Ref. Ares(2014)2779179 - 25/08/2014
Date de réception
:
25/08/2014
Übersetzung
C-62/14 - 37
Schriftliche Erklärungen
Rechtssache C-62/14*
Schriftstück eingereicht von:
Republik Zypern
Übliche Bezeichnung der Rechtssache:
Gauweiler u. a.
Eingangsdatum:
20. Juni 2014
* Verfahrenssprache: Deutsch.
DE
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN ZYPERNS – RECHTSSACHE C-62/14
AN DEN PRÄSIDENTEN UND DIE MITGLIEDER
DES GERICHTSHOFS DER EUROPÄISCHEN UNION
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN
der Republik Zypern, gesetzlich vertreten durch Nikoletta Ioannou,
Prozessbevollmächtigte erster Klasse der Republik und Kyriaki Korina
Kleanthous, Prozessbevollmächtige der Republik (Juristischer Dienst der
Republik, Apelli 1, 1403 Nikosia Zypern)
IN DER RECHTSSACHEC-62/14
Gauweiler u. a.
Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverfassungsgerichts (Deutschland)
gemäß Art. 267 AEUV
Zustellungsbevollmächtigte der Republik Zypern ist Frau Kyriaki Korina
Kleanthous, Juristischer Dienst der Republik, Apelli 1, 1403 Nikosia, Zypern,
wobei die Zustellung per Fax oder E-Mail wie folgt erfolgen kann:
Fax: +357 22889230
E-Mail: xxxxxxxxx@xxxxx.xxx.xxx.xx
19. Juni 2014
[Or. 2]
1. Die Republik Zypern gibt gemäß Art. 23 Abs. 2 des Protokolls (Nr. 3) über
die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgende Erklärungen ab:
I. VORLAGEFRAGEN:
2. Das Bundesverfassungsgericht legt dem Gerichtshof der Europäischen
Union (im Folgenden:
Gerichtshof) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. a) Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6.
September 2012 über Technical features of Outright Monetary
Transactions mit Artikel 119 und Artikel 127 Absätze 1 und 2 des
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie mit
Artikel 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen
Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank
unvereinbar, weil er über das in den genannten Vorschriften geregelte
2
GAUWEILER U. A.
Mandat der Europäischen Zentralbank zur Währungspolitik
hinausgeht und in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreift?
Ergibt sich eine Überschreitung des Mandates der Europäischen
Zentralbank insbesondere daraus, dass der Beschluss des Rates der
Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012
aa) an wirtschaftspolitische Hilfsprogramme der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen
Stabilitätsmechanismus anknüpft (Konditionalität)?
bb) den Ankauf von Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten
vorsieht (Selektivität)?
cc) den Ankauf von Staatsanleihen der Programmländer zusätzlich
zu Hilfsprogrammen der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen
Stabilitätsmechanismus vorsieht (Parallelität)?
dd) Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des
Europäischen Stabilitätsmechanismus unterlaufen könnte
(Umgehung)?
[Or. 3]
b) Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6.
September 2012 über Technical features of Outright Monetary
Transactions mit dem in Artikel 123 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union verankerten Verbot monetärer
Haushaltsfinanzierung unvereinbar?
Steht der Vereinbarkeit mit Artikel 123 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere entgegen, dass der
Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September
2012
aa) keine quantitative Begrenzung des Ankaufs von Staatsanleihen
vorsieht (Volumen)?
bb) keinen zeitlichen Abstand zwischen der Emission von
Staatsanleihen am Primärmarkt und ihrem Ankauf durch das
Europäische System der Zentralbanken am Sekundärmarkt
vorsieht (Marktpreisbildung)?
cc) es zulässt, dass sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur
Fälligkeit gehalten werden (Eingriff in die Marktlogik)?
3
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN ZYPERNS – RECHTSSACHE C-62/14
dd) keine spezifischen Anforderungen an die Bonität der zu
erwerbenden Staatsanleihen enthält (Ausfallrisiko)?
ee) eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der
Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von
Staatsanleihen vorsieht (Schuldenschnitt)?
2. Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof den Beschluss des Rates der
Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features
of Outright Monetary Transactions als Handlung eines Organs der
Europäischen Union nicht als tauglichen Gegenstand eines Ersuchens nach
Artikel 267 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union ansehen sollte:
a) Sind Artikel 119 und Artikel 127 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union sowie Artikel 17 bis 24 des Protokolls über
die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der
Europäischen Zentralbank so auszulegen, dass sie es dem Eurosystem
- alternativ oder kumulativ - gestatten,
[Or. 4]
aa) den Ankauf von Staatsanleihen von der Existenz und Einhaltung
wirtschaftspolitischer Hilfsprogramme der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen
Stabilitätsmechanismus abhängig zu machen (Konditionalität)?
bb) Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten anzukaufen
(Selektivität)?
cc) Staatsanleihen von Programmländern zusätzlich zu
Hilfsprogrammen der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen
Stabilitätsmechanismus anzukaufen (Parallelität)?
dd) Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des
Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterlaufen
(Umgehung)?
b) Ist Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union mit Blick auf das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung so
auszulegen, dass es dem Eurosystem - alternativ oder kumulativ -
erlaubt ist,
aa) Staatsanleihen ohne quantitative Begrenzung anzukaufen
(Volumen)?
4
GAUWEILER U. A.
bb) Staatsanleihen ohne zeitlichen Mindestabstand zu ihrer Emission
von Staatsanleihen am Primärmarkt anzukaufen
(Marktpreisbildung)?
cc) sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur Fälligkeit zu halten
(Eingriff in die Marktlogik)?
dd) Staatsanleihen ohne Mindestanforderung an die Bonität zu
erwerben (Ausfallrisiko)?
ee) eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der
Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von
Staatsanleihen hinzunehmen (Schuldenschnitt)?
ff) durch die Äußerung von Kaufabsichten oder auf andere Weise in
zeitlichem Zusammenhang mit der Emission von Staatsanleihen
von Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Einfluss auf die
Preisbildung zu nehmen (Ermutigung zum Ersterwerb)?“
[Or. 5]
II. RECHTLICHE WÜRDIGUNGA. Allgemeine Erklärungen
3. Die Republik Zypern ist der Auffassung, dass der Beschluss des Rates der
Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über „Technical features of
Outright Monetary Transactions“ (im Folgenden:
OMT-Beschluss) eine
Handlung eines Organs der Europäischen Union darstellt, die tauglicher
Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 Abs. 1
Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im
Folgenden:
AEUV) ist.
4. Was den Umfang der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof in
Bezug auf den OMT-Beschluss angeht, verweist die Republik Zypern auf die
ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, die den Organen der Union ein weites
Ermessen, unter anderem hinsichtlich der Auswahl der Mittel zur Erreichung ihrer
Ziele, einräumt1.
5. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in der Rechtssache Pfizer2 entschieden:
„Wenn die Gemeinschaftsorgane eine wissenschaftliche Risikobewertung
vorzunehmen und äußerst komplexe tatsächliche Umstände
wissenschaftlicher und technischer Art zu beurteilen haben, beschränkt sich
die gerichtliche Prüfung der Frage, ob die Gemeinschaftsorgane diese
1 Urteil vom 14. März 1973, 57/72, Westzucker, Slg. 1973, S. 321.
2
Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T-13/99, Slg. 2002, II-3305,
Rn. 167 bis 169.
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SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN ZYPERNS – RECHTSSACHE C-62/14
Aufgabe erfüllt haben, darauf zu prüfen, ob die Gemeinschaftsorgane bei
der Ausübung ihres Ermessens einen offensichtlichen Fehler oder einen
Ermessensmissbrauch begangen oder die Grenzen ihres Ermessens
offensichtlich überschritten haben.“
[Or. 6]
6. Die Republik Zypern ist der Auffassung, dass der Gerichtshof im Rahmen
der Prüfung der Vereinbarkeit des OMT-Beschlusses mit dem primären
Unionsrecht diese Mindestrechtmäßigkeitskontrolle durchführen muss, wie in
oben genannter Entscheidung festgelegt, da die Europäische Zentralbank (im
Folgenden:
EZB) bei der besagten Handlung unter Abwägung vielfältiger
technischer Probleme, die sich in Bezug auf die Instrumente zur Erfüllung ihres
vorrangigen Ziels stellen, ihr Ermessen ausgeübt hat.
B.
