Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 18. August 2015
Thomas Henze
Dr. Björn Beutler, LL.M.
Bevollmächtigte der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland
Gerichtshof der Europäischen Union
ZUSTELLUNGEN
– Kanzlei –
Bevorzugt per e-Curia oder an:
2925 Luxemburg
Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie
Per e-Curia
Referat EA5
Scharnhorststr. 34 - 37
10115 Berlin
Deutschland
Telefax: +49 30 18615 - 5334
Stellungnahme
In der Rechtssache C-194/15
betreffend das dem Gerichtshof der Europäischen Union von der Commissione tributaria
provinciale di Torino (Italien) mit Beschluss vom 31. März 2015 vorgelegte Vorabentschei-
dungsersuchen in dem dort anhängigen Rechtsstreit
Véronique Baudinet u. a.
gegen
Agenzia delle entrate – Direzione provinciale I di Torino
nehmen wir namens und in Vollmacht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland wie
folgt Stellung:
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– 2 –
Inhaltsverzeichnis
A. EINLEITUNG .................................................................................................................... 3
B. RECHTLICHER RAHMEN ................................................................................................ 3
I. Unionsrecht ................................................................................................................... 3
II. Zwischenstaatliches Recht ............................................................................................ 4
III. Innerstaatliches Recht ................................................................................................. 5
C. SACHVERHALT UND VORLAGEFRAGE ........................................................................ 5
D. RECHTLICHE WÜRDIGUNG ........................................................................................... 6
I. Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ............................................................ 7
II. Nichtvorliegen einer Beschränkung ............................................................................... 8
1. Ausgangspunkt ........................................................................................................ 9
2. Vergleich mit der Besteuerung von Dividenden aus Italien ......................................10
3. Keine Beschränkung durch Methode und Höhe der Anrechnung der französischen
Quellensteuer ..............................................................................................................10
4. Keine Beschränkung durch Freistellung der Dividenden von der Besteuerung im
Umfang von 60 % ........................................................................................................12
a) Parallele zum Fall Kronos ...................................................................................12
b) Weitere Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ........................13
5. Zwischenergebnis ...................................................................................................14
III. Hilfsweise Ausführungen zur Rechtfertigung ...............................................................14
1. Im Allgemeininteresse liegende zwingende Ziele ....................................................15
a) Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ........................................15
b) Gewährleistung der Kohärenz des italienischen Steuersystems .........................16
2. Eignung ...................................................................................................................17
3. Verhältnismäßigkeit .................................................................................................17
4. Zwischenergebnis ...................................................................................................17
E. ERGEBNIS ......................................................................................................................17
– 3 –
A. EINLEITUNG
1
Das Vorabentscheidungsersuchen der Turiner Commissione tributaria provinciale (im
Folgenden: „Commissione“) betrifft die Besteuerung von Dividenden, die in einem Mit-
gliedstaat (hier: Italien) wohnhafte natürliche Personen von einer Gesellschaft bezie-
hen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Frankreich) ansässig ist.
2
Im Kern geht es dabei um die Frage, ob Italien als Wohnsitzstaat verpflichtet ist, eine
vollständige Anrechnung der von Frankreich auf den Gesamtbetrag der Dividenden er-
hobenen Quellensteuer vorzunehmen, obwohl Italien selbst lediglich 40 % des Brutto-
betrags dieser Dividenden mit dem jeweiligen persönlichen Steuersatz versteuert.
3
Wie die Bundesregierung im Folgenden ausführen wird, ist diese Frage aus deutscher
Sicht zu verneinen.
B. RECHTLICHER RAHMEN
I. Unionsrecht
4
Die in den Vorlagefragen benannten Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitswei-
se der Europäischen Union (im Folgenden: „AEUV“) lauten auszugsweise wie folgt:
„
Artikel 63 (ex-Artikel 56 EGV)
(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkun-
gen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den
Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
[…]
Artikel 65 (ex-Artikel 58 EGV)
(1) Artikel 63 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,
a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die
Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort
unterschiedlich behandeln,
b) die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen ge-
gen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesonde-
re auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinsti-
tute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr
zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder
– 4 –
Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung
oder Sicherheit gerechtfertigt sind.
[…]
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren
dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine ver-
schleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sin-
ne des Artikels 63 darstellen.
[…]“
II. Zwischenstaatliches Recht
5
Das zwischen Italien und Frankreich geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen (im
Folgenden: „DBA“) vom 5. Oktober 1989 sieht in seinem Art. 10 vor:
„1. Dividenden, die von einer in dem einen Staat ansässigen Gesel schaft
an einen Gebietsansässigen des anderen Staates gezahlt werden, können
in diesem anderen Staat besteuert werden.
2. Diese Dividenden können jedoch auch in dem Staat, in dem die Dividen-
den zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates
besteuert werden; wenn der Empfänger der Dividenden der tatsächliche
Nutzungsberechtigte ist, darf die so erhobene Steuer indessen
[…]
b) in allen anderen Fällen 15 % des Bruttobetrags der Dividenden
nicht übersteigen. […]“
6
Art. 24 Abs. 1 DBA bestimmt für in Frankreich steuerpflichtige Einkommensbestandtei-
le, die auch in Italien in die Bemessungsgrundlage für die italienische Einkommensteu-
er einbezogen werden, dass Italien zwecks Beseitigung der Doppelbesteuerung „von
den so berechneten Steuern die in Frankreich bezahlte Einkommensteuer abziehen“
muss. Zugleich legt Art. 24 DBA jedoch fest, dass eine Anrechnung der auf diese Ein-
künfte erhobenen Steuer den Anteil der italienischen Steuern nicht überschreiten darf,
der den vorgenannten Einkommensbestandteilen in dem Verhältnis zuzuschreiben ist,
in dem sie zur Bildung des Gesamteinkommens beitragen.
– 5 –
III. Innerstaatliches Recht
7
Im innerstaatlichen italienischen Recht sind die auf die Einkommensteuer bezogenen
Rechtsvorschriften im Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917 vom 22. Dezember
1986 in der durch das Decreto legislative Nr. 344 vom 12. Dezember 2003 geänderten
Fassung enthalten, dem so genannten Testo Unico delle Imposte sui Redditi (im Fol-
genden: „T.U.I.R.“).
8
Nach Art. 47 Abs. 1 T.U.I.R. tragen Gewinnausschüttungen bestimmter Gesellschaften
oder Körperschaften zur Bildung des steuerpflichtigen Gesamteinkommens eines
Steuerpflichtigen bis zu 40 % ihres Betrages bei.
9
In Art. 165 Abs. 1 T.U.I.R. heißt es:
„Wenn zur Bildung des Gesamteinkommens ausländische Einkünfte beitra-
gen, können die dort endgültig auf diese Einkünfte gezahlten Steuern von
der zu zahlenden Nettosteuerbelastung abgezogen werden“,
und zwar
„bis in Höhe des Steueranteils, der dem Verhältnis zwischen ausländischen
Einkünften und dem Gesamteinkommen entspricht […].“
10
Weiterhin bestimmt Art. 165 Abs. 10 T.U.I.R.:
„Fal s die ausländischen Einkünfte teilweise zur Bildung des Gesamtein-
kommens beitragen, ist auch die ausländische Steuer in entsprechendem
Ausmaß zu reduzieren.“