dargelegten Gründen den Erstbescheid der Generaldirektion Kommunikationsnetze,
Inhalte und Technologien, mit dem Ihnen auf der Grundlage der Ausnahmeregelung des
Artikels 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
teilweiser Zugang zu dem angeforderten Dokument gewährt wurde, bestätigen müssen.
2.1. Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung
Nach Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
müssen „[d]ie Organe ... den Zugang zu einem Dokument [verweigern], durch dessen
Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde: ...“, ... Gerichtsverfahren und
Rechtsberatung, ..., es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an
der Verbreitung“.
In seinem Urteil in der Rechtssache T-84/03 (Turco)4 hat das Gericht erster Instanz5
betont, dass die in Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahmeregelung zwei unterschiedliche Interessen schützt:
Gerichtsverfahren und Rechtsberatung6. Im vorliegenden Fall stützt sich die
Verweigerung der zurückgehaltenen Teile des angeforderten Dokuments auf die
Notwendigkeit, die Rechtsberatung zu schützen.
Der Begriff der Rechtsberatung sowie die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung zum
Schutz der Rechtsberatung wurden von den Gerichten der Europäischen Union ausgelegt.
In der Tat hat das Gericht in seinem Urteil in der Rechtssache T-755/14 (Herbert Smith
Freehills)7 entschieden, dass es sich bei Rechtsberatung um eine „Beratung hinsichtlich
einer Rechtsfrage handelt, und zwar unabhängig davon, nach welchen Modalitäten diese
Beratung erfolgt“.8 Wie vom Gerichtshof ausgeführt, ist die Ausnahmeregelung zum
Schutz der Rechtsberatung so zu verstehen, dass sie das Interesse eines Organs schützen
4
Urteil des Gerichts Erster Instanz vom 23. November 2004, Maurizio Turco/Rat, T-84/03,
ECLI:EU:T:2004:339.
5
Derzeit das Gericht.
6
Turco/Rat, siehe Fußnote 4, Rn. 65.
7
Urteil des Gerichts vom 15. September 2016, Herbert Smith Freehills/Europäische Kommission,
T-755/14, ECLI:EU:T:2016:482.
8
Siehe Fußnote 4, Rn. 47.
3
soll, Rechtsgutachten anzufordern und freie, objektive und vollständige Stellungnahmen
zu erhalten.9
In Ihrem Zweitantrag bestreiten Sie die Anwendbarkeit der oben genannten
Ausnahmeregelung mit der Begründung, dass das Dokument 1 ein Verfahren betreffe,
das abgeschlossen worden sei.
Die von Ihnen gewünschten Dokumente wurde im Rahmen des Transparenzverfahrens
gemäß der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen
Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft10 erstellt.
Im Einklang mit dieser Richtlinie meldeten die deutschen Behörden den Entwurf des
Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken bei der
Europäischen Kommission an. Die entsprechende Notifizierung wurde unter der
Nummer TRIS 2017/127/D registriert.
Die Dokumente 1 und 2 wurden nach der Notifizierung durch die deutschen Behörden zu
rein internen Zwecken von Bediensteten der Generaldirektion Kommunikationsnetze,
Inhalte und Technologien und der Generaldirektion Justiz und Verbraucher erstellt.
Dokument 2 enthält eine auf Referentenebene vorgenommene vorläufige rechtliche
Bewertung der Vereinbarkeit des deutschen Gesetzentwurfs mit dem Unionsrecht
und/oder der EU-Charta der Grundrechte. Dokument 1 enthält eine aktualisierte Fassung
der vorläufigen rechtlichen Analyse zur Vorbereitung eines technischen Treffens
zwischen den zuständigen Dienststellen der Europäischen Kommission und Vertretern
des deutschen Justizministeriums.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Rechtsberatung im Rahmen eines
Verwaltungsverfahrens erfolgte, nämlich der Notifizierung eines Entwurfs einer
technischen Vorschrift gemäß Artikel 5 der Richtlinie (EU) 2015/1535 durch einen
Mitgliedstaat, und sich nicht auf einen spezifischen Legislativvorschlag bezog. Wie das
Gericht eingeräumt hat, kann die Rechtsberatung im Rahmen von Verwaltungsverfahren
unter Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/200111
fallen.
