Ref. Ares(2014)2779179 - 25/08/2014
Date de réception
:
25/08/2014
Übersetzung
C-62/14 - 23
Schriftliche Erklärungen
Rechtssache C-62/14*
Schriftstück eingereicht von:
Königreich Spanien
Übliche Bezeichnung der Rechtssache:
Gauweiler u. a.
Eingangsdatum:
11. Juni 2014
* Verfahrenssprache: Deutsch.
DE
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
MINISTERIUM FÜR
STAATSSEKRETARIAT
AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN
FÜR DIE EUROPÄISCHE UNION
UND ZUSAMMENARBEIT
Abogacía del Estado ante el Tribunal
de Justicia de la Unión Europea
ERKLÄRUNGEN DES KÖNIGREICHS SPANIEN
IN DER RECHTSSACHE C-62/14
GAUWEILER
AN DEN GERICHTSHOF
DAS KÖNIGREICH SPANIEN,
vertreten durch Miguel Sampol Pucurull, Eva Chamizo Llatas und Alejandro
Rubio González, Abogados del Estado, als Bevollmächtigte, ist mit
Zustellung über e-Curia einverstanden und reicht gemäß Art. 23 des
Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union
innerhalb der dort vorgesehenen Frist nachstehende
Erklärungen ein:
[Or. 2]
INHALTSVERZEICHNIS
I.- SACHVERHALT ............................................................................................... 3
II.- RECHTLICHER RAHMEN .............................................................................. 6
III.- ERKLÄRUNGEN ZU DEN VORLAGEFRAGEN ........................................ 8
III.1.- Vorab: Zur Unvereinbarkeit eines Verfahrens, wie es in
der Vorlagefrage dargestellt ist, mit dem Vertrag .......................................... 8
III.2.- Erklärungen zur ersten Vorlagefrage: Unzulässigkeit der
Vorlagefrage ..................................................................................................... 12
III.3.- Erklärungen zur zweiten Vorlagefrage .............................................. 13
a) Die Ausgestaltung und Definition der Geldpolitik der
Union in den Verträgen. Die Möglichkeit, „unkonventionelle“
Maßnahmen zu treffen, und ihre Prüfungsparameter ............................. 14
b) Gegenstand des OMT-Programms, Geeignetheit und
Erforderlichkeit des Programms ................................................................ 18
c) Verstoß gegen das in Art. 123 AEUV verankerte Verbot der
monetären Finanzierung ............................................................................. 21
d) Untersuchung der Merkmale des Programms .................................. 23
D.1) Konditionalität ................................................................................. 23
2
GAUWEILER U. A.
D.2) Selektivität ........................................................................................ 24
D.3) Ankauf von Staatsanleihen der Programmländer
zusätzlich zu Hilfsprogrammen der EFSF oder des ESM
(Parallelität) .............................................................................................. 24
IV.- ANTWORT AUF DIE VORLAGEFRAGEN ............................................... 25
I.- SACHVERHALT
1. Die Vorlagefragen stellen sich im Rahmen mehrerer beim deutschen
Bundesverfassungsgericht anhängiger Verfassungsbeschwerden und
Organstreitverfahren. Verschiedene deutsche Staatsangehörige und eine
Bundestagsfraktion stellen in diesen Verfahren die Frage, ob die deutsche
Regierung und der Bundestag hinsichtlich einer Ankündigung des Rates der
Europäischen Zentralbank (im Folgenden: EZB) über die Festlegung
bestimmter technischer Merkmale der Outright-Geschäfte des Eurosystems
an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen tätig hätten werden müssen. Es
geht um die Merkmale des sogenannten Outright-Monetary-Transactions-
Programms (Programm betreffend geldpolitische Outright-Geschäfte; im
Folgenden: OMT-Programm).
[Or. 3]
2. Im nationalen Verfahren stützen sich die Kläger auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu den Ultra-vires-Akten der Europäischen
Union, die in mehreren Entscheidungen entwickelt wurde.
3. Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind eine Reihe
tatsächlicher Fragen zu berücksichtigen. Die Turbulenzen an den
Finanzmärkten, die 2007 begannen und sich nach dem Konkurs von
Lehmann Brothers im Jahr 2008 verstärkten, weiteten sich zu einer
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise aus. Die Risikowahrnehmung
erhöhte sich drastisch.
4. Die Krise ergriff eine große Zahl von Finanzmärkten und ließ sie
zusammenbrechen: Der Bankenmarkt funktionierte nicht mehr, und die
Geldmärkte zersplitterten.
5. Seit 2010 übertrug sich die finanzielle Instabilität auf die Märkte für
Staatsanleihen in der Eurozone und verteuerte die Finanzierung einiger
Mitgliedstaaten auf dem Markt bzw. machte sie unmöglich. Ein
Schlüsselelement der Krise in der Eurozone war die Störung der
geldpolitischen Transmissionsmechanismen, die sowohl im Hinblick auf die
hergebrachten Mechanismen der intertemporalen Arbitrage als auch ihre
3
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
Auswirkungen auf die an Banken, Familien, Unternehmen und Staaten
weitergegebenen Zinssätze nicht mehr ordnungsgemäß funktionierten.
6. Die Transmissionskanäle, über die die Wirkungen der Geldpolitik
transportiert wurden und die bis dahin stabil waren, wurden, wie das
Direktorium der EZB1 einräumte, beeinträchtigt. Die Änderungen des
grundlegenden Instruments der Geldpolitik, des Interventionszinssatzes,
wurden nicht mehr u. a. über den Kreditkanal auf die Zinskurve für
Staatsanleihen und die privaten Vermögenswerte übertragen, so dass die
Geldpolitik nicht mehr ihre üblichen Auswirkungen auf die Zinssätze hatte,
zu denen sich private und öffentliche Akteure finanzieren konnten.
7. In Antwort auf die Finanzkrise reagierten u. a. die Federal Reserve Bank, die
EZB, die Bank of England und die Bank of Japan von Anfang an mit als
konventionell bezeichneten geldpolitischen Maßnahmen, vornehmlich der
Senkung der Zinssätze. Viele dieser Banken ergriffen vor dem Hintergrund
der Finanzkrise auch (als
credit easing [Kreditlockerung] bezeichnete)
unkonventionelle Maßnahmen, die auf die Aufrechterhaltung des
Funktionierens der Kreditmärkte und die Wiederherstellung der
Transmissionskanäle der Geldpolitik gerichtet waren.
[Or. 4]
8. Darüber hinaus begannen, als die Zinssätze Niveaus nahe ihrer Untergrenze
(zero lower bound [Null-Prozent-Untergrenze]) erreichten, viele
Zentralbanken, durch den Ankauf öffentlicher wie privater Vermögenswerte
die sich im Umlauf befindliche Geldmenge stark zu erhöhen (das sogenannte
quantitative easing [quantitative Lockerung]).
9. Nach neueren Untersuchungen des IWF2 wurden mit diesen
unkonventionellen Maßnahmen die geldpolitischen Ziele in einem Zeitraum
von nur sieben Monaten weitgehend erreicht, und sie waren zum Zeitpunkt
der schwersten finanziellen Turbulenzen besonders effizient. Das
ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte wurde umfassend
wiederhergestellt, und die Gefahr des Eintritts extremer Vorfälle hat sich
signifikant verringert.
10. Die EZB handelte in ähnlicher Weise. Nach dem Zusammenbruch von
Lehmann Brothers senkte die EZB beispielsweise den Zinssatz für die
wesentlichen Finanzierungen. Sie ergriff verschiedene unkonventionelle
geldpolitische Maßnahmen wie die Einführung eines Programms zum
1 González-Páramo, J. M., Mitglied des Direktoriums der EZB,
Closing remarks at the
colloquium: Monetary policy in unconventional times, Frankfurt am Main, 16. Mai 2012,
[http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2012/html/sp120516_1.en.html].
2
International Monetary Fund,
Unconventional Monetary Policies − Recent Experience and
Prospects, 18. April 2013.
4
GAUWEILER U. A.
Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen
(covered bonds), eines
Programms für die Wertpapiermärkte
(Securities Market Programme oder
SMP) und die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte
(Long Term
Refinancing Operations oder
LTRO) oder die Ankündigung des
OMT-Programms.
11. Wegen des Ausmaßes der Finanzkrise musste die EZB über die
konventionelle Geldpolitik, die sich des Instruments der Zinssätze bediente,
hinausgehen. Um die Ziele der Geldpolitik erreichen zu können, muss
bereits
ein flüssiger und effizienter
geldpolitischer
Transmissionsmechanismus existieren. Nur wenn die Transmission
ordnungsgemäß funktioniert, haben geldpolitische Entscheidungen wie die
Entscheidungen über den Zinssatz die beabsichtigten Auswirkungen auf die
Preisstabilität.
12. Die sogenannten unkonventionellen Politiken der EZB richteten sich auf die
Wiederherstellung der Mechanismen, über die die Geldpolitik übertragen
wird, deren Funktionsweise während der Krise ernsthaft beeinträchtigt war:
Es handelte sich um außerordentliche Maßnahmen, die auf drei
Marktsegmente gerichtet wurden, die für die Ausbreitung der Auswirkungen
der geldpolitischen Entscheidungen grundlegend sind: den Bankenmarkt,
den Markt für gedeckte Schuldverschreibungen und den Markt für
öffentliche Schuldtitel. Hätte die EZB die Probleme auf diesen
Marktsegmenten nicht angegangen, hätte sie ihren Auftrag nicht
ordnungsgemäß erfüllt.
13. Zu Beginn des Sommers 2012 führten die Befürchtungen hinsichtlich eines
Zerbrechens des Euro zu großen Spannungen auf den Finanzmärkten,
insbesondere auf den Märkten
[Or. 5] für Staatsanleihen, die ein
wesentliches Bindeglied bei der Preisbildung für andere Finanzinstrumente
wie Bank- und Unternehmensanleihen darstellen. Die Risikoaufschläge für
die Staatsanleihen verschiedener Euroländer erreichten ein Niveau, das nach
verschiedenen Untersuchungen über dasjenige hinausging, das aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Grundlagen gerechtfertigt gewesen wäre3. Ebenso
ließen sich starke Verzerrungen bei kurzfristigeren Verpflichtungen
feststellen. Nur ein Teil dieser Risikoaufschläge lässt sich auf die Sorge an
den Märkten hinsichtlich der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen
zurückführen, denn ihr schneller Anstieg während des ersten Halbjahrs 2012
ging nicht mit einer entsprechenden Verschlechterung der wirtschaftlichen
Grundlagen dieser Länder einher. Gleichzeitig erhöhte sich das Risiko einer
Ausweitung auf weitere Länder (wie sich bei der Abkoppelung und
Erhöhung der Risikoaufschläge der meisten Länder der Zone gegenüber
3 Es liegen spezifische Studien der EZB vor, die dies beweisen, wie die im Monatsbulletin
der EZB für Mai 2014 veröffentlichte Studie mit dem Titel „The Determinants of Euro area
sovereign bond yield spreads during the crisis“.
5
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
Deutschland zeigte), was auf das Bestehen systemischer Risiken, die nicht
auf bestimmte Länder beschränkt waren, hinwies.
14. Vor diesem Hintergrund beschränkte sich die EZB im September 2012 auf
die Ankündigung der operativen Merkmale der neuen unkonventionellen
Maßnahme: das OMT-Programm mit dem Ziel der Gewährleistung einer
ordnungsgemäßen Transmission der Geldpolitik und des einheitlichen
Charakters dieser Politik in der Eurozone. Das vorlegende Gericht hat
eingeräumt, dass das Programm nicht in Gang gesetzt wurde. Jedoch hatte
seine bloße Ankündigung Auswirkungen im Hinblick auf die Verbesserung
der Transmission der Geldpolitik4.
II.- RECHTLICHER RAHMEN
15. Art. 3 Abs. 4 EUV bestimmt:
„Die Union errichtet eine Wirtschafts- und
Währungsunion, deren Währung der Euro ist.“
16. Zur Wirtschafts- und Geldpolitik bestimmt Art. 119 AEUV Folgendes:
„(1) Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Artikels
3 des Vertrags über die Europäische Union umfasst nach Maßgabe der
Verträge die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen
Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem
Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem
[Or. 6] Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem
Wettbewerb verpflichtet ist.
(2) Parallel dazu umfasst diese Tätigkeit nach Maßgabe der Verträge und
der darin vorgesehenen Verfahren eine einheitliche Währung, den
Euro, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen
Geld- sowie Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der
Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine
Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer
offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen.
(3) Diese Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union setzt die Einhaltung
der folgenden richtungweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise,
gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen
sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz.“
17. Art. 123 AEUV sieht wiederum Folgendes vor:
„(1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen
Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im
4 Vgl. z. B. die Untersuchung auf S. 81 f. des Monatsbulletins der EZB für Mai 2014.
6
GAUWEILER U. A.
Folgenden als ‚nationale Zentralbanken‘ bezeichnet) für Organe,
Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen,
regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-
rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen
Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso
verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen
durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen
Zentralbanken.
(2) Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in
öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen
Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung
von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.“
18. Art. 125 Abs. 1 AEUV lautet:
„(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der
Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen
Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen
Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder
öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für
derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der
gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame
Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet
nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen
oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-
rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen
Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats
und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt
unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die
gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.“
[Or. 7]
19. Art. 130 AEUV lautet:
„Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des
ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf
weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch
ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen
oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder
anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen
oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten
verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die
Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der
7
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu
beeinflussen.“
20. Das Protokoll Nr. 4 des Vertrags enthält die Satzung des Europäischen
Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (im
Folgenden: ESZB-Satzung). Ihr Art. 2 lautet:
„Nach Artikel 127 Absatz 1 und Artikel 282 Absatz 2 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union ist es das vorrangige Ziel des ESZB,
die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des
Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine
Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des
Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union
beizutragen. Das ESZB handelt im Einklang mit dem Grundsatz einer
offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter
Einsatz der Ressourcen gefördert wird, und hält sich dabei an die in Artikel
119 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union genannten
Grundsätze.“
21. In Art. 18.1 der ESZB-Satzung ist schließlich Folgendes festgelegt:
„Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben
können die EZB und die nationalen Zentralbanken
−
auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige
Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere
sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen
von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder
entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen;
−
Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen [Or. 8]
Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende
Sicherheiten zu stellen sind.
18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigenen Offenmarkt-
und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu
gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu
denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen.“
III.- ERKLÄRUNGEN ZU DEN VORLAGEFRAGEN
III.1.- Vorab: Zur Unvereinbarkeit eines Verfahrens, wie es in der
Vorlagefrage dargestellt ist, mit dem Vertrag
22. Zunächst ist von der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs
auszugehen, nach der die Verträge ein vollständiges System von
8
GAUWEILER U. A.
Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen haben, das die Kontrolle der
Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der europäische Richter
betraut wird, gewährleisten soll, entweder unmittelbar über eine
Nichtigkeitsklage oder mittelbar über das Vorabentscheidungsersuchen.
23. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen
der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 263 AEUV Handlungen der
Union von allgemeiner Geltung nicht unmittelbar anfechten können, die
Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher
Handlungen entweder inzident nach Art. 267 AEUV vor dem Unionsrichter
oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese
Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen
feststellen können (vgl. Urteil Foto-Frost, C-314/85, EU:C:1987:452,
Rn. 20), zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen[5].
24. Geht man für die Zwecke des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267
Buchst. b AEUV davon aus, dass es sich bei der Ankündigung der EZB um
eine Handlung eines Organs handelt, würde diese Handlung jedenfalls
Durchführungsmaßnahmen der nationalen Zentralbanken erforderlich
machen. Folglich müssten die Bürger oder Unternehmen, die die Gültigkeit
in Frage stellen wollen, dies im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach
Art. 263 AEUV oder im Rahmen einer Vorabentscheidungsfrage, die sich in
einem
[Or. 9] gerichtlichen Verfahren in einem Mitgliedstaat betreffend
seine nationalen Durchführungsmaßnahmen stellt, tun.
