Juristischer Dienst
SJ-0294/14
Brüssel, den 11. Juni 2014
D(2014)27950
AN DEN PRÄSIDENTEN, DEN VIZEPRÄSIDENTEN UND DIE MITGLIEDER DES
GERICHTSHOFES DER EUROPÄISCHEN UNION
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN
Vorgelegt nach Artikel 23 Absatz 2 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes
DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS,
vertreten durch Anders NEERGAARD, Evelyn WALDHERR und Ulrich RÖSSLEIN,
Mitglieder des Juristischen Dienstes, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: e-Curia oder,
falls erforderlich, Europäisches Parlament, Juristischer Dienst, Konrad Adenauer-Gebäude,
KAD 06A007, L-2929 Luxemburg,
in der Rechtssache C-62/14 (Gauweiler e.a.)
(Vorlegendes Gericht: Bundesverfassungsgericht – Deutschland)
In einem Ersuchen um Vorabentscheidung betreffend die Gültigkeit des Beschlusses des
Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über „Technische Merkmale der
geldpolitischen Outright-Geschäfte“ (OMT) und, hilfsweise, die Auslegung von Artikel 119
und 127 AEUV sowie Artikel 17 bis 24 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des
Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank.
*
*
*
B-1047 Brüssel - Tel +32 2 28 43209 - Fax +32 2 28 46882
F-67070 Straßburg - Tel +33 3 88 1 73385 - Fax +33 3 88 1 76944
2
I.
EINLEITUNG
1. Mit Beschluss vom 14. Januar 2014 hat das Bundesverfassungsgericht (im Folgenden:
BVerfG) um eine Vorabentscheidung in Bezug auf die Gültigkeit des Beschlusses des
Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical Features of
Outright Monetary Transactions (OMT) (im folgenden: OMT-Beschluss) ersucht. Der
Gerichtshof hat das Europäische Parlament am 1. April 2014 von diesem Antrag in
Kenntnis gesetzt und auf die Möglichkeit des Einreichens schriftlicher Erklärungen
hingewiesen.
2. Das BVerfG zweifelt an der Gültigkeit des OMT Beschlusses, weil er seiner Auffassung
nach über das währungspolitische Mandat der EZB hinausgehend in die
wirtschaftspolitische Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift und dem primärrechtlichen
Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung widerspricht. Für den Fall, dass der OMT
Beschluss nicht als tauglicher Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens angesehen
werden sollte, stellt das BVerfG hilfsweise eine Reihe von Fragen zur Auslegung der
einschlägigen Vertragsbestimmungen.
3. Vor der Annahme eines „ultra vires“ Aktes eines Organs der Union, wendet sich das
BVerfG im Einklang mit der Rechtsprechung1 an den Gerichtshof, um ihm Gelegenheit
zu geben, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Gültigkeit des in
Frage stehenden Rechtsaktes zu entscheiden. Nach Ansicht des BVerfG wäre der OMT
Beschluss nur dann nicht zu beanstanden, wenn er am Maßstab des Vertrages in der vom
BVerfG vorgezeichneten Art und Weise einschränkend ausgelegt würde (Rz 99 ff des
Vorlagebeschlusses).
4. Letztlich kann das Vorabentscheidungsersuchen des BVerfG, vor allem in Hinblick auf
RZ 100 des Vorlagebeschlusses, dahingehend verstanden werden, dass Zweifel an der
Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften (des OMT-Beschlusses, bzw die Zuständigkeit
der EZB begründenden Vertragsbestimmungen) bestehen.
5. Dem Gerichtshof obliegt es, die Kontrolle von Sekundärrecht am Maßstab des
Primärrechts vorzunehmen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Vertrag dem ESZB
die Aufgabe zuweist, in völliger Unabhängigkeit die Geldpolitik der Union festzulegen
1 Nämlich seiner eigenen: BVerfG, 2 BvR 2661/06 vom 6.7.2010, Absatz-Nr. 60 (Honeywell) und der des
EuGH: Urteil v 22.10.1987, 314/85, Foto-Frost, Slg 1987, 4199, Rz 14.
3
und auszuführen. Weder dem BVerfG noch dem EuGH kommt es zu, anstelle des ESZB
die Geldpolitik zu definieren. Vielmehr ist zu ermitteln, ob sich die EZB in der
Wahrnehmung ihres währungspolitischen Ermessens innerhalb der vom Vertrag
vorgegebenen rechtlichen Grenzen gehalten hat. Das Europäische Parlament vertritt dabei
die Auffassung, dass die Kontrolle des Gerichtshofes aufgrund des der EZB vom Vertrag
eingeräumten Beurteilungsspielraumes, weitgehend beschränkt ist (vgl. auch Potacs in
Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 127 AEUV, Rz 5) und die Unabhängigkeit der EZB
in der Ausübung der Währungspolitik nicht verletzen darf2.
6. Vor diesem Hintergrund erscheint das Vorabentscheidungsersuchen insofern
problematisch, als das BVerfG nicht nur dazu Stellung nimmt, wie die in Frage stehenden
Bestimmungen des Vertrages ausgelegt, sondern auch, wie sie konkret angewendet
werden sollten. Dadurch würde die Währungspolitik aber unter Missachtung der
ausschließlichen Zuständigkeit der EZB auf diesem Gebiet näher definiert.
7. Das Europäische Parlament hat den OMT-Beschluss in seiner Entschließung zum
Jahresbericht der EZB 2012 begrüßt.3 Auf dieser Grundlage hat das Europäische
Parlament entschieden, die folgenden schriftlichen Erklärungen einzureichen.
II.
DER OMT-BESCHLUSS
8. Der OMT-Beschluss ist nur im Protokoll der 340. Sitzung des Rates der Europäischen
Zentralbank vom 5. und 6. September 2012 niedergelegt, in dem es heißt, dass der Rat
auf Vorschlag des Präsidenten die wesentlichen Parameter der Outright Monetary
Transactions (OMT) gebilligt habe, die in einer nach der Sitzung zu veröffentlichenden
Pressemitteilung dargelegt werden würden.
9. In der Presseerklärung vom 6. September 2012 teilt die Europäische Zentralbank mit,
dass Staatsanleihen ausgewählter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhe aufgekauft
werden können, wenn und solange diese Mitgliedstaaten zugleich an einem mit der
2
EuGH Urteil v 22. Januar 2014 C-270/12, Grossbritannien/Parlament u Rat, EU:C:2014:18, Rz 102;
EuGH Urteil v 18. März 1975, C-78/74,
Deuka / Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und
Futtermittel,:EU:C:1975:44
3
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Dezember 2013, (2013/2076(INI), Punkt 14:
„
begrüßt die Einrichtung unbegrenzter Anleihekäufe (Outright Monetary Transactions – OMT) ohne im
Voraus festgelegte quantitative Beschränkungen, um die geldpolitische Transmission sicherzustellen, und
begrüßt die Entscheidung, die Aktivierung der OMT mit strengen Auflagen im Rahmen eines EFSF/ESM-
Programms […]
zu verknüpfen;“ , P7_TA(2013)0601.
4
Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität
oder
dem
Europäischen
Stabilitätsmechanismus vereinbarten Reformprogramm teilnehmen. Erklärtes Ziel der
Outright Monetary Transactions ist die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen
geldpolitischen Transmission (das Erreichen der Realwirtschaft durch geldpolitische
Impulse) und der Einheitlichkeit der Geldpolitik.
10. Es handelt sich dabei um einen politischen Grundsatzbeschluss des EZB-Rates ohne
Rechtswirkungen. Dieser Beschluss wurde nicht im Amtsblatt veröffentlicht4. Darüber
hinaus wurde kein Rechtsakt verabschiedet, der den OMT-Beschluss durchführt. In seiner
derzeitigen Form geht der OMT-Beschluss nicht über eine Absichtserklärung hinaus und
beschränkt sich auf die Ankündigung von Maßnahmen nach bestimmten allgemeinen
Merkmalen. Im Unterschied dazu wurde der Beschluss zur Einführung eines Programms
für Wertpapiermärkte (Securities Market Programme – SMP), gerade weil er nicht auf
eine bloße Ankündigung beschränkt war, im Amtsblatt kundgemacht.5
III. RECHTLICHE AUSFÜHRUNGEN
A.
Zur Frage der Gültigkeit des OMT-Beschlusses
11. In Ermangelung eines veröffentlichten Rechtsaktes kann der politische OMT-Beschluss
des Rates der EZB lediglich auf der Grundlage der veröffentlichten Presseerklärung
beurteilt werden. Danach stellt sich der OMT-Beschluss aber nur als eine Ankündigung
möglicher zukünftiger Handlungen unter bestimmten einschränkenden Bedingungen dar,
die von der EZB unter bestimmten Umständen und nach Beschlussfassung eines
Rechtsaktes ergriffen werden können. Auch das BVerfG bekräftigt, dass der OMT-
Beschluss bislang nicht umgesetzt worden ist (RZ 4) und keine Rechtswirkungen erzeugt
(Rz 33).
12. Soweit das Vorabentscheidungsersuchen die Überprüfung der Gültigkeit des OMT-
Beschlusses begehrt, stellt sich die Frage, ob der politische Beschluss des EZB-Rates in
4
Das Europäische Parlament hat die EZB dazu aufgefordert, „
den Rechtsentscheid zum OMT-Programm zu
veröffentlichen, damit er in seinen Einzelheiten und in Bezug auf seine Bedeutung besser bewertet werden
kann“, vorgenannte Entschließung, Punkt 25.
5
Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung einer Programms für die
Wertpapiermärkte (EZB/2010/5), ABl L 124 v 20.5.2010, 8.
5
der Form des Presseerklärung vom 6. September 2012 eine Handlung darstellt, deren
Rechtmäßigkeit vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden kann.
13. Die Überprüfung der Gültigkeit von Handlungen der Organe der Union im Wege des
Vorabentscheidungsverfahrens ist inhaltlich der Überwachung der Rechtmäßigkeit im
Rahmen der Nichtigkeitsklage nach Art 263 AEUV gleichzusetzen.6
14. Handlungen
der
Organe,
hier
der
EZB,
die
Gegenstand
eines
Vorabentscheidungsersuchens
sein
können,
sind
sämtliche
Rechtsakte
mit
Außenwirkung, nicht hingegen aber Vorbereitungsakte.7 Die fehlende Veröffentlichung
ist ein Indiz dafür, dass es sich beim OMT-Beschluss nur um eine Absichtserklärung
handelt, die keine Bindungswirkung entfalten sollte. Die Frage der Veröffentlichung ist in
diesem Zusammenhang aber nicht entscheidend.8
15. Im Weiteren ist somit die Frage zu prüfen, ob die Pressemitteilung als solche und
unabhängig von ihrer Bezeichnung verbindliche Rechtswirkungen erzeugt. Nach der
ständigen Rechtsprechung ist diese Feststellung unabhängig von der für die betreffende
Maßnahme gewählten Form und Bezeichnung zu treffen; entscheidend ist allein, ob die
Maßnahme von ihrem Inhalt her dazu bestimmt ist, konkrete oder allgemeine
Sachverhalte mit rechtsverbindlicher Wirkung zu regeln.9
16. Aus der Formulierung der Presserklärung geht einerseits durch die Verwendung der
Zukunftsform10, anderseits aber auch durch den klaren Hinweis auf einen noch zu
beschließenden Rechtsakt11 hervor, dass sie selbst keine Rechtswirkungen im Hinblick
auf OMTs entfalten soll. Insofern ist die Presserklärung lediglich als eine bloße
Ankündigung zukünftiger Maßnahmen zu qualifizieren, die selbst keine Rechtswirkungen
entfaltet.12
6 EuGH Urteil v 18.2.1964, 73/63 u 74/63, Internationale Crediet-en Handelsvereniging Rotterdam, Slg 1964, 3
7 Schima in Kommentar zu EUV und AEUV, hrsg v Mayer u Stöger, Art 267 AEUV, Rz 14.
8 Im Prinzip sind Rechtsakte und Beschlüsse nach der Rechtsprechung nur dann angreifbar sind, wenn sie in
einem rechtlichen Sinn existent sind. Ein Rechtsakt, der nicht veröffentlicht wurde, entfaltet keine
Bindungswirkung. Demgegenüber gilt für die von der EZB beschlossenen Rechtsakte die besondere
Regelung des Artikels 132 Absatz 2 AEUV, wonach die EZB nach eigenem Ermessen über die
Veröffentlichung ihrer Beschlüsse entscheidet.
9
EuGH Urteil v 13.11.1991, C-303/90, Frankreich/Kommission, Slg 1991, I-5340.
10 „
These will be known
as Outright Monetary Transactions (OMTs) and will be conducted
within the
following framework“.
11 „
The Eurosystem intends to clarify in the legal act concerning Outright Monetary Transactions”.
12 EuGH Urteil v 5.5.1998, C-180/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg 1998, I-2265.
6
17. Aus dieser Darstellung folgt nach Auffassung des Europäischen Parlaments, dass von der
Presseerklärung zum OMT-Beschluss keine Rechtswirkungen ausgehen und dieser
keinen Rechtsakt darstellt.
18. In Ermangelung eines rechtlich verbindlichen Aktes, ist aber der Gerichtshof nicht dazu
in der Lage die Gültigkeit des - derzeit rein politischen - OMT-Beschlusses zu beurteilen.
19. Das bedeutet nach Ansicht des Europäischen Parlaments allerdings nicht, dass das
Vorabentscheidungsersuchen insgesamt hypothetischen Charakter hätte oder der
Gerichtshof dazu aufgefordert wäre, ein allgemeines Gutachten zu Fragen der
Wirtschafts- und Währungspolitik und deren Abgrenzung voneinander abzugeben.13
B.
Zur Frage der Auslegung einschlägiger Vertragsbestimmungen im Hinblick
auf den OMT-Beschluss
a)
Vorbemerkungen
20. Das Europäische Parlament hält die hilfsweise gestellten Fragen nach der Auslegung des
Vertrages für zulässig. Die bloße Ankündigung des OMT-Beschlusses hat sich nach weit
verbreiteter Ansicht14 bereits beruhigend auf die Finanzmärkte ausgewirkt; wenn diese
Ankündigung auch keine rechtlichen Wirkungen entfaltet hat, so ist ihr jedenfalls
beträchtlicher faktischer Einfluss auf die Finanzmärkte nicht abzusprechen. Die
Ankündigung des OMT-Beschlusses in der Presseerklärung ist auch hinreichend
bestimmt, um dem Gerichtshof zu ermöglichen, die einschlägigen Vertragsbestimmungen
im Hinblick auf die währungspolitischen Befugnisse der EZB auszulegen.
21. Dabei ist es allerdings von entscheidender Bedeutung, dass der Gerichtshof bei der
Auslegung der relevanten Vertragsbestimmungen für sich nicht in Anspruch nimmt,
anstelle der EZB deren geldpolitische Befugnisse selbst näher zu bestimmen. Damit
würde er nämlich die primärrechtlich bestimmte Kompetenzzuweisung verletzen, wonach
der Rat der EZB in völliger Unabhängigkeit und ausschließlicher Zuständigkeit dazu
berufen ist, die Geldpolitik der Union festzulegen und auszuführen (Artikel 127 Absatz 2,
erster Gedankenstrich AEUV). Der Europäische Gerichtshof hat es bisher zu Recht
13
EuGH Urteil v 14.12.2006, C-217/05, Confederacion Espanola de Empresarios de Estaciones de
Servicio, Slg 2006, I-11987, Rz 17; Urteil v 16.7.1992, C-83/91, Meilicke, Slg 1992, I-4871, Rz 25.
14
http://de.wikipedia.org/wiki/Outright_Monetary_Transactions
7
immer vermieden, den Überlegungen der zuständigen Unionsorgane vorzugreifen und
ihren politischen Entscheidungsspielraum einzuengen. Dieser Respekt für die
primärrechtlichen Aufgabenzuweisungen sollte den Gerichtshof auch in diesem
Verfahren leiten und ihn davor bewahren, die Kompetenzausübung der EZB
ungebührlich einzuschränken oder zu prädeterminieren.
22. Zusätzlich sei dran erinnert, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes
politische Entscheidungen, die einer komplexen Bewertung bedürfen, nur einer
begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Bei der Ausübung eines so weiten
Ermessens darf der Richter nicht die Beurteilungen, zu denen das zuständige Organ
gekommen ist, durch seine eigene ersetzen.15 Zweifellos verfügt der EZB-Rat bei der
Verwirklichung der Geldpolitik, einer hochkomplexen, hochspezifischen Materie, die ein
besonders
profundes
Expertenwissen
verlangt,
über
einen
beträchtlichen
Beurteilungsspielraum.
23. Dieser Beurteilungsspielraum der EZB ist umso grösser, als der AEUV keine Definition
der Währungspolitik enthält, sondern nur auf die Ziele dieser Politik und nicht auf ihre
Instrumente Bezug nimmt, wie der Gerichtshof bereits in seinem „
Pringle“-Urteil
festgestellt hat.16
24. Schließlich ist die der EZB primärrechtlich durch Artikel 130 und 282 AEUV garantierte
Unabhängigkeit besonders hervorzuheben, die sicherstellen soll, dass die EZB vor jeder
politischen (oder richterlichen) Einflussnahme bewahrt werden soll, damit sie ihre
Aufgaben wirksam und autonom verfolgen kann.
25. Vor diesem Hintergrund geht das Europäische Parlament nun im Einzelnen auf die Frage
ein, ob die Artikel 119, 127 und 123 des AEUV Vertrages sowie die Artikel 17 bis 24 des
Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der
Europäischen Zentralbank (nachfolgend: „ESZB/EZB Satzung“) so auszulegen sind, dass
die EZB den politischen OMT-Beschluss fassen konnte, ohne ihre währungspolitisches
Mandat zu überschreiten.
b)
Der OMT-Beschluss beschränkt sich auf eine bloße Ankündigung möglicher
zukünftiger Handlungen im Rahmen des währungspolitischen Mandats
15
EuGH Urteil v 18.3.1975, 78/74, Deuka:EU:C:1975:44,Rz 29; EuGH Urteil v 22.1.2014, C-270/12,
Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat,:EU:C2014:18, Rz 102;
16
EuGH Urteil v 27.11.2012, C-370/12, Pringle, Rz 53.
8
26. Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass der genannte OMT-Beschluss nicht
mehr als eine Erklärung zu zukünftigen Maßnahmen darstellt, die von der EZB unter
bestimmten Umständen ergriffen werden könnten. Die Erklärung selbst hat zu keinen
Ankäufen von Anleihen oder anderen Finanzgeschäften geführt oder irgendeine andere
Maßnahme nach sich gezogen, die als wirtschaftspolitische Maßnahme qualifiziert
werden oder sonst als über das währungspolitische Mandat hinausgehend angesehen
werden könnte.
27. Aus dem OMT-Beschluss, wie er sich aus der Presserklärung ergibt, ist kein Hinweis
darauf zu finden, dass die EZB beabsichtigt, über ihr Mandat gemäß Artikel 127 AEUV
hinauszugehen oder gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung des Artikels 123
AEUV zu verstoßen.
28. In der Tat wird deutlich erklärt, dass der EZB-Rat OMTs nur “
in Erwägung ziehen [wird]
sofern sie aus geldpolitischer Sicht geboten sind”. Außerdem wird der EZB-Rat nur
„
nach einer gründlichen Beurteilung […]
im alleinigen Ermessen und im Einklang mit
seinem geldpolitischen Mandat über Aufnahme, Fortsetzung und Einstellung von
geldpolitischen Outright-Geschäften entscheiden.“
c)
Die Festlegung und Durchführung der Geldpolitik auf der Grundlage der
finalen Aufgabenzuschreibung des Vertrages fällt in die ausschließliche
Zuständigkeit des ESZB-Rates
29. Es ist sicher die Pflicht des EZB-Rates, Maßnahmen nur unter der Bedingung zu
ergreifen, dass die EZB innerhalb ihres währungspolitisches Mandats bleibt und dass sie
das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung gemäß Artikel 123 AEUV achtet. Es ist
jedoch die ausschließliche Befugnis des EZB-Rates, die Geldpolitik festzulegen und
auszuführen und damit auch die Art und Weise zu bestimmen, wie er seinen
primärrechtlichen Handlungsspielraum ausschöpft.
30. Es ist allerdings nicht Sache der Gerichte, die Verträge um weitere Bedingungen oder
Beschränkungen der Befugnisse des EZB-Rates zu ergänzen. Nur wenn es offenkundig
nicht möglich wäre, den politischen OMT-Beschluss ohne Verletzung des
währungspolitischen Mandats durchzuführen, stünde er im Widerspruch zum
währungspolitischen Mandat des EZB-Rates. Anderenfalls würde es zu einem Eingriff in
die ausschließliche Befugnis des EZB-Rates, die Geldpolitik festzulegen und auszuführen
9
und zu einer Verletzung der Unabhängigkeit der EZB gemäß Artikel 130 AEUV und
Artikel 282 Absatz 3 AEUV kommen.
31. Aus dem gleichen Grund ist besondere Umsicht notwendig, was die Festlegung der
Bedingungen anbelangt, unter denen der OMT-Beschluss mit dem währungspolitischen
Mandat vereinbar sein könnte. Würden diese Bedingungen - wie vom BVerfG nahegelegt
- definiert, würde dies bedeuten, dass die EZB nicht die Möglichkeit hätte, in einer
anderen Art und Weise die Durchführung des OMT-Beschlusses im Einklang mit ihrem
währungspolitischen Mandat festzulegen. Unter Berücksichtigung der hohen Komplexität
der Festlegung der Geldpolitik würden nähere Spezifizierungen das Risiko bergen,
Bedingungen aufzuerlegen, die sich nach einer umfassenden Prüfung durch
Sachverständige der Geldpolitik als für die Zwecke der Geldpolitik unangemessen oder
ungerechtfertigt erweisen könnten. Derartige Bedingungen würden in die ausschließliche
Kompetenz der EZB eingreifen und die Unabhängigkeit der EZB gemäß Artikel 130 und
282 Absatz 3 AEUV in Frage stellen.
32. Sollte es mit anderen Worten der Vertrag erlauben, die angekündigten Maßnahmen unter
Beachtung des währungspolitischen Mandats zu ergreifen, muss die Auslegung der
einschlägigen Vertragsbestimmungen durch den Gerichtshof der EZB ausreichend
Spielraum einräumen, damit die EZB die gesamten Bedingungen selbst definieren kann.
33. Das Europäische Parlament behauptet keineswegs, dass die EZB die Kompetenz hat, ihre
eigenen Befugnisse festzulegen. Die Argumentation des BVerfG übersieht jedoch, dass
die Befugnis, „
die Geldpolitik festzulegen und auszuführen“, eine der spezifischen
Befugnisse der EZB ist. Das Mandat der EZB besteht somit genau darin, die
Währungspolitik innerhalb der Beschränkungen des Vertrages im Detail festzulegen. Es
ist auch unbestritten, dass das Primärrecht dem Europäischen System der Zentralbanken
gestattet auf den Finanzmärkten tätig zu werden und börsengängige Anleihen zu kaufen
(Artikel 18 der ESZB/EZB Satzung).
34. Detaillierte Angaben dazu, wie die Ankündigungen des OMT-Beschluss durchzuführen
seien, würden daher bedeuten, den der EZB innerhalb ihres Mandats zur Verfügung
stehenden Ermessensspielraum zu beschränken. Derartige Beschränkungen stünden aber
im Widerspruch zum Vertrag und könnten auch darauf hinauslaufen, der EZB im
Widerspruch zu Artikel 130 und 282 AEUV Anweisungen zu erteilen.
10
35. Darüber hinaus erfordert die nähere Festlegung der Geldpolitik das besonders hohe
Niveau der fachlichen Kompetenz, über die die EZB und die nationalen Zentralbanken
verfügen. Es kann auch Situationen oder Probleme geben, hinsichtlich deren die Experten
unterschiedlicher Meinung sind, ohne dass einer von ihnen aus rechtlicher Sicht eine
falsche Auffassung vertritt. Es mag sogar sein, dass nur die zukünftige Entwicklung es
erlaubt, im Nachhinein Schlussfolgerungen über die Angemessenheit einer
währungspolitischen Maßnahme zu ziehen. Beschränkungen des Mandats, die von
anderen festgelegt werden, tragen das Risiko, höchst unsachgemäß zu sein und
widersprechen dem primärrechtlichen Auftrag an das System der Zentralbanken die
Geldpolitik eigenständig und unabhängig auszuführen.
d)
Zur Abgrenzung zwischen Wirtschafts-und Währungspolitik:
Der OMT-Beschluss bezweckt die Effektivität der Geldpolitik zu schützen
36. Erklärtes Ziel des OMT-Programms ist die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen
geldpolitischen Transmission sowie die Einheitlichkeit der Geldpolitik. Die wirksame
Durchführung der Währungspolitik, d. h. das erklärte Ziel des OMT-Programms,
insbesondere der Zusammenhang zwischen Leitzins und Bankenzinsen, ist eindeutig als
Teil der Währungspolitik und nicht der Wirtschaftspolitik zu sehen. Das OMT-Programm
verfolgt somit eindeutig kein wirtschaftspolitisches Ziel. Eine Verbindung zur
Wirtschaftspolitik ändert aber nichts an der währungspolitischen Natur des OMT
Beschlusses.
37. Die Tatsache, dass eine Verbindung zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen möglich ist,
kann eine Maßnahme nicht aus dem Bereich der Geldpolitik ausschließen. Der Vertrag
selbst fordert, dass die Währungspolitik die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union
unterstützen
soll.17 Wirtschafts- und Währungspolitik sind zwei unterschiedliche
Politikbereiche, sie sind aber eng miteinander verbunden. Wie der Gerichtshof im
Pringle
Urteil (Rz 56 und 97) feststellte, ändern mögliche Auswirkungen einer
wirtschaftspolitischen Maßnahme im Bereich der Währungspolitik nicht den
wirtschaftspolitischen Charakter dieser Maßnahme. Dies muss dann aber auch in
umgekehrter Richtung gelten: eine währungspolitische Maßnahme wird nicht allein
17 Artikel 119 Absatz 2 und 127 Absatz 1 AEUV.
11
deshalb zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme, weil sie Auswirkungen auf oder
Verbindungen zu diesem Bereich hat.
38. Der OMT-Beschluss enthält keinen Hinweis darauf, dass eine lenkende Gestaltung der
Wirtschaftspolitik beabsichtigt sei. Im Gegenteil wird ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass das OMT-Programm seinerseits davon abhängt, dass die strenge Konditionalität
einer bereits ergriffene Maßnahmen der Wirtschaftspolitik in Form von Finanzhilfen des
ESM oder der EFSF beachtet wird. Jede Lenkung wird daher im Rahmen der
einschlägigen wirtschaftspolitischen Maßnahme durchgeführt und das OMT-Programm
ist höchstens eine Maßnahme, die diese Politik unterstützt.
39. Die EZB setzt voraus, dass die die Auflagen aus den Hilfsprogrammen vollständig erfüllt
werden und die betroffenen Mitgliedstaaten Zugang zum Anleihenmarkt haben, so dass
die mit dem Zinsmechanismus verbundene fiskalische Disziplinierung erhalten bleibt.
Daraus schließt das Europäische Parlament, dass das OMT-Programm keine Maßnahme
im Bereich der Wirtschaftspolitik abändert, sondern seinerseits von der Achtung der
bestehenden Voraussetzungen in Bezug auf die Wirtschaftspolitik abhängig gemacht
wird. Wie bereits ausgeführt, ist dies genau die Logik, die der Gerichtshof in der
Rechtssache
Pringle, Rz 69, angewandt hat.
Der OMT Beschluss richtet sich gegen Zinsaufschläge in Verfolgung
einer geldpolitischen Zielsetzung
40. Im OMT-Beschluss oder in den Erklärungen der EZB finden sich keine Hinweise auf eine
Absicht, die Zinsaufschläge im Allgemeinen zu neutralisieren. Vielmehr geht es darum,
eine Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu beheben, die verhindert,
dass die EZB mit geldpolitischen Impulsen die Realwirtschaft erreicht. Nach Auffassung
der EZB würden bei einer Normalisierung der geldpolitischen Transmission
Zinsdifferenzen durchaus fortbestehen, nur die irrationalen, unbegründeten Zinsaufschläge,
die aus einer Angst über die Zukunft der Währung resultieren, würden entfallen.
41. Diese Zielsetzung mag unter Ökonomen kontrovers beurteilt werden. Eine wirtschaftliche
Analyse sollte allerdings nicht als Ausdruck der Rechtslage missverstanden werden. Aus
rechtlicher Sicht erscheint die Verfolgung einer geldpolitischen Zielsetzung in der
vorgeschlagenen Form aber nicht zu beanstanden.
12
Die Zusammensetzung des Euro-Währungsgebietes ist nicht ein Ziel,
sondern ein Teil des die Organe bindenden Rechtsrahmens
42. Der OMT-Beschluss nennt die Wahrung der Zusammensetzung des Euro-
Währungsgebietes nicht als eigenständiges Ziel. Dieses Ziel könnte höchstens der
berühmt geworden Äußerung des EZB-Präsidenten vom 26. Juli 2012 entnommen
werden, wonach die EZB alles tun werde, um den Erhalt des Euro sicherzustellen.
Allerdings ist zur Vollständigkeit zu ergänzen, dass dieser Aussage die bedeutende
Einschränkung vorausgestellt wurde, wonach die EZB dieses Ziel unter Wahrung ihres
Mandates zu verfolgen beabsichtigt.18
43. Die Zusammensetzung des Euro-Währungsgebietes ist bereits im Vertrag festgelegt.
Wurde eine Ausnahmeregelung gemäß Artikel 140 AEUV aufgehoben und hat der
betroffene Mitgliedstaat folglich den Euro als Währung eingeführt, gestattet der Vertrag
keine Rückkehr zu einer nationalen Währung. Außer im Wege einer Vertragsänderung
kann diese Prämisse nicht in Frage gestellt werden. Somit stellt die „Unumkehrbarkeit“ des
Euro eine Voraussetzung für die Ausübung des geldpolitischen Mandates der EZB dar.
44. Das Europäische Parlament ist der Meinung dass die Unumkehrbarkeit des Euro nicht auf
Kosten der Preisstabilität, sondern innerhalb des Mandats der EZB gewährleistet wird. In
der Tat, ist die Glaubwürdigkeit der Unumkehrbarkeit des Euro eine wichtige
Voraussetzung dafür, dass Preisstabilität im Rahmen der primärrechtlichen Zielvorgaben
erreicht werden kann.
Selektivität und Parallelität zu wirtschaftspolitischen Hilfsprogrammen
beeinträchtigen nicht die Qualifikation als geldpolitische Maßnahme
45. Die Tatsache, dass Währungspolitik im Allgemeinen nicht auf spezifische Mitgliedstaaten
abzielt, bedeutet nicht, dass die EZB an einer Ausrichtung auf spezifische Mitgliedstaaten
gehindert wäre. Im Gegenteil, die EZB muss ihre Tätigkeit auf das beschränken, was für
das Erreichen eines rechtmäßigen Zwecks notwendig ist. In Bezug auf den OMT-
Beschluss ist klar, dass der Zweck darin liegt, Probleme zu bekämpfen, die nur spezifische
Mitgliedstaaten betreffen. Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass Geschäfte auf
den Finanzmärkten gemäß Artikel 18 der ESZB/EZB Satzung definitionsgemäß diese
18 “
Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro.”
13
Märkte betreffen und dass genau dies ihr Zweck ist. Hinsichtlich des Risikos, andere
Mitgliedstaaten zu benachteiligen, verweist das Parlament darauf, dass das Ziel des OMT
Beschlusses nur darin besteht, ungerechtfertigte Zinserhöhungen abzuschneiden, und dass
die EZB bereits erklärt hat, dass sie immer eine autonome Analyse der allgemeinen
Bedingungen durchführen werde.
46. Die EZB hat erklärt, dass das OMT-Programm für zukünftige Fälle makroökonomischer
Anpassungsprogramme oder vorsorglicher Programme von EFSF/ESM in Betracht
gezogen werde und für Mitgliedstaaten, die sich derzeit in einem makroökonomischen
Anpassungsprogramm befinden, in Erwägung gezogen werden könnte, wenn diese wieder
Zugang zum Anleihenmarkt erlangten, aber nur „
solange die die mit den Programmen
verbundene Konditionalität vollständig erfüllt ist. Der EZB-Rat wird die Transaktionen
einstellen, sobald die damit verfolgten Ziele erreicht wurden oder wenn eine
Nichteinhaltung des makroökonomischen Anpassungsprogramms bzw. des vorsorglichen
Programms festzustellen ist“.
47. Daraus folgt, dass der OMT Beschluss an die Beachtung der Konditionalität eines
ESM/EFSF Hilfsprogrammes anknüpft, diese aber unverändert belässt und sie somit
unterstützt.
48. Es ist auch keineswegs zu erwarten, dass die EZB die im OMT-Beschluss angekündigten
Maßnahmen in einer Art und Weise festlegen wird, die die Konditionalität der
Hilfsmaßnahmen aus EFSF und ESM unterlaufen könnte. Aus der Tatsache, dass die
Achtung der Konditionalität durch den betreffenden Mitgliedstaat notwendig ist, folgt im
Gegenteil, dass das OMT-Programm diese Konditionalität unterstützt und stärkt. Die Logik
des OMT-Beschlusses ist also die gleiche, wie sie dem
Pringle Urteil19 zugrunde liegt,
nämlich, dass OMTs genau wie der ESM auch der Achtung der Konditionalität
unterliegen, um zu gewährleisten, dass sie im Einklang mit Unionsrecht durchgeführt
werden, einschließlich der von der Union im Zusammenhang der Koordinierung der
Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen. Es ist erneut darauf
hinzuweisen, dass es in der Verantwortung der EZB liegt, wie dies geschieht, und dass ihr
Gestaltungsspielraum nicht vorher durch die genaue Festlegung einer Vorgehensweise
eingeschränkt werden kann.
19 Vorzitiert, Rz 69.
14
49. Der Vollständigkeit halber, sei auch drauf hingewiesen, dass die sehr spezifischen Ziele
des OMT-Beschlusses, nämlich ungerechtfertigte Zinsaufschläge zu unterbinden sowie
eine ordnungsgemäße geldpolitische Transmission und die Einheitlichkeit der Geldpolitik
sicherzustellen, andere Ziele sind als die von EFSF und ESM verfolgten, die darin
bestehen konkrete Finanzhilfen bereitzustellen. Diese beiden Zielsetzungen sind
unterschiedlich, stehen aber in einem Zusammenhang.
Der OMT Beschluss untergräbt nicht die vom ESM Vertrag geforderte
Konditionalität.
50. Was die vom BVerfG ausgedrückten Bedenken, der OMT-Beschluss könnte die in EFSF
und ESM festgelegte Konditionalität unterlaufen, anbelangt, ist auch das Europäische
Parlament der Auffassung, dass eine solche Wirkung nicht hinnehmbar wäre. In der Tat
ist es klar, dass die beschlossenen Maßnahmen im Bereich der Wirtschaftspolitik Teil des
rechtlichen Rahmens des Unionsrechts bilden, in dem die EZB ihre Aufgaben
wahrzunehmen hat. Es ist aber gerade die deklarierte Intention des OMT-Beschlusses,
dass die EZB beabsichtigt, die Konditionalität der Programmerfüllung dadurch zu
unterstützen, dass sie OMTs sogar davon abhängig macht, dass ein Mitgliedstaat seine
Pflichten aus diesen Programmen erfüllt. Das Europäische Parlament findet keine Grund
zur Annahme, dass die EZB gegen die Konditionalität der Hilfsprogramme verstoßen
würde.
51. Im Übrigen ist erneut auf die ausschließliche Kompetenz der EZB zum Ergreifen
währungspolitischer Maßnahmen hinzuweisen: das Europäische Parlament hielte es für
vertragswidrig, würde eine andere Einrichtung der EZB im Hinblick auf das Volumen der
Anleihekäufe Anweisungen erteilen oder ihr vorschreiben, diese Volumina vorher
bekannt zu geben.
e)
Zur Auslegung von Artikel 123 AEUV
52. Die in Artikel 123 niedergelegte Verpflichtung, keine Überziehungsfazilitäten
bereitzustellen oder von Organen der Union oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften
der Mitgliedstaaten unmittelbar Schuldtitel zu erwerben, ist auch im Rahmen des OMT-
Beschlusses zu beachten. Wie dies geschieht, muss jedoch – wie bereits ausgeführt - von
der EZB selbst festgelegt werden. Während eine spezifische, tatsächlich durchgeführte
15
Handlung der EZB Gegenstand einer genaueren gerichtlichen Prüfung sein kann, kann
die genaue Verfahrensweise, mit der die EZB diese Vorschrift auf allgemeiner Ebene
beachten sollte, nicht im Voraus von dafür nicht zuständigen Organen der Union oder
Einrichtungen der Mitgliedstaaten festgelegt werden. Diese Festlegung würde die Gefahr
bergen, den Gestaltungsspielraum der EZB über Gebühr zu beschränken.
53. Davon abgesehen, ist Artikel 123 AEUV jedenfalls dahingehend auszulegen, dass er der
EZB ausdrücklich verbietet, Schuldtitel unmittelbar vom emittierenden Mitgliedstaat zu
erwerben. Das Erstrecken des Verbotes auf den mittelbaren Erwerb würde den Wortlaut
von Artikel 123 AEUV bedeutungslos machen. Dem Wort „
unmittelbar“ würde seine
Bedeutung entzogen, wenn es keine Beschränkung des Erwerbs unmittelbar vom
Aussteller wäre.
54. Dass eine Umgehung des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung vertragswidrig
wäre, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass Vertragsbestimmungen nicht umgangen
werden dürfen, folgt schon aus dem Gebot der praktischen Wirksamkeit. Es sollte einem
Gemeinschaftsorgan aber auch nicht ohne nähere Anhaltspunkte das Bestreben unterstellt
werden, Vertragsvorschriften zu unterlaufen. Das Europäische Parlament vermag im
OMT-Beschluss keine Anhaltspunkte zu finden, die auf eine Umgehungsabsicht der EZB
schließen ließen.
55. Im Gegenteil, stellt die EZB im OMT-Beschluss klar, dass sie beabsichtigt, geeignete
Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Staatsanleihen am Sekundärmarkt
nicht in einer Weise erworben werden können, die einer Umgehung des Verbots des
Erwerbs am Primärmarkt gleichkommen könnte. Diese Klarstellung wird nicht dadurch
entkräftet, dass die EZB nicht vorab alle Details zu den Bedingungen, unter denen sie
Staatsanleihen zu erwerben beabsichtigt, preisgibt. Aber auch der EZB ist der 8.
Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates zur Festlegung der
Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel 104 und Artikel 104b Absatz 1
des Vertrags vorgesehenen Verbote bekannt. Dieser besagt, dass der Erwerb von
Schuldtiteln auf dem Sekundärmarkt an sich nicht verboten ist, dass er aber nicht in einer
Art und Weise erfolgen darf, die eine Umgehung des Verbots des Erwerbs direkt von den
emittierenden
Mitgliedstaaten
darstellen
würde.
Zur
Vermeidung
eines
Umgehungsrisikos hat die EZB bereits klargestellt hat, dass sie in geringem zeitlichen
Abstand vor oder nach der Emission von Staatsanleihen keine Anleihen erwerben werde.
16
56. Da der OMT-Beschluss bisher nicht umgesetzt wurde, sondern nur eine Ankündigung
möglicher zukünftiger Maßnahmen ist, kann derzeit nicht unterstellt werden, dass OMTs
nur unter Verletzung des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung durchgeführt
werden könnten. Das Bestreben, die genaueren Bedingungen für OMTs festzulegen, die
diesem Verbot nicht zuwiderlaufen würden, liefe aber auf eine unzulässige Einmischung
in die Kompetenz der EZB dar.
57. Nichts im OMT-Beschluss erlaubt die Schlussfolgerung, dass die EZB die Verlustrisiken
nicht gebührend berücksichtige, wenn sie Staatsanleihen im OMT-Programm kaufen
würde. Insbesondere gibt es keine Grundlage für die Annahme, dass das OMT-Programm
in einer Weise entwickelt und durchgeführt werden würde, die dazu führt, dass die EZB
vermeidbare Verlustrisiken in erheblichem Umfang eingeht.
58. Dasselbe trifft auf die Frage zu, wie lange die EZB die Anleihen halten würde, und
welche Folgen einträten, wenn sie diese bis zur Endfälligkeit halten würde. Der Vertrag
enthält keine Bestimmungen zu der Frage, ob die EZB Anleihen über einen bestimmten
Zeitraum halten kann. Die Festlegung von Bedingungen für die EZB, dies vorab
vorzunehmen, würde der autonomen Währungspolitik der EZB widersprechen.
IV. SCHLUSSFOLGERUNGEN
59. Der OMT-Beschluss entfaltet keine rechtlichen Wirkungen, sondern kündigt lediglich
mögliche künftige Handlungen der EZB an. Nach Ansicht des Europäischen Parlaments
kann sich der Gerichtshof daher nicht zur Gültigkeit dieses Beschlusses äußern.
60. Die hilfsweise gestellte Frage zur Auslegung der Verträge kann vom Gerichtshof
beantwortet werden. Allerdings muss der Gerichtshof dabei klar zwischen den rechtlichen
Vorgaben der Verträge und der Festlegung und Ausführung der Geldpolitik der Union
durch die unabhängige EZB in ausschließlicher Zuständigkeit unterscheiden.
61. Angesichts all dieser Erwägungen schlägt das Europäische Parlament dem Gerichtshof
vor, auf die Vorlagefragen folgendermaßen zu antworten:
-
Artikel 119 und 127 AEUV sowie Artikel 17 bis 24 der ESZB/EZB Satzung sind im
Hinblick auf Artikel 3 AEUV - durch den der Union die ausschließliche
Zuständigkeit für die Währungspolitik für die Mitgliedstaaten übertragen wird, deren
Währung der Euro ist, - so auszulegen, dass die Währungspolitik durch das ESZB
17
ausgeübt wird, dessen Aufgabe darin besteht, die Geldpolitik der Union festzulegen
und auszuführen und die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union zu unterstützen.
Darüber hinaus ist das ESZB für Offenmarktgeschäfte zuständig, wie etwa den
Erwerb von Staatsanleihen, wobei sie selbst die detaillierten Bedingungen beschließt,
unter denen sie dazu bereit ist, derartige Geschäfte abzuschließen.
-
Diese Zuständigkeit beinhaltet die Verpflichtung sicherzustellen, dass solche
Geschäfte nicht das währungspolitische Mandat überschreiten, indem sie
Maßnahmen konterkarieren, die auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik der
Mitgliedstaaten oder im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung auf Ebene
der Union ergriffen wurden. Wie diese ausschließliche Zuständigkeit der ESZB
ausgeübt wird, kann nicht vorab durch ein anderes Organ oder einen andere
Einrichtung im Wege der Auslegung des Vertrages im Einzelnen festgelegt werden.
-
Artikel 123 AEUV verbietet den Erwerb von Staatsanleihen unmittelbar vom
emittierenden Mitgliedstaat, nicht aber den Erwerb auf den Sekundärmärkten, soweit
er nicht in Umgehungsabsicht erfolgt. Die ausschließliche Zuständigkeit des ESZB
zur Festlegung und Durchführung der Geldpolitik beinhaltet die Verantwortung,
sicherzustellen, dass seine geldpolitischen Geschäfte dem Verbot des Artikel 123
AEUV vollständig Rechnung tragen, wenn es über den Umfang des Ankaufs sowie
über den situationsangemessenen zeitlichen Abstand zur Emittierung auf dem
Primärmarkt entscheidet. Gleiches gilt für die Entscheidung darüber, ob die
Staatsanleihen
bis
zur
Endfälligkeit
gehalten
werden
dürfen,
welche
Mindestanforderungen an die Kreditwürdigkeit zu stellen sind und welche
Bedingungen im Falle eines Schuldenschnitts akzeptiert werden können. Das ESZB
wird dabei auch den Einfluss seiner Kommunikationspolitik auf die Preisbildung von
Staatsanleihen berücksichtigen müssen.
-
Es ist mit der Unabhängigkeit der EZB gemäß Artikel 130 AEUV unvereinbar,
wollte ein Unionsorgan oder eine mitgliedstaatliche Institution zu einem der
vorgenannten Aspekte der EZB Anweisungen erteilen.
Anders NEERGAARD
Evelyn WALDHERR
Ulrich RÖSSLEIN
Bevollmächtigte des Europäischen Parlaments