Daher beziehen sich die Dokumente 1 und 2 auf Rechtsberatung im Sinne des Artikels 4
Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001.
Die Freigabe der zurückgehaltenen Teile dieser Dokumente würde der Öffentlichkeit
vorläufige interne Überlegungen zum Gesetzentwurf zugänglich machen. Das
Rechtsgutachten wurde kurzfristig erstellt und entspricht nicht dem endgültigen
Standpunkt des Organs. Angesichts des vorläufigen Charakters der Rechtsberatung, der
9
Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juli 2008, Königreich Schweden und Maurizio Turco/Rat, C-39/05 P
und C-52/05 P, ECLI:EU:C:2008:374, Rn. 42.
10 ABl. L 241 vom 17.9.2015, S. 1.
11 Urteil des Gerichts Erster Instanz vom 9. September 2008, MyTravel Group plc/Kommission,
T-403/05, ECLI:EU:T:2008:316, Rn. 123-125.
4
begrenzten Zahl ihrer Empfänger und der kurzen Frist, in der sie erstellt wurde, bin ich
der Ansicht, dass ein uneingeschränkter Zugang zu diesen rechtlichen Erwägungen das
Interesse des Organs an einer Rechtsberatung und einer freien, objektiven und
umfassenden Beratung beeinträchtigen würde.
Die Offenlegung solcher vorbereitenden Rechtsauskünfte würde vielmehr die
Kommission in ihren Möglichkeiten einschränken, nach der Übermittlung eines Entwurfs
einer technischen Vorschrift durch einen Mitgliedstaat eine fundierte Entscheidung zu
treffen, da sie dann nicht mehr die Gelegenheit hätte, Empfehlungen ihrer Dienststellen
einzuholen, um ihren endgültigen Standpunkt zu Entwürfen von Rechtsakten der
Mitgliedstaaten auszuarbeiten. Diese dienststellenübergreifenden Konsultationen sind
zwar nicht obligatorisch, sind aber nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des
Notifizierungsverfahrens gemäß der Richtlinie (EU) 2015/1535, auch im Rahmen der
bilateralen Gespräche mit dem betreffenden Mitgliedstaat.
Wenn die unkenntlich gemachten Teile der Dokumente 1 und 2 vollständig freigegeben
würden, wäre die Europäische Kommission zudem einem unangemessenen Druck von
außen ausgesetzt. Es würden ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Reaktionen
entstehen, die die Bereitstellung einer freien, objektiven und umfassenden
Rechtsberatung in Bezug auf die Überwachung des nationalen Rechts erschweren
würden. Angesichts des sensiblen Charakters der Bekämpfung illegaler Online-Inhalte,
der Wahrscheinlichkeit weiterer Notifizierungen durch die Mitgliedstaaten und des
Interesses der verschiedenen Interessenträger, ein für sie vorteilhaftes Ergebnis zu
erzielen, bin ich der Ansicht, dass dieses Risiko nach vernünftigem Ermessen absehbar
und nicht rein hypothetischer Art ist.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Offenlegung dieser Teile die Position der
Europäischen Kommission bei künftigen legislativen Maßnahmen untergraben könnte. In
der Tat könnte der vorläufige Charakter der betreffenden Rechtsberatung im
Widerspruch zu umfassender politischer und technischer Arbeit stehen, die in mögliche
künftige Legislativvorschläge in damit zusammenhängenden Bereichen wie etwa dem
geplanten „Gesetz über digitale Dienste“ einfließen soll. Dies würde somit dazu führen,
dass der Inhalt des Dokuments von der Öffentlichkeit missverstanden wird.
Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass die Offenlegung der zurückgehaltenen
Teile der Dokumente 1 und 2 den Schutz der Rechtsberatung nach Artikel 4 Absatz 2
zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 beeinträchtigen würde.
Folglich ist der Zugang zu den unkenntlich gemachten Teilen dieser Dokumente auf
dieser Grundlage zu verweigern.