25. Obwohl der Gerichtshof im Rahmen der Vorabentscheidung zu Fragen des
Sachverhalts oder des nationalen Rechts, die in die Zuständigkeit der
nationalen Gerichte fallen, keine Stellung nimmt, kann er als Ausgangspunkt
für seine Auslegung bestimmte Aspekte des nationalen Rechts
berücksichtigen, wenn sie für die Anwendung des Unionsrechts besonders
nützlich sind. Im vorliegenden Fall dürfte es angesichts der Besonderheiten
des im Vorabentscheidungsersuchen dargestellten Verfahrens und der
Folgen und Auswirkungen eines möglicherweise stattgebenden Urteils auf
nationaler Ebene erforderlich sein, diesen Umstand zu berücksichtigen.
26. Insbesondere wird im Vorabentscheidungsersuchen darauf hingewiesen, dass
eine Anwendung der auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zurückgehenden Lehre von den Ultra-vires-Akten verschiedene
Unterlassungs- und Handlungspflichten deutscher Staatsorgane und
insbesondere der deutschen Gerichte auslösen würde[6].
5 Neben anderen können die Urteile Telefónica/Kommission (C-274/12 P, EU:C:2013:852,
Rn. 27 bis 29), und Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C-583/11 P,
EU:C:2013:625, Rn. 93), angeführt werden.
6
Insbes. Rn. 44 f. des Vorabentscheidungsersuchens.
9
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
27. Der Gerichtshof musste von Anfang an die Auswirkungen des europäischen
Rechts auf das innerstaatliche Verfassungsrecht berücksichtigen. Der
Gerichtshof hat im Urteil Simmenthal eine Reihe von Prinzipien entwickelt,
unter denen die Notwendigkeit, den Vorrang des europäischen Rechts zu
schützen, hervorzuheben ist. In dem Urteil wurde auch ausgeführt, dass jede
Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-,
Verwaltungs- oder Gerichtspraxis mit den in der Natur des Unionsrechts
liegenden Erfordernissen unvereinbar wäre, die dadurch zu einer
Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem
für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis
abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles
Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften
auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit
der europäischen Normen bilden[7].
28. Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass Art. 267 AEUV
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, mit denen ein
Zwischenverfahren zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit nationaler
Gesetze eingeführt wird, soweit die Vorrangigkeit dieses Verfahrens zur
Folge hat, dass sowohl vor der Übermittlung einer Frage der
Verfassungsmäßigkeit an das mit der Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit
[Or. 10] von Gesetzen betraute nationale Gericht als auch gegebenenfalls
nach Erlass der Entscheidung dieses Gerichts zu der betreffenden Frage alle
anderen nationalen Gerichte an der Wahrnehmung ihrer Befugnis oder der
Erfüllung ihrer Verpflichtung gehindert sind, dem Gerichtshof Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen[8].
29. In neuerer Zeit wurde in einer anderen Rechtssache, in der das Verhältnis
zwischen verfassungsrechtlichen Normen und Verfahren mit dem
europäischen Recht aufgezeigt wurde, daran erinnert, dass das im
innerstaatlichen Verfassungsrecht vorgesehene Verfahren zur
Gewährleistung der Umsetzung dieser Grundsätze nicht bewirken darf, dass
die Befugnis des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Richters, seine
Aufgabe zu erfüllen, die darin besteht, ein im Widerspruch zum Unionsrecht
stehendes nationales Gesetz unangewendet zu lassen, beseitigt, ausgesetzt,
geschmälert oder aufgeschoben wird[9].
30. Ein System der präventiven verfassungsrechtlichen Kontrolle, wie es in dem
dem Gerichtshof vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen dargestellt ist, ist
nicht mit den Art. 263 und 267 AEUV vereinbar und würde die Struktur der
Verträge hinsichtlich der Rechtmäßigkeitskontrolle der Handlungen der
Organe nachhaltig verändern.
7 Urteil Simmenthal (106/77, EU:C:1978:49, Rn. 22).
8
Urteil Melki und Abdeli (C-188/10 und C-189/10, EU:C:2010:363, Rn. 53 bis 57).
9
Schlussanträge von Generalanwalt Bot vom 2. April 2014, A (C-112/13, EU:C:2014:207,
Nr. 65).
10
GAUWEILER U. A.
31. Nach Auffassung des Königreichs Spanien würde ein solches präventives
System das gesamte Rechtsmittelsystem der Verträge sowie die Aufgaben,
die die Verträge den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof zuweisen, in
Frage stellen. Diese Aufgaben sind wesentlich für die Wahrung der Natur
des durch die Verträge geschaffenen Rechts[10].
32. Erstens stellt es, indem es auf interner Ebene eine direkte Klage gegen die
vermeintliche Gültigkeit einer europäischen Vorschrift ermöglicht, das in
Art. 263 AEUV geregelte System der Klagen bezüglich der Gültigkeit von
Handlungen der Union in Frage; dadurch werden die Voraussetzungen für
die Klagebefugnis geändert. Diese Voraussetzungen für die Klagebefugnis
sind, wie sich der in Rn. 23 angeführten Rechtsprechung entnehmen lässt,
eng. Deutlich wird dies beispielsweise an einem Vergleich zwischen der
Entscheidung des Gerichts, mit dem eine im Zusammenhang mit dem
OMT-Programm erhobene Klage für unzulässig erklärt wurde[11], und der
Zulässigkeit der Infragestellung der Gültigkeit dieses Programms auf
innerstaatlicher Ebene.
33. Ein nationales Verfahren, wie es im Vorabentscheidungsbeschluss
beschrieben ist, zuzulassen, wäre dasselbe, wie einzuräumen, dass die
Klagebefugnis für die Infragestellung der Gültigkeit einer Handlung der
Union über das nach Art. 263 AEUV Zulässige hinaus erweitert werden
kann. Dieser Umstand würde darüber hinaus die notwendige Einheitlichkeit
bei der Anwendung und
[Or. 11] Auslegung, die nach den Verträgen dem
Gerichtshof obliegt, in Frage stellen. Tatsächlich könnten nur in den
Mitgliedstaaten, die wie Deutschland ein Verfahren einführen, das
demjenigen ähnlich ist, das dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, Bürger
Handlungen der Union mit der Begründung, ihre Staaten müssten beim
Gerichtshof eine Direktklage erheben, unmittelbar anfechten. Dies, obwohl
eine von denselben Bürgern direkt beim Gerichtshof erhobene Klage, die die
Nichtigerklärung dieser Handlungen zum Ziel hat, für unzulässig erklärt
würde.
34. Zweitens stört das im Vorabentscheidungsbeschluss geschilderte
innerstaatliche Verfahren das dem Rechtsmittelsystem der Union durch das
Vorabentscheidungsverfahren verliehene Gleichgewicht. Da die Befugnis
von Privatpersonen, Handlungen der Union beim Gerichtshof direkt
anzufechten, eingeschränkt ist, eröffnet Art. 267 AEUV das Recht, die
Gültigkeit von Handlungen der Union bei den Gerichten, die über die
nationalen Maßnahmen zur Durchführung dieser Handlungen entscheiden,
in Frage zu stellen.
10 Gutachten 1/09 vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 85).
11
Beschluss des Gerichts vom 10. Dezember 2013, von Storch u. a./EZB (T-492/12,
EU:T:2013:702).
11
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
35. In Anbetracht der Ausführungen im Vorabentscheidungsersuchen scheint es
bei einer eventuellen Entscheidung des Verfassungsgerichts aus einer rein
verfassungsrechtlichen Perspektive nicht klar zu sein, ob die übrigen
nationalen Gerichte, die an diese Rechtsprechung gebunden sind, die
Befugnis wahrnehmen bzw. die sich aus dem Vertrag ergebende
Verpflichtung erfüllen können, dem Gerichtshof
Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen. Dies wäre der Fall, wenn bei
einem nationalen Gericht die Maßnahmen angefochten werden, die eine
nationale Zentralbank im Rahmen der Durchführung eines
Ankaufprogramms ergriffen hat, und in einer verfassungsgerichtlichen
Entscheidung bereits der Ultra-vires-Charakter der Grundsätze des
OMT-Programms festgestellt wurde.