Zu den Vorlagefragen im Einzelnen
a)
Zu den Vorlagefragen unter II.1.a des
Vorabentscheidungsersuchens
7. Mit diesen Fragen wird vom vorlegenden Gericht im Wesentlichen danach
gefragt, inwiefern der OMT-Beschluss eine Überschreitung der
währungspolitischen Kompetenz der EZB darstellt und in die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten eingreift.
8. Die Bestimmungen des primären Unionsrechts zur Europäischen
Zentralbank und zum Europäischen System der Zentralbanken in Bezug auf die
obigen Fragen sind folgende:
A. Wirtschafts- und Währungspolitik: Art. 119 AEUV
B. Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden:
ESZB): Art. 127 Abs. 1 AEUV, Art. 282 Abs. 2 AEUV und Art. 2 der
Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der
Europäischen Zentralbank (im Folgenden:
Satzung).
C. Grundlegende Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken:
Art. 127 Abs. 2 AEUV und Art. 3 Abs. 1 der Satzung.
[Or. 7]
D. Währungspolitische Aufgaben und Operationen des Europäischen
Systems der Zentralbanken: Art. 17 ff. der Satzung.
9. Der Regelungsinhalt der oben unter B, C und D genannten Bestimmungen
lässt sich im Wesentlichen aus Art. 119 AEUV herleiten. Die währungspolitischen
Funktionen und Operationen, d. h. die konkreten Kategorien von Transaktionen
und anderen Operationen, die das ESZB durchführen kann, werden funktionell um
6
GAUWEILER U. A.
bestimmte Grundaufgaben herum organisiert, um dem vorrangigen Ziel, d. h. der
Gewährleistung der Preisstabilität (Art. 127 AEUV) zu dienen. Die
währungspolitischen Funktionen und Operationen werden in dem Sinne als
potenziell formuliert, dass dem ESZB ein Ermessen in Bezug auf die Auswahl der
Instrumente eingeräumt wird, die es bei der Gestaltung seines Tätigwerdens zum
Zwecke der Erreichung des ihm auferlegten Ziels nutzt3. Dennoch ist das ESZB
verpflichtet, wo und wann es dies zur Erfüllung seines vorrangigen Ziels für
notwendig erachtet, seine Aufgaben in einer bestimmten Art und Weise
auszuüben und sich einer bestimmten Art von Transaktionen oder anderen
Operationen zu widmen.
10. Das ESZB ist verpflichtet zu tun, was ihm gestattet und zur Erfüllung seines
vorrangigen Ziels, d. h. der Gewährleistung von Preisstabilität, erforderlich ist.
Die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitiken der Union zur
Verwirklichung ihrer Ziele stellt vorbehaltlich des Ziels der Gewährung von
Preisstabilität auch ein Ziel des ESZB dar. Folglich darf das ESZB hinsichtlich
der Erreichung seines vorrangigen Ziels nicht untätig bleiben.
11. Der Gerichtshof hat in der Entscheidung
Pringle4 darauf hingewiesen, dass
sich das mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus verfolgte Ziel der
Wahrung der Stabilität der Eurozone insgesamt klar vom Ziel der Gewährleistung
[Or. 8] der Preisstabilität, als dem vorrangigen Ziel der Währungspolitik der
Union, unterscheidet. Auch wenn nämlich die Stabilität der Eurozone
Auswirkungen auf die Stabilität der in diesem Gebiet verwendeten Währung
haben mag, kann eine wirtschaftspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer
währungspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden, weil sie indirekte
Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann.
12. Vorliegend stützt sich das vorlegende Gericht auf diese Rechtsprechung und
formuliert die These, dass die Ankäufe von Staatsanleihen nicht allein deshalb als
währungspolitische Maßnahmen eingestuft werden können, weil sie indirekt auch
währungspolitische Zwecke verfolgen. Jedoch kann auf der Grundlage derselben
Rechtsprechung die Auffassung vertreten werden, dass die Ankäufe von
Staatsanleihen durch das ESZB zur Erfüllung seines vorrangigen Ziels nicht allein
deshalb, weil sie notwendigermaßen bis zu einem gewissen Grad die
Wirtschaftspolitik beeinflussen, als wirtschaftspolitische Maßnahmen eingestuft
werden können. Der Ankauf von Staatsanleihen stellt ein Instrument dar, welches
das Unionsrecht der EZB zur Erreichung ihres vorrangigen Ziels zur Verfügung
stellt. Es ist offenkundig, dass allein dessen Gebrauch nicht ohne andere Faktoren
zu berücksichtigen mit einem finanzwirtschaftlichen Beitrag gleichzusetzen ist.