2.2. Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen
Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) 1049/2001 verpflichtet die Organe,
„den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung … der Schutz der
Privatsphäre
und
der
Integrität
des
Einzelnen,
insbesondere
gemäß
den
Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Schutz personenbezogener Daten,
beeinträchtigt würde“, zu verweigern.
5
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil in der Rechtssache C-28/08 P (Bavarian Lager)12
entschieden‚ dass bei einem Antrag auf Einsicht in Dokumente, die personenbezogene
Daten enthalten, die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und
zum freien Datenverkehr13 (im Folgenden „Verordnung (EG) Nr. 45/2001“) in vollem
Umfang anwendbar wird.
Bitte beachten Sie, dass die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 durch die Verordnung (EU)
2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum
Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die
Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und
zur
Aufhebung
der
Verordnung
(EG)
Nr. 45/2001
und
des
Beschlusses
Nr. 1247/2002/EG14 (im Folgenden „Verordnung (EU) 2018/1725“) mit Wirkung vom
11. Dezember 2018 aufgehoben wurde.
Für die Auslegung der Verordnung (EU) 2018/1725 ist jedoch nach wie vor die
Rechtsprechung zu der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 maßgeblich.
In dem oben genannten Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass Artikel 4 Absatz 1
Buchstabe b
der
Verordnung
(EG)
Nr. 1049/2001
„verlangt, dass etwaige
Beeinträchtigungen der Privatsphäre oder der Integrität des Einzelnen stets anhand der
Unionsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten, insbesondere der …
[Datenschutzverordnung] geprüft und beurteilt werden.“15
Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2018/1725 sind personenbezogene Daten
„alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person
… beziehen“.
In der Rechtssache C-465/00 (Rechnungshof) hat der Gerichtshof bestätigt, „dass es
grundsätzlich nicht in Betracht kommt, berufliche Tätigkeiten … vom Begriff des
Privatlebens auszunehmen“.16
Das Dokument 3 enthält personenbezogene Daten wie Nachnamen, Vornamen,
handschriftliche Unterschriften und andere Informationen, anhand deren Mitarbeiter
Dritter identifiziert werden können. Bei den Namen17 der betroffenen Personen und
anderen Daten, aus denen die Identität dieser Personen abgeleitet werden kann, handelt
es sich eindeutig um personenbezogene Daten im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 der
Verordnung (EU) 2018/1725.
12 Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2010, Europäische Kommission/The Bavarian Lager Co. Ltd (im
Folgenden „Urteil Europäische Kommission/The Bavarian Lager“), C-28/08 P, ECLI:EU:C:2010:378,
Rn. 59.
13 ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.
14 ABl. L 205 vom 21.11.2018, S. 39.
15 Rn. 59 des o. g. Urteils in der Rechtssache Europäische Kommission/The Bavarian Lager.
16 Urteil des Gerichtshofs vom 20. Mai 2003, Rechnungshof u. a./Österreichischer Rundfunk u. a.,
C-465/00, C-138/01 und C-139/01, ECLI: EU:C:2003:294, Rn. 73.
17 Rn. 68 des o. g. Urteils in der Rechtssache Europäische Kommission/The Bavarian Lager.
6
Nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2018/1725 „werden
personenbezogene Daten an in der Union niedergelassene Empfänger, die nicht Organe
oder Einrichtungen der Union sind, nur übermittelt, wenn … der Empfänger nachweist,
dass die Übermittlung der Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse
liegenden Zweck erforderlich ist, und der Verantwortliche in Fällen, in denen Gründe für
die Annahme vorliegen, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Person
beeinträchtigt werden könnten, nachweist, dass die Übermittlung der personenbezogenen
Daten für diesen Zweck verhältnismäßig ist, nachdem er die unterschiedlichen
widerstreitenden Interessen nachweislich gegeneinander abgewogen hat.“
Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und die Verarbeitung im Sinne des
Artikels 5
der
Verordnung
(EU)
2018/1725
rechtmäßig
ist,
dürfen
die
personenbezogenen Daten übermittelt werden.