36. Daher schlägt das Königreich Spanien dem Gerichtshof vor, die Fragen des
vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:
Ein nationales Verfahren, wie es im Vorabentscheidungsersuchen
beschrieben ist, das es ermöglicht, die Gültigkeit von Handlungen der Union
allgemein in Frage zu stellen, widerspricht dem System der Überprüfung der
Gültigkeit von Handlungen der Union, das in den Verträgen in den Art. 263
und 267 AEUV geregelt ist.
37. Hilfsweise schlägt Spanien folgende Prüfung der beiden Vorlagefragen vor:
[Or. 12]
III.2.- Erklärungen zur ersten Vorlagefrage: Unzulässigkeit der Vorlagefrage
38. Einleitend möchte das Königreich Spanien daran erinnern, dass nach
ständiger Rechtsprechung die nationalen Gerichte nicht befugt sind,
Handlungen der [Unions]organe für ungültig zu erklären. Die dem
Gerichtshof in Art.267 AEUV zuerkannten Befugnisse bezwecken nämlich
im Wesentlichen, eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts durch die
nationalen Gerichte zu gewährleisten. Diese Einheitlichkeit ist von
besonderer Bedeutung, wenn es um die Gültigkeit eines Rechtsakts der
Unionsorgane geht. Denn Meinungsverschiedenheiten zwischen den
Gerichten der Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Unionsrechtsakten
wären geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung selbst zu gefährden
und das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen
(Urteile Foto-Frost, EU:C:1987:452, Rn. 15, Bakers of Nailsea, C-27/95,
EU:C:1997:188, Rn. 20, Gaston Schul Douane-expediteur, C-461/03,
EU:C:2005:742, Rn. 21). Allein der Gerichtshof ist befugt, die Ungültigkeit
eines
Unionsrechtsakts
festzustellen (Urteile
Zuckerfabrik
Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, 143/88 und C-92/89,
EU:C:1991:65, Rn. 17, Greenpeace France u. a., C-6/99, EU:C:2000:148,
Rn. 54).
12
GAUWEILER U. A.
39. Der Gerichtshof hat den zwingenden Charakter einer Handlung bei der
Prüfung, ob eine Frage nach ihrer Gültigkeit statthaft war, berücksichtigt[12].
Zwar weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine nicht verbindliche
Handlung eines Organs wie eine Empfehlung Gegenstand einer
Vorlagefrage nach ihrer Gültigkeit sein kann. In jenem Fall waren aber die
Verbindlichkeit bzw. die rechtlichen Wirkungen entscheidend, die die
Handlung des Organs für das nationale Gericht hatte[13].
40. Folglich sind die Wirkungen der Handlung, die Gegenstand der
Vorlagefrage ist, entscheidend für die Feststellung, ob die Vorlagefrage
zulässig ist.
41. Die Prüfung der Ankündigung des [Rates] der EZB vom 6. September 2001
ergibt, dass sie keine rechtlichen Wirkungen hat. Ebenso muss
berücksichtigt werden, dass die Ankündigung keinerlei Verpflichtung für die
nationalen Behörden oder
[Or. 13] Gerichte begründet. Die EZB
beschränkte sich darauf, die Hauptparameter für die Outright-Monetary
Transactions (OMT) festzulegen, die in einer nach der Sitzung vom
6. September veröffentlichten Pressemitteilung bekannt gegeben wurden[14].
42. Das Gericht hat bereits festgestellt, dass derartige Handlungen offensichtlich
nicht geeignet sind, sich auf die Rechtsstellung des Einzelnen unmittelbar
auszuwirken[15]. Hinzu kommt, dass die von der EZB im September 2012
beschlossenen Parameter für die nationalen Behörden und Gerichte nicht
bindend sind. Dies sollte Grund genug sein, um die erste Vorlagefrage für
unzulässig zu erklären.
43. Aufgrund dessen ist das Königreich Spanien der Auffassung, dass die erste
Vorlagefrage für unzulässig zu erklären ist.
III.3.- Erklärungen zur zweiten Vorlagefrage
44. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Artikel 267
AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den
nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem
vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen
Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben (siehe u. a. Urteile Krüger,
C-334/95, EU:C:1997:378, Rn. 22, und Roquette Frères, C-88/99,
EU:C:2000:652, Rn. 18). Dementsprechend hat der Gerichtshof die ihm
12 Urteil Friesland Coberco Dairy Foods (C-11/05, EU:C:2006:312, Rn. 34 bis 41).
13
Urteil Grimaldi (C-322/88, EU:C:1989:646, Rn. 8).
14
Dies ergibt sich aus dem Protokoll der Sitzung des Rates mit dem im Beschluss des
Gerichts vom 10. Dezember 2013, von Storch u. a./EZB (EU:T:2013:702), dargestellten
Inhalt.
15
Beschluss von Storch u. a./EZB (EU:T:2013:702, Rn. 34).
13
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile Krüger,
EU:C:1997:378, Rn. 23, und Roquette Frères, EU:C:2000:652, Rn. 18)[16].
45. Zwar obliegt diese Befugnis ausschließlich dem Gerichtshof, doch ist das
Königreich Spanien in Anbetracht des vom vorlegenden Gericht
dargestellten Sachverhalts der Ansicht, dass die Frage, um dem vorlegenden
Gericht eine sachdienliche Antwort geben zu können, in folgender oder
ähnlicher Weise umformuliert werden sollte:
Ist die EZB nach den Art. 119, 123, 125, 127 und 130 AEUV sowie der
Satzung des ESZB befugt, die Merkmale eines Programms betreffend
geldpolitische Outright-Geschäfte, wie sie im Vorabentscheidungsersuchen
dargestellt sind, anzukündigen?
[Or. 14]
a) Die Ausgestaltung und Definition der Geldpolitik der Union in den
Verträgen. Die Möglichkeit, „unkonventionelle“ Maßnahmen zu treffen, und
ihre Prüfungsparameter
46. Um die soeben umformulierte Vorlagefrage beantworten zu können, in der
die verschiedenen vorgelegten Fragen zusammengefasst sind, ist es nach
Ansicht des Königreichs Spanien erforderlich, die Ausgestaltung der
Geldpolitik in den Verträgen zu berücksichtigen. Dies macht die
Untersuchung der Ziele, der Zuständigkeit für ihre Auswahl und ihre
gerichtliche Kontrolle erforderlich.
47. In Art. 3 EUV sind die Ziele der Union niedergelegt, und er stellt daher
eines der wesentlichen Elemente der Rechtsgemeinschaft dar. Tatsächlich
stützt sich jede Gemeinschaft auf die Prämisse, dass sie gemeinsame Ziele
und Interessen verfolgt. Zu ihren Zielen gehört die Errichtung einer
„Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist“. Es muss
betont werden, dass der Wortlaut dieses Artikels zwingend ist und die
Tätigkeit der Union und der Staaten darauf gerichtet sein muss, sie zu
erreichen. Daran erinnern Art. 119 Abs. 1 AEUV und sein Abs. 2, der
bestimmt, dass die Geldpolitik eine „parallele“ Tätigkeit zur Erreichung
dieses Ziels ist.
48. In Art. 119 Abs. 2 AEUV sind die Grundsätze der Geldpolitik und ihre
vorrangigen Ziele niedergelegt. Die Grundsätze oder Grundlagen der
Geldpolitik der Union sind der Euro sowie die Festlegung und Durchführung
einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik.
49. Die Ziele der Geldpolitik kommen wiederum im Wesentlichen in drei
Bestimmungen des Primärrechts zum Ausdruck: Art. 119 AEUV, der
16 Urteil Marks & Spencer (C-62/00, EU:C:2002:435, Rn. 32).
14
GAUWEILER U. A.
bestimmt, dass als „vorrangiges Ziel“ die Preisstabilität verfolgt wird, und
„unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union“
unterstützt werden soll.