Anderenfalls würde man zu dem paradoxen Ergebnis gelangen, dass das
Unionsrecht der EZB ein Instrument zur Ausführung von Währungspolitik zur
3 Art. 18 der Satzung bestimmt: „Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung
seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken …“.
4
Urteil des Gerichtshofs vom 27.11.2012, Thomas Pringle, C-370/12, Rn. 56, noch nicht in
der amtlichen Sammlung veröffentlicht).
7
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN ZYPERNS – RECHTSSACHE C-62/14
Verfügung stellt, bei dessen Gebrauch sie jedoch wirtschaftspolitisch tätig wird
und somit ihr Mandat überschreitet.
13. Die aktuelle Zusammensetzung der Eurozone beruht auf Beschlüssen, die
auf der Grundlage des Art. 140 AEUV ergangen sind, und ist ein Produkt der
Wirtschaftspolitik. Seit dem Zeitpunkt der oben genannten Beschlüsse ist die
aktuelle Zusammensetzung Teil der europäischen Rechtsordnung, was die EZB
auch beachten muss. Eine Gefahr der ungewollten Schrumpfung der
Zusammensetzung der Eurozone, beispielsweise aufgrund fehlender Absicherung
der wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für einen dauerhaften
Zusammenhalt der Eurozone seitens der Mitgliedstaaten, könnte auch die
Preisstabilität in Gefahr bringen. In solch einem Fall ist die EZB zur Erfüllung
ihres Mandats verpflichtet,
[Or. 9] die festgelegte Zusammensetzung der
Eurozone nicht nur zu beachten, sondern auch aufrechtzuerhalten. Der
OMT-Beschluss fügt sich in genau diesen Rahmen ein, zumal er laut
Stellungnahme der EZB gegenüber dem vorlegenden Gericht (vgl. Anlage 1) mit
dem Ziel entworfen wurde, der Furcht der Anleger vor einer Reversibilität des
Euro und einer darauffolgenden Störung der EZB bei ihrer Aufgabenerfüllung
effektiv entgegenzuwirken.
14. Es wurden zudem Einwendungen hinsichtlich der „Selektivität“ des
OMT-Beschlusses formuliert. Hierzu muss zunächst beachtet werden, dass mittels
des fraglichen Beschlusses grundsätzlich Staatsanleihen eines jeden Staates der
Eurozone auf dem Sekundärmarkt angekauft werden können und nicht nur jene
einzelner Staaten. Im OMT-Beschluss werden bestimmte Kriterien aufgestellt, die
ein Mitgliedstaat erfüllen muss, damit von ihm emittierte Staatsanleihen für einen
Ankauf im Rahmen des besagten Beschlusses in Frage kommen. Diese Kriterien
wurden aufgestellt, da es sich gerade nicht um eine
ex ante erfolgende Auswahl
von Staaten handelt, sondern um einen Beschluss, der lediglich einen Rahmen für
die Durchführung von Transaktionen schafft, wo und wann immer diese zur
Gewährleistung der Preisstabilität notwendig sind. Folglich kann von einer
selektiven Anwendung des OMT-Beschlusses nicht die Rede sein, da dieser
Beschluss grundsätzlich Staatsanleihen eines jeden beliebigen Staates der
Eurozone betreffen kann.
15. Die Erfordernisse der Teilnahme eines Mitgliedstaats, dessen Staatsanleihen
im Rahmen des OMT-Beschlusses angekauft werden sollen, an einem finanziellen
Hilfsprogramm der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des
Europäischen Stabilitätsmechanismus, sowie eines Marktzugangs dieses
Mitgliedstaats beschränken im Übrigen die möglichen Risiken, die die EZB
mittels ihres eigenen Programms eingeht, wesentlich und führen somit zu
keinerlei Selektivität im Sinne einer unterschiedlichen Behandlung bestimmter
Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten.
16. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der die Befürchtungen der Umgehung der
oben genannten finanziellen Hilfsprogramme durch den OMT-Beschluss zu
8
GAUWEILER U. A.
zerstreuen vermag, ist die Tatsache, dass zur Anwendung des OMT-Beschlusses
in Bezug auf einen Staat
[Or. 10] dieser die Bedingungen, die ihm im Rahmen der
oben genannten finanziellen Hilfsprogramme auferlegt wurden, erfüllen muss.
Hierin liegt im Wesentlichen auch die Entgegnung auf das Vorbringen, der
OMT-Beschluss könne Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder des Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) unterlaufen. All diese Aspekte garantieren eine
möglichst effektive Ausübung der Möglichkeiten, die dem ESZB im Rahmen des
Unionsrechts zur Erfüllung seines vorrangigen Ziels, d. h. der Gewährung der
Preisstabilität, zur Verfügung gestellt werden.
17. Die EZB wird mit anderen Worten bei der Eingehung von Risiken
gewissenhaft vorgehen, zumal sie nur Staatsanleihen jener Staaten erwerben wird,
die garantieren können, dass sie die Obligationsinhaber wie erwartet auszahlen
werden. Die Abhängigmachung von der Erfüllung von Bedingungen trägt,
unabhängig von den Gründen der EZB für die Aufnahme dieses Aspekts in die
mittelbar angefochtenen Entscheidungen,
zu
einem
umsichtigen
Risikomanagement bei; dies gilt insbesondere in Bezug auf Staatsanleihen von
Staaten, die in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind und einen
Hilfsmechanismus in Anspruch genommen haben.
18. Zusammenfassend ist die Republik Zypern der Auffassung, dass im
OMT-Beschluss keine Überschreitung des Mandats der Europäischen Zentralbank
und insbesondere ihres vorrangigen Ziels der Gewährleistung der Preisstabilität
liegt. Die objektiven, im OMT-Beschluss enthaltenen Voraussetzungen, die für
den Ankauf von Staatsanleihen eines bestimmten Staates der Eurozone vorliegen
müssen, stellen gerade sicher, dass die EZB nur in jenen Fällen eingreifen wird, in
denen sie tatsächlich zur Gewährleistung der Preisstabilität beitragen kann; dabei
stecken sie gleichzeitig die Grenzen ab für Art und Umfang der Risiken, die die
EZB auf sich nimmt.
b)
Zu den Vorlagefragen unter II.1.b des
Vorabentscheidungsersuchens
19. Mit diesen Fragen wird vom vorlegenden Gericht im Wesentlichen danach
gefragt, ob der OMT-Beschluss gegen das in Art. 123 AEUV festgelegte
[Or. 11]
Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt.
20. Die mögliche Teilnahme des Eurosystems an einem Schuldenschnitt in
Bezug auf die von diesem angekauften Anleihen oder das erhöhte Risiko eines
solchen Schuldenschnitts oder eines Ausfalls seitens des Emittenten stellen keine
entscheidenden Kriterien für die Feststellung des Vorliegens oder Fehlens einer
Vereinbarkeit mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung dar, zumal dieses
Verbot auch die Finanzierung absolut kreditwürdiger Zentralregierungen,
öffentlicher Behörden usw. betrifft. Darüber hinaus geht weder aus Art. 123
AEUV noch aus der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember
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SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN ZYPERNS – RECHTSSACHE C-62/14
1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel
104 und Artikel 104b Absatz 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote hervor, dass
für die Gestattung eines Erwerbs von Staatsschulden vorausgesetzt wird, dass dem
Eurosystem gegenüber anderen Gläubigern Vorrang eingeräumt wird.
21. Wie bereits oben erwähnt, legt der OMT-Beschluss eine Reihe von Kriterien
zur deutlichen Beschränkung des Risikos, das die EZB beim Ankauf von
Staatsanleihen eines bestimmten Mitgliedstaats der Eurozone auf dem
Sekundärmarkt eingeht, fest. Zu diesen Voraussetzungen zählen die Teilnahme
des betreffenden Staates an einem Hilfsprogramm der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus
sowie die Erfüllung der Bedingungen, die dem jeweiligen Staat im Rahmen der
besagten Programme auferlegt werden. Ein weiteres Erfordernis ist, dass der
betreffende Staat Marktzugang haben muss. Diese Aspekte stellen sicher, dass der
Staat, dessen Anleihen im Rahmen des OMT-Beschlusses angekauft werden,
bestimmte Mindestvoraussetzungen in Bezug auf seine Bonität erfüllt, die auch
das Risiko eines Schuldenschnitts begrenzen.