Der Gerichtshof hat in der Rechtssache C-615/13 P (ClientEarth) entschieden, dass das
Organ die Notwendigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten nicht selbst prüfen
muss.18 Dies ergibt sich auch aus Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU)
2018/1725, wonach die Notwendigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten vom
Empfänger nachzuweisen ist.
Nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2018/1725 muss die
Europäische Kommission die weiteren Voraussetzungen für die rechtmäßige
Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann prüfen, wenn die erste Voraussetzung
erfüllt ist, d. h. wenn der Empfänger nachgewiesen hat, dass die Übermittlung der Daten
für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich ist. Nur in
diesem Fall muss die Europäische Kommission prüfen, ob ein Grund für die Annahme
vorliegt, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden
könnten, und falls dem so ist, die Verhältnismäßigkeit der Übermittlung der
personenbezogenen Daten für diesen Zweck nachweisen, nachdem sie die
unterschiedlichen widerstreitenden Interessen nachweislich gegeneinander abgewogen
hat.
In Ihrem Zweitantrag haben Sie keine Argumente vorgebracht, die belegen, dass die
Übermittlung der Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck
erforderlich ist. Die Europäische Kommission muss daher nicht prüfen, ob Grund zu der
Annahme besteht, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Personen
beeinträchtigt werden könnten.
Unbeschadet der obigen Ausführungen gibt es Grund zu der Annahme, dass die
berechtigten Interessen der betroffenen Personen durch die Offenlegung der
personenbezogenen Daten in den Dokumenten beeinträchtigt würden, da die reale und
nicht nur hypothetische Gefahr besteht, dass eine solche Offenlegung den Schutz ihrer
Privatsphäre beeinträchtigen und sie unerwünschten externen Kontakten aussetzen
würde.
18 Urteil
des
Gerichtshofs
vom
16. Juli
2015,
ClientEarth/Europäische
Behörde
für
Lebensmittelsicherheit, C-615/13 P, ECLI: EU:C:2015:489, Rn. 47.
7
Bei den handschriftlichen Unterschriften in Dokument 3 handelt es sich um biometrische
Daten, bei denen die Gefahr besteht, dass ihre Offenlegung die berechtigten Interessen
der betroffenen Personen beeinträchtigen würde.
Abschließend stelle ich deshalb fest, dass die personenbezogenen Daten gemäß Artikel 4
Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 nicht freigegeben werden
können, da nicht nachgewiesen wurde, dass eine solche Freigabe für einen im
öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich ist, und es keinen Grund zu der
Annahme gibt, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Personen durch die
Offenlegung der betreffenden personenbezogenen Daten nicht beeinträchtigt würden.
3.
ÜBERWIEGENDES ÖFFENTLICHES INTERESSE AN DER FREIGABE
Von der Ausnahmeregelung nach Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrick der
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 ist abzusehen, wenn ein überwiegendes öffentliches
Interesse an der Verbreitung besteht. Ein solches Interesse muss erstens öffentlich sein
und zweitens den durch die Freigabe verursachten Schaden überwiegen.
Nach einschlägiger Rechtsprechung muss der Antragsteller zum einen nachweisen, dass
ein öffentliches Interesse besteht, das gegenüber den Gründen für die Ablehnung der
betreffenden Dokumente schwerer wiegt, und zum anderen genau darlegen, in welcher
Weise die Offenlegung der Dokumente dazu beitragen würde, den Schutz dieses
öffentlichen Interesses in dem Maße zu gewährleisten, dass der Grundsatz der
Transparenz Vorrang vor dem Schutz der Interessen hat, die die Ablehnung begründen.19
In Ihrem Zweitantrag erklären Sie: „Die Europäische Kommission verweist auf das
Netzwerkgesetz in derzeit laufenden Gesetzgebungsinitiativen (wie der Verordnung zur
Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte) und auf Überlegungen zu
neuen Gesetzen (wie dem Gesetz über digitale Dienste). Daher wäre es hilfreich, wenn
die Öffentlichkeit diese Vorschläge prüfen würde, um die damaligen Überlegungen zum
NetzDG zu erfahren. Somit liegt ein überwiegendes Interesse im Sinne der Verordnung
Nr. 1049/2001 vor“.20
Nach sorgfältiger Prüfung der oben genannten Argumente bin ich zu dem Ergebnis
gekommen, dass diese allgemeinen Erwägungen, auch wenn sie auf ein gewisses
Interesse an dem betreffenden Thema hindeuten, nicht unter Beweis stellen, dass die
Öffentlichkeit unbedingt Zugang zu den unkenntlich gemachten Teilen der in Rede
stehenden Dokumente haben muss.