Art. 127 [Abs. 1] AEUV und Art. 2 der ESZB-
Satzung wiederholen den Inhalt von Art. 119 AEUV und ergänzen, dass
„das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union [unterstützt], um
zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische
Union festgelegten Ziele der Union beizutragen“.
50. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass der AEU-Vertrag keine
Definition der Währungspolitik enthält und in seinen diese Politik
betreffenden Bestimmungen auf ihre Ziele und nicht auf ihre Instrumente
Bezug nimmt[17].
[Or. 15]
51. Die Ausrichtung und damit die Zuständigkeit für die Bestimmung dieser
Politik obliegt der EZB und den nationalen [Zentral-]Banken der
Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Art. 282 Abs. 1 AEUV). Diese
Zuständigkeit wird unter der grundlegenden Prämisse der Unabhängigkeit
wahrgenommen. Art. 130 AEUV sieht sie für die EZB wie für die nationalen
Zentralbanken vor. Die Unabhängigkeit ist ein zentrales Element für die
Erreichung der Ziele des Vertrags.
52. Nach
Art. 12 Abs. 1 der ESZB-Satzung ist es Sache des Rates, die Leitlinien
und Beschlüsse zu erlassen, die notwendig sind, um die Erfüllung der dem
ESZB übertragenen Aufgaben zu gewährleisten und die Geldpolitik der
Union festzulegen.
53. Daher ist von dem wesentlichen Grundsatz auszugehen, dass es Aufgabe des
ESZB und konkret der EZB ist, die zur Erreichung der in den Verträgen
festgelegten Ziele der Geldpolitik zweckmäßigsten Instrumente
auszuwählen. Die Verträge selbst regeln diese Instrumente nicht und
konkretisieren nicht einmal quantitativ die Ziele der Geldpolitik der Union,
wie beispielsweise ein konkretes Ziel der Preisstabilität.
54. Die Logik der Verträge besteht folglich darin, dass sie lediglich die Ziele der
Geldpolitik definieren und es Sache der EZB ist, in völliger Unabhängigkeit
ihre Instrumente auszuwählen. Bei der Auswahl dieser Instrumente ist von
der feststehenden Tatsache auszugehen, dass die Geldpolitik vor allem durch
äußerst technische und nach Maßgabe der Umstände variable Aspekte
bedingt ist. In diesem Sinne ist es erforderlich, in wirtschaftlich komplexen
Situationen Maßnahmen zu ergreifen, die ein spezifisches technisches
Fachwissen und Reaktionsfähigkeit voraussetzen. Für den Bereich der
Wirtschaft und im Hinblick auf das Ermessen, über das der
Unionsgesetzgeber verfügt, hat der Gerichtshof diese Überlegungen bereits
17 Urteil Pringle (C-370/12, EU:C:2012:8085, Rn. 53).
15
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
berücksichtigt[18]. Ebenso hat der Gerichtshof anerkannt, dass der
Überprüfung der wirtschaftlichen Tatsachen und der Umstände, die bei
technischen Entscheidungen eine wesentliche Rolle spielen, wegen des
Vorliegens eines weiten Wertungsspielraums Grenzen gesetzt sind. Der
Gerichtshof hat beispielsweise auf dem Gebiet der Landwirtschaft[19], des
Transportwesens[20] oder in wettbewerbsrechtlichen Fällen[21] Stellung
genommen. Auch
[Or. 16] das Gericht hat diesen Umstand erwähnt, als es
sich auf die EZB im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zugang zu
Dokumenten bezog[22].
55. So hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber auf
dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen
verfügt, das der politischen Verantwortung entspricht, die ihm die Artikel 34
EG und 37 EG (jetzt Art. 40 und 43 AEUV) übertragen, und dass die
Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme nur dann
beeinträchtigt sein kann, wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Ziels,
das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist, und sich
folglich die Kontrolle durch den Gerichtshof auf die Prüfung der Frage zu
beschränken hat, ob die betreffende Maßnahme nicht mit einem
offensichtlichen Irrtum oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist oder
ob die betreffende Behörde die Grenzen ihres Ermessens nicht offensichtlich
überschritten hat[23].
56. Er hat auch festgestellt, dass, wenn die Durchführung der Agrarpolitik der
Gemeinschaft durch den Rat oder die Kommission das Erfordernis mit sich
bringt, einen komplexen wirtschaftlichen oder sozialen Sachverhalt zu
beurteilen, sich das ihnen zustehende nicht ausschließlich auf die Art und die
Tragweite der zu erlassenden Bestimmungen bezieht, sondern in
bestimmtem Umfang auch auf die Feststellung von Grunddaten. In diesem
Kontext steht es dem Rat oder der Kommission frei, sich gegebenenfalls auf
globale Feststellungen zu stützen[24].
57. In Anbetracht des Bereichs, in dem die EZB handeln muss, sowie der
ausdrücklich an sie erfolgten Zuweisung der Befugnis, die in Betracht
18 Urteil Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, (C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 105).
19
Urteile Roquette Frères/Rat ([C-138/79], EU:C:1980:249, Rn. 25), und Niederlande/Rat
(C-301/97, EU:C:2001:621, Rn. 105).
20
Urteil Schiocchet/Kommission (C-354/89, EU:C: 1991:149, Rn. 14).
21
Unter vielen anderen sollen nur die Urteile Kommission/Tetra Laval (C-12/03 P,
EU:C:2005:87, Rn. 39), und Spanien/Lenzing (C-525/04, EU:C:2007:698, Rn. 56 f.),
angeführt werden.
22
Urteil vom 29. November 2012, Thesing und Bloomberg Finance/EZB (T-590/10,
EU:T:2012:35, Rn. 43).
23
Urteil Bavaria und Bavaria Italia (C-343/07, EU:C:2009:415, Rn. 81 f. und die dort
angeführte Rechtsprechung).
24
Urteil Bavaria und Bavaria Italia (EU:C:2009:415, Rn. 84 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
16
GAUWEILER U. A.
kommenden Instrumente in völliger Unabhängigkeit auszuwählen, ist davon
auszugehen, dass die Verträge auf dieselbe Weise wie in den oben
angeführten Kontexten der EZB bei der Festlegung der Geldpolitik einen
weiten Ermessensspielraum einräumen. Dies hat aus rechtlicher Sicht zur
Folge, dass die Verträge der Anwendung einer bestimmten Maßnahme nicht
entgegenstehen, auch wenn sie aus wirtschaftlicher Sicht als konventionelle
oder unkonventionelle Maßnahme bezeichnet wird. Der maßgebliche
rechtliche Gesichtspunkt besteht darin, dass die in den Verträgen
vorgesehenen Befugnisse nicht überschritten werden dürfen oder dass gegen
keines der in den Verträgen enthaltenen Verbote, wie beispielsweise
Art. 123 AEUV, verstoßen wird oder dass es sich um Operationen handelt,
die die ESZB-Satzung untersagt.
[Or. 17]
58. Folglich muss die EZB beim Erlass der geldpolitischen Maßnahmen das
vorrangige Ziel berücksichtigen, das die Geldpolitik der Union verfolgen
muss: die Preisstabilität sowie die Prinzipien, auf die sie sich stützt, den
Euro und die Durchführung einer einheitlichen Geld- und
Wechselkurspolitik. In diesem Rahmen kann das ESZB Maßnahmen
ergreifen, die die Wiederherstellung der erforderlichen Bedingungen zum
Ziel haben, die gewährleisten, dass die als konventionell bezeichneten
Maßnahmen die Erreichung des Ziels der Preisstabilität ermöglichen und
gleichzeitig die Erfüllung der anderen in den zuvor zitierten Artikeln
genannten Ziele des Vertrags unterstützen.
59. Der Markt für öffentliche Schuldverschreibungen spielt in allen
Volkswirtschaften eine grundlegende Rolle bei der Transmission der
Geldpolitik und letztendlich für die Preisstabilität. Seine Fluktuationen
haben entscheidenden Einfluss auf die Realwirtschaft, so dass die großen,
nicht aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigten Unterschiede zwischen
den Zinssätzen, die in Rn. 13 dargestellt wurden, zur Folge hatten, dass
einige Staaten praktisch nicht mehr liquide waren und ihnen eine abrupte
Verringerung des Fremdkapitalanteils
drohte, der letztendlich zu einer
Deflation führen konnte, während in anderen Staaten mit niedrigeren (und
sogar negativen) Zinsen die reichliche Liquidität den entgegengesetzten
Effekt auslöste.
60. Um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen, muss die Geldpolitik daher die
künstliche Fragmentierung in ihrem Transmissionsmechanismus verringern.
61. Wie bereits ausgeführt, verfügt die EZB bei der Auswahl der hierzu
geeigneten Instrumente über ein weites Ermessen, u. a. wegen der
Vielschichtigkeit der wirtschaftlichen Bewertungen und ihrem
Zusammenhang mit andersartigen Faktoren. Die gerichtliche Kontrolle der
Ermessensakte muss sich daher auf die reglementierten Elemente
17
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
konzentrieren, auf die die EZB einwirkt, d. h., sie muss im Rahmen ihrer
Befugnisse und nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren handeln. Die
Kontrolle dieses Ermessens muss sich daher auf die Feststellung
beschränken, ob die ergriffenen Maßnahmen offensichtlich fehlerhaft oder
mit einem Ermessensmissbrauch behaftet sind oder ob die EZB
offensichtlich die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat; dabei ist in
jedem Fall zu berücksichtigen, dass angesichts dessen, dass die Geldpolitik
naturgemäß die Notwendigkeit mit sich bringt, komplexe wirtschaftliche
oder soziale Sachverhalte zu würdigen, sich das Ermessen der EZB nicht auf
die Art und den Inhalt der zu erlassenden Maßnahmen beschränkt, sondern
in bestimmtem Umfang auch auf die Feststellung der Grunddaten erstreckt
und sie sich gegebenenfalls auf globale Feststellungen stützen kann. Sind
diese beiden Voraussetzungen erfüllt, hängt die Auswahl der Instrumente
von Opportunitätsgesichtspunkten ab, deren
[Or. 18] Würdigung
ausschließlich Sache des zuständigen Organs ist.
62. Im Hinblick auf die Beantwortung der Vorlagefrage ist das Königreich
Spanien daher der Auffassung, dass das OMT-Programm wie jede andere
Maßnahme, die die EZB im Zusammenhang mit der Geldpolitik ergreift,
anhand der in den vorstehenden Absätzen dargestellten Parameter zu prüfen
ist.
b) Gegenstand des OMT-Programms, Geeignetheit und Erforderlichkeit des
Programms
63. Gegenstand des OMT-Programms ist die Aufrechterhaltung der
ordnungsgemäßen geldpolitischen Transmission und der Einheitlichkeit der
Geldpolitik. Da die Verträge selbst die Notwendigkeit einer einheitlichen
Geldpolitik, die die Grundlage einer Währungsunion und einer
Einheitswährung bildet, aufstellen, ist davon auszugehen, dass diese beiden
Elemente von den Zielen umfasst sind, die das ESZB gemäß Art. 127 AEUV
und Art. 2 der ESZB-Satzung verfolgt.
64. Für die Einstufung einer Maßnahme ist es erforderlich, ihr wesentliches Ziel
und ihre Wirkungen festzustellen. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass
„eine wirtschaftspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer
währungspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden [kann], weil sie
mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann“25.
Dieselbe Überlegung dürfte im vorliegenden Fall im entgegengesetzten Sinn
anzuwenden sein: Eine geldpolitische Maßnahme kann nicht allein deshalb
einer wirtschaftspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden, weil sie
Auswirkungen auf Bereiche haben kann, die der wirtschaftspolitischen
Koordinierung zugehören.
25 Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 56).
18
GAUWEILER U. A.
65. Die möglichen Auswirkungen des Programms auf den Bereich der
wirtschaftspolitischen Koordinierung infolge der Konditionalität, die als
eines seiner Charakteristika festgelegt ist, sind nicht als unmittelbare,
sondern als mittelbare Auswirkung der Maßnahme anzusehen.
66. Erstens ist sie mittelbar, da es sich bei ihr um eine Konditionalität handelt,
die in einem entsprechenden Programm der Europäischen
Finanzstabilitätsfazilität (ESFS) bzw. des Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) festgelegt wird. Mit der Konditionalität
gewährleistet die EZB, dass es nicht zu Interferenzen u. a. bei den für die
Haushaltskonsolidierung, Strukturreformen bzw. die Sanierung des
Finanzsektors erforderlichen Anreizen kommt. Mithin sollen durch die
Konditionalität eventuelle nachteilige Auswirkungen des OMT-Programms
vermieden werden, damit die Anreize für die Staaten, eine gesunde
Haushaltspolitik im Sinne der Verträge aufrechtzuerhalten, weder gelockert
noch verfälscht werden.
67. Hervorzuheben ist auch, dass die Existenz eines Hilfsprogramms des
[Or. 19] ESFS/ESM eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung
für das OMT-Programm darstellt. Dieses Programm wird nicht automatisch
aktiviert, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Stattdessen zieht der Rat der
EZB seine Aktivierung aus einer geldpolitischen Perspektive nur in
Betracht, wenn es für die Erfüllung seines Mandats erforderlich ist.
68. Zweitens wird durch die Konditionalität auch gewährleistet, dass das
Programm nicht zu einer nach Art. 123 AEUV verbotenen monetären
Haushaltsfinanzierung führt.
69. Die Konditionalität hat gerade zum Gegenstand, dass das mit Art. 123
AEUV verfolgte Ziel nicht verfehlt wird. Der Gerichtshof hat festgestellt,
dass die strengen Auflagen, denen die einem Mitgliedstaat gewährte
Finanzhilfe unterliegt, kein Instrument zur Koordinierung der
Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten darstellen, sondern die Vereinbarkeit
der Tätigkeiten des ESM insbesondere mit Art. 125 AEUV und den von der
Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen gewährleisten soll[26].
Entsprechend ist die Konditionalität, die das OMT-Programm vorsieht, die
eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung darstellt, eine Folge
der Selektivität selbst und gewährleistet darüber hinaus, dass sich eine
geldpolitische Maßnahme nicht mittelbar auf die Finanzierung dieser
Haushalte auswirkt.
70. Das Königreich Spanien ist daher der Ansicht, dass die Art. 119 und 125
AEUV sowie Art. 2 der ESZB-Satzung ein Programm wie das OMT, dessen
Ziel letztendlich in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht, indem es
26 Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 111).
19
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
die Reparatur des geldpolitischen Transmissionsmechanismus sicherstellt,
zulassen, auch wenn sich dies mittelbar auf andere Bereiche auswirken kann.
71. Gegenüber dem, was in der Vorlagefrage offenbar angedeutet wird, sind
eine Reihe von Tatsachen klarzustellen.
72. Erstens muss darauf hingewiesen werden, dass die Finanzintegration einen
der Grundpfeiler für die effektive und ausgewogene Weitergabe der von der
einheitlichen Geldpolitik ausgehenden Impulse an alle ihre Mitglieder
darstellt. Ein Finanzmarkt gilt als vollständig integriert, wenn seine
Teilnehmer unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Sitz unter
gleichen Bedingungen Zugang zu ihm haben. Dies bedeutet nicht, dass die
EZB die strukturellen Risiken beseitigen will, sondern einzig die
sogenannten Tail-Event-Risks oder Tail-Risks (wie das Währungsrisiko oder
das Redenominierungsrisiko), bei denen es sich um diejenigen Risiken
handelt, die
[Or. 20] der Entwicklung einer neutralen Geldpolitik
entgegenstehen. In einer neuen Studie der Banco de España wird
nachgewiesen, dass die Finanzkrise die Anfälligkeiten des verfolgten
Integrationsmodells an den Tag brachte und einen Rückschritt bei dieser
Integration verursachte[27]. Vor dem Hintergrund fragmentierter
Finanzmärkte haben die expansiven Impulse der einheitlichen Geldpolitik
nicht in gleicher Weise alle Mitgliedsländer erreicht, und die finanziellen
Bedingungen, die von den nationalen Risikoprämien dominiert waren, haben
einen prozyklischen Charakter angenommen.
73. Zweitens wird im Weltfinanzstabilitätsbericht des IWF[28] gezeigt, dass ein
Teil des Zinsaufschlags für langfristige Anleihen aus der Eurozone der
Fragmentierung der Finanzmärkte entspricht. Dem Bericht zufolge wurde
der Teil der Aufschläge für Spanien und Italien, der nicht ihren
wirtschaftlichen Grundfaktoren zugeordnet werden konnte (fair value), auf
ca. 200 Basispunkte geschätzt.
74. Drittens und auf der Linie mit dem vorstehenden Ergebnis weist eine andere
Studie der Banca d’Italia nach, dass sich der Zinsaufschlag für langfristige
Anleihen verschiedener Länder des Eurosystems gegenüber deutschen
Anleihen Ende August 2012 auf Niveaus erhöhte, die erheblich über dem
lagen, was durch die Entwicklung der wirtschaftlichen Grundfaktoren
gerechtfertigt sein könnte[29].
27 Millaruelo, A., und del Río, A., La fragmentación financiera de la zona Euro durante la
crisis,
Boletín Económico Banco de España,
Dezember 2013
[http://www.bde.es/f/webbde/SES/Secciones/Publicaciones/InformesBoletinesRevistas/Bol
etinEconomico/13/Dic/Fich/be1312-art4.pdf].
28
International Monetary Fund, Financial Stability Report, Oktober 2012, Box 2.2.
29
Di Cesare, A., Grande, G., Manna, M., und Taboga, M., Recent estimates of sovereign risk
premia for euro-area countries,
Questioni di Economia e Finanza, September 2012
[http://www.bancaditalia.it/pubblicazioni/econo/quest_ecofin_2/qef128/QEF_128.pdf].
20
GAUWEILER U. A.
75. Diese Studien zeigen also, dass die Fragmentierung des Finanzsystems die
ordnungsgemäße Transmission der Geldpolitik in der Eurozone hin zu
einigen zu ihr gehörenden Staaten verhinderte, und implizit, dass ein
Währungsrisiko bestand. Das Versagen der Finanzmärkte kann die Fähigkeit
der Geldpolitik, allein über die Zinssätze Einfluss auf die Aussicht auf
Preisstabilität zu nehmen, beeinträchtigen. Daher kann die EZB auch solche
unkonventionellen Maßnahmen anwenden, die die ordnungsgemäße
Transmission ihrer geldpolitischen Absichten ermöglichen. Bei den OMT
handelt es sich um Maßnahmen, die auf die Wiederherstellung des
Funktionierens der Transmissionskanäle gerichtet sind, und da die
Geldpolitik zum Funktionieren des Transmissionsmechanismus beitragen
muss, handelt es sich bei den OMT um Geldpolitik, die auf die Erfüllung des
in den Verträgen niedergelegten Ziels der EZB, also der Preisstabilität,
gerichtet ist.
[Or. 21]
c) Verstoß gegen das in Art. 123 AEUV verankerte Verbot der monetären
Finanzierung
76. Die Merkmale des OMT-Programms verstoßen auch nicht gegen das in
Art. 123 AEUV verankerte Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung.
77. Erstens sind die Operationen der EZB auf dem Sekundärmarkt sowohl von
Art. 123 AEUV als auch von Art. 18.1 der ESZB-Satzung gedeckt. Art. 123
AEUV untersagt den „unmittelbaren Erwerb“ von Schuldtiteln, was die
Möglichkeit ihres mittelbaren Erwerbs impliziert. Und Art. 18.1 der ESZB-
Satzung sieht vor, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken auf den
Finanzmärkten tätig werden können, indem sie auf Euro oder sonstige
Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie
Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von
Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende
Darlehensgeschäfte tätigen. Der AEUV und die Satzung sehen mithin
eindeutig die Möglichkeit vor, dass die EZB Staatsanleihen auf dem
Sekundärmarkt erwirbt.
78. Es ist festzuhalten, dass der Erwerb von privaten Investoren auf dem Markt
erfolgt, es also in keinem Fall zu einem unmittelbaren Erwerb von Anleihen
der Mitgliedstaaten oder anderen öffentlichen Stellen kommt.
79. Das Programm sieht darüber hinaus Garantien vor, damit diese Käufe nicht
der Finanzierung der Defizite der in Rede stehenden Staaten dienen. Erstens
handelt es sich um den Erwerb von kurzfristigen Staatsanleihen, also mit
einer Laufzeit von einem bis zu drei Jahren. Zweitens ist das Programm
befristet und kann von der EZB jederzeit ausgesetzt oder beendet werden.
Drittens werden unmittelbar vor und nach der Emission von Staatsanleihen
21
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
keine Ankäufe auf dem Sekundärmarkt erfolgen, damit sich ein Marktpreis
bilden kann. Die EZB stellt auch klar, dass der genaue zeitliche Abstand
situationsangemessen ist und nicht veröffentlicht wird.
80. Aus diesen Charakteristika kann folglich der Schluss gezogen werden, dass
der Erwerb der Anleihen im Hinblick auf private Investoren unter
Marktbedingungen und unter Beachtung des Art. 18.1 der ESZB-Satzung
erfolgt.
81. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es ein mittelbares Bindeglied oder
einen mittelbaren Effekt gibt, das bzw. der sich aus der Vorbedingung
ableitet, dass das Programm durchgeführt wird, nämlich die Konditionalität,
auf die in den Rn. 65 bis 67 eingegangen wurde.
[Or. 22]
82. Dies wird auch durch keinen der Gesichtspunkte, auf die sich die
Vorlagefrage 2 b) des vorlegenden Gerichts bezieht, beeinträchtigt, d. h. a)
die Auswirkungen des OMT-Programms auf den Haushalt, b) das Volumen
der möglichen Ankäufe und c) das Risiko der Vermögenswerte.
83. Was die Auswirkungen auf die Haushalte anbelangt, kann jedes
Ankaufprogramm für Staatsanleihen zu einer Reduzierung des Kapitals der
EZB führen, wenn der Ausgabestaat den Ausfall der Staatsanleihen
ankündigt und der Verlust sehr hoch ist. Diese Situation hätte aber keine
finanzpolitischen
Auswirkungen auf die gesamte Eurozone. Nur wenn eine
Rekapitalisierung der EZB beschlossen würde, müssten die übrigen Länder
der Eurozone einen Beitrag entsprechend ihrem Kapitalzeichnungsschlüssel
oder ihrem Anteil an der EZB leisten.
84. Diese Situation sollte im hypothetischen Fall ihres Eintritts jedenfalls kein
Argument gegen die OMT sein, denn jede Geldpolitik kann potenzielle
Auswirkungen auf die Haushalte haben. Dies wäre beispielsweise bei den
Haupt- (MRO) oder den langfristigen Refinanzierungsoperationen (LTRO)
oder den Interventionen auf dem Sortenmarkt der Fall.
85. Hinsichtlich des Volumens des Ankaufprogramms heißt es in den
technischen Bedingungen des OMT-Programms zwar, die Ankäufe seien
unbegrenzt, aber die EZB hat in ihren Erklärungen im Ausgangsverfahren
bereits darauf hingewiesen, dass das Volumen des OMT-Programms
begrenzt sei, die Grenzen des Programms jedoch aus taktischen Gründen
nicht veröffentlicht werden könnten.
86. Zum Risiko der Vermögenswerte ist auszuführen, dass weder die Verträge
noch das Statut der EZB Beschränkungen beim Ankauf von Aktiva
unterschiedlicher Qualität und Rentabilität vorsehen. Die EZB verfolgt
jedoch eine vorsichtige Risikopolitik und ist der effizienten Nutzung von
22
GAUWEILER U. A.
Ressourcen verpflichtet. In diesem Sinne ist im Jahresabschluss 2013 der
EZB eine Risikorücklage erfasst. Der Zweck dieser Risikorücklage besteht
in der Deckung des Wechselkursrisikos, des Zinssatzrisikos, des
Kreditrisikos und des Goldpreisrisikos, die ständig beobachtet werden. Die
Bereitstellung und die Beibehaltung dieser Rücklage werden jährlich
überprüft. Die EZB hat, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen
ergibt, ausgeführt, dass gleichwohl eintretende Verluste als Verlustvortrag in
die Bilanz eingestellt und in den Folgejahren mit möglichen Einkünften
ausgeglichen werden könnten.
87. Es ist auch unzutreffend, dass keine Mindestanforderungen an die Bonität
der über das Programm erworbenen Anleihen gestellt werden. Die EZB ist
an allen Abschnitten des Hilfsprogramms der ESFS oder des ESM beteiligt,
sowohl bei der Ausarbeitung des Memorandum of
[Or. 23] Unterstanding,
in dem die Konditionalität niedergelegt ist, als auch bei den
Kontrollbesuchen. Die EZB verfügt daher über detaillierte Informationen
zur Bewertung des Zustands des Landes sowie seiner Fortschritte bei der
Haushaltskonsolidierung und damit seiner Bonität. Dabei darf nicht außer
Acht gelassen werden, dass bereits die Existenz des EFSF/ESM-Programms
die Ausfallrisiken mildert und verringert. Daher ist das Risiko zum
Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über das Ankaufprogramm
angemessen bewertet.
88. Folglich kommt es weder zu einer monetären Haushaltsfinanzierung im
Sinne von Art. 123 AEUV, noch kann davon ausgegangen werden, dass ihr
Verbot unter Verstoß gegen diese Vorschrift umgangen wird. Wie bereits
ausgeführt, ist es eine andere Frage, welche mittelbaren Auswirkungen eine
bestimmte währungspolitische Maßnahme haben kann.
d)
Untersuchung der Merkmale des Programms
D.1) Konditionalität
89. Neben den Ausführungen in den Rn. 66 bis 70 ist hervorzuheben, dass eine
der Voraussetzungen für die Aktivierung des Programms darin besteht, dass
der Marktzugang der Staaten gewährleistet ist, entweder weil sie durch
Maßnahmen der EFSF oder des ESM unterstützt werden, die den Erwerb
von Staatsanleihen, die die begünstigten Mitgliedstaaten auf dem
Primärmarkt ausgegeben haben, ermöglichen, oder ‒ im Fall der
Mitgliedstaaten, die bereits einem makroökonomischen
Anpassungsprogramm unterliegen ‒ dass sie wieder Zugang zu den
Anleihemärkten erhalten. Durch diese Voraussetzung wird sichergestellt,
dass das OMT-Programm nicht zu einem Weg der Mittelbeschaffung für den
öffentlichen Sektor wird und nicht insoweit den Markt ersetzt. Die
Mitgliedstaaten müssen entweder Zugang zum Markt haben oder über
23
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN SPANIENS – RECHTSSACHE C-62/14
hinreichende Garantien verfügen, damit sie ihren Emissionsbedarf an
Staatsanleihen decken können (Instrumente der EFSF oder des ESM).
D.2) Selektivität
90. Das Programm sieht den Ankauf von Staatsanleihen bestimmter
Mitgliedstaaten vor. Über diesen Ankauf wird nach Maßgabe der
Marktentwicklung und des geldpolitischen Mandats der EZB entschieden.
Es ist daher Sache des Rates der EZB, nach seinem Ermessen über den
Beginn, die Fortsetzung und die Aussetzung dieser Art von Ankäufen, für
die im Vorhinein keine quantitative Begrenzung vorgesehen ist, zu
entscheiden.
91. Für die einheitliche Geldpolitik sind das ordnungsgemäße Funktionieren der
Transmissionsmechanismen sowie nicht fragmentierte Märkte erforderlich.
Der Markt für Staatsanleihen ist ein wichtiger Markt, und sein
ordnungsgemäßes Funktionieren ist grundlegend für die Transmission der
[Or. 24] geldpolitischen Entscheidungen. Insoweit waren, wie in dem den
Sachverhalt betreffenden Teil dieser Erklärungen dargestellt wurde, die
Märkte für Staatsanleihen und damit die Transmissionskanäle nicht in allen
Staaten in derselben Weise betroffen. Dies rechtfertigt, dass die EZB auf den
unterschiedlichen Märkten nicht identisch handelt. Nur wenn diejenigen
Kanäle repariert werden, die am nachhaltigsten beeinträchtigt wurden, kann
der einheitliche Charakter der Geldpolitik in einer Weise aufrechterhalten
werden, dass sie sich in allen Mitgliedstaaten ähnlich auswirkt.
92. In diesem Sinn muss nuanciert werden, dass die EZB nie bestrebt war, die
Finanzierungsbedingungen für die Mitgliedstaaten anzugleichen, sondern
übermäßige Anstiege aufgrund der Befürchtungen hinsichtlich eines
Auseinanderbrechens des Euro verhindern wollte, also Anstiege, die nicht
auf wirtschaftlichen Grundlagen beruhten. Ein Nachweis dafür, dass die
Risikowahrnehmung im Sommer 2012 in keiner Weise mit den
Grundvariablen der Wirtschaft zu erklären war, besteht darin, dass bereits
die Ankündigung des Programms ausreichte, um die Märkte für
Staatsanleihen zu entspannen.
D.3) Ankauf von Staatsanleihen der Programmländer zusätzlich zu
Hilfsprogrammen der EFSF oder des ESM (Parallelität)
93. Ebenso wie beim Programm für die Wertpapiermärkte (SMP in seiner
englischen Abkürzung) wird der verbleibende kumulierte Saldo der OMT
wöchentlich veröffentlicht.
94. Von einer Parallelität zwischen dem OMT-Programm und den Programmen
der EFSF und des ESM kann nicht die Rede sein, denn ihre Ziele sind
vollkommen unterschiedlich. Ersteres richtet sich auf die Wiederherstellung
der Transmissionskanäle der Geldpolitik und nicht auf die
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GAUWEILER U. A.
Stabilitätsstützung. Wie in den Rn. 67 bis 71 ausgeführt, bedient sich das
OMT-Programm der EFSF/ESM-Programme nur, um die Anreize für die
Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der Haushaltsdisziplin und des
geeigneten Reformtempos zu verankern. Demnach sollen durch den Erwerb
von Staatsanleihen auf Sekundärmärkten nicht die Haushalte der
Mitgliedstaaten finanziert, sondern versucht werden, die Zinssätze auf das
Niveau zu bringen, das den wirtschaftlichen Grundlagen entspricht, indem
die Anstiege aufgrund unbegründeter Ängste hinsichtlich der Reversibilität
des Euro reduziert werden.
[Or. 25]
IV.- ANTWORT AUF DIE VORLAGEFRAGEN
95. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlägt das Königreich
Spanien dem Gerichtshof in erster Linie vor, dem vorlegenden Gericht wie
folgt zu antworten:
Ein nationales Verfahren, wie es im Vorabentscheidungsersuchen
beschrieben ist, widerspricht dem System der Überprüfung der Gültigkeit
von Handlungen der Union, das in den Verträgen in den Art. 263 und 267
AEUV geregelt ist.
96. Hilfsweise schlägt das Königreich Spanien vor, die erste Vorlagefrage für
unzulässig zu erklären und die zweite Vorlagefrage folgendermaßen zu
beantworten:
Nach den Verträgen und insbesondere nach den Art. 119, 123, 125, 127 und
130 AEUV sowie der ESZB-Satzung ist die Europäische Zentralbank befugt,
die Parameter eines geldpolitischen Programms wie des Programms
betreffend geldpolitische Outright-Geschäfte
(OMT-Programm)
anzukündigen.
Madrid, den 11. Juni 2014
DIE BEVOLLMÄCHTIGTEN DES KÖNIGREICHS SPANIEN
Alejandro Rubio González Miguel Sampol Pucurull Eva Chamizo Llatas
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