22. Folglich ist, selbst wenn man annehmen wollte, dass das Vorliegen eines
erhöhten Risikos eines Schuldenschnitts oder eines Ausfalls seitens des
Emittenten Faktoren sind, die zu dem Ergebnis führen könnten, das Verbot der
monetären Haushaltsfinanzierung werde nicht eingehalten,
[Or. 12] das Risiko,
dem sich die EZB aussetzt,
nach Ansicht der Republik Zypern recht
eingeschränkt, so dass sich hieraus nicht bereits ein Verstoß gegen das Verbot der
Finanzierung staatlicher Haushalte gemäß Art. 123 AEUV ergibt.
23. Die Gefahr, dass ein Fall der monetären Haushaltsfinanzierung eintritt, ist
erhöht, wenn der Zeitraum zwischen der Emission einer Staatsanleihe und dem
Ankauf dieser Anleihe oder einer anderen Anleihe desselben Emittenten durch das
Eurosystem besonders kurz ist. Folglich erhöht die fehlende Festlegung eines
zeitlichen Mindestabstands ab der Emission der Staatsanleihe, nach dessen Ablauf
der Ankauf durch die EZB möglich ist, im Rahmen des OMT-Beschlusses das
Risiko des Eintritts einer monetären Haushaltsfinanzierung bei der Durchführung
von Transaktionen im Rahmen des besagten Beschlusses. Dennoch ist die
Republik Zypern der Auffassung, dass das Vorliegen oder Fehlen der
Vereinbarkeit mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung eine Frage
darstellt, die nur in Bezug auf konkrete, auf der Grundlage des OMT-Beschlusses
durchgeführte Transaktionen, beurteilt werden kann und nicht im Vorhinein.
Zudem gilt das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung auch wenn es nicht
ausdrücklich im OMT-Beschluss erwähnt wird. Folglich ist die Republik Zypern
der Ansicht, dass im OMT-Beschluss selbst kein Verstoß gegen Art. 123 AEUV
liegen kann, sondern allenfalls in einer Entscheidung der EZB über einen
konkreten Ankauf von Staatsanleihen auf der Grundlage des OMT-Beschlusses,
wenn dieser Ankauf aufgrund seiner Umstände mit einem verbotenen direkten
Ankauf von Staatsanleihen gleichzusetzen ist.
10
GAUWEILER U. A.
24. Folglich würde eine Festlegung bestimmter quantitativer oder zeitlicher
Begrenzungen in Bezug auf die Ankäufe von Anleihen oder auf das Halten
solcher Anleihen im Voraus zwar die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung des
Art. 123 AEUV durch die EZB erhöhen, könnte diese jedoch nicht sicherstellen.
Letztlich muss jede konkrete Handlung oder Unterlassung der EZB mit Art. 123
AEUV vereinbar sein, weshalb die EZB verpflichtet ist, zur Erfüllung dieser
Vereinbarkeit jede ihrer Aktivitäten und Transaktionen vorsichtig zu planen,
selbst dann, wenn sie sich innerhalb selbst auferlegter Begrenzungen bewegt.
[Or. 13]
25. Zusammenfassend ist die Republik Zypern der Ansicht, dass der
OMT-Beschluss nicht zu einer monetären Haushaltsfinanzierung der
Mitgliedstaaten der Eurozone führt und demnach auch nicht gegen Art. 123
AEUV verstößt.
III. ERGEBNIS
26. Nach Auffassung der Republik Zypern verstößt der OMT-Beschluss nicht
gegen Art. 119, Art. 127 Abs. 1 und 2 und Art. 123 AEUV sowie gegen Art. 17
bis 24 des Protokolls über die Satzung des ESZB und ist demnach mit dem
Primärrecht der Union vereinbar.
Die Bevollmächtigten der Republik Zypern
Nikoletta Ioannou
Korina Kleanthous
Prozessbevollmächtigte
Prozessbevollmächtigte der
der Republik A´
Republik
Juristischer Dienst der
Juristischer Dienst der
Republik
Republik
… [… nicht übersetzt]
Nikosia, den 20. Juni 2014
[Or. 14]
11