19 Urteil des Gerichts vom 9. Oktober 2018, Anikó Pint/Kommission, T-634/17, ECLI:EU:T:2018:662,
Rn. 48; Urteil des Gerichts vom 23. Januar 2017, Association Justice & Environment, z.s/Kommission,
T‑ 727/15, ECLI:EU:T:2017:18, Rn. 53; Urteil des Gerichts vom 5. Dezember 2018, Falcon
Technologies International LLLC/Kommission, T-875/16, ECLI:EU:T:2018:877, Rn. 84.
20 Der Originalantrag in deutscher Sprache lautet wie folgt: „die Kommission sich in derzeit laufenden
Gesetzeinitiativen (wie bspw. die Terrorist Content Regulation) und Überlegungen für neue Gesetze
(wie bspw. den Digital Services Act) auf das NetzDG bezieht. Es wäre deshalb für die öffentliche
Erwägung dieser Vorschläge hilfreich, die Überlegungen zum NetzDG von damals zu kennen. Es
besteht somit ein überwiegendes Interesse im Sinne der Verordnung 1049/2001“.
8
Aus Ihren Argumenten geht nicht ausreichend hervor, dass der Transparenzgrundsatz im
vorliegenden Fall eine besondere Dringlichkeit aufweisen würde, die gegenüber den
Gründen für die Verweigerung des vollständigen Zugangs zu den angeforderten
Dokumenten schwerer wiegen könnte. Wie in Abschnitt 2.1 erläutert, enthalten die in
Rede stehenden Dokumente ein rein internes Rechtsgutachten, das den endgültigen
Standpunkt der Europäischen Kommission zum Entwurf des Rechtsakts nicht
widerspiegelt.
Darüber hinaus möchte ich betonen, dass die angeforderten Dokumente im Rahmen eines
Verwaltungsverfahrens erstellt wurden und keinen spezifischen Legislativvorschlag
betreffen, bei dem der Gerichtshof eine umfassendere Transparenz zugesteht.21 Die
Tatsache, dass sich der Entwurf des deutschen Gesetzes auf eine Frage bezieht, zu der die
Europäische Kommission eine Gesetzgebungsinitiative ergreifen kann, reicht nicht aus,
um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass das angeforderte Dokument für einen
bestimmten Legislativvorschlag erstellt wurde.
In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen komme ich zu dem Schluss, dass die von
Ihnen vorgebrachten Argumente nicht belegen, wie die Verbreitung der Dokumente 1
und 2 konkret zum Schutz öffentlicher Interessen beitragen würde, die schwerer wiegen
würden als das nach Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 geschützte Interesse.
Ferner weise ich darauf hin, dass Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001
nicht
die Möglichkeit vorsieht, gegen die darin
genannte
Ausnahmeregelung ein überwiegendes öffentliches Interesse geltend zu machen.
4.
TEILWEISE FREIGABE
Gemäß Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung (EG) 1049/2001 habe ich die Möglichkeit
einer weiteren teilweisen Freigabe der betreffenden Dokumente geprüft.
Aus den oben genannten Gründen kann jedoch kein sinnvoller teilweiser Zugang gewährt
werden, ohne dass die in den Abschnitten 2.1 und 2.2 dargelegten Interessen
beeinträchtigt würden.
21 Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2010, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau GmbH,
C-139/07 P, ECLI:EU:C:2010:376, Rn. 60; Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2010,
Kommission/The Bavarian Lager Co. Ltd, C-28/08 P, ECLI:EU:C:2010:378, Rn. 56-57 und 63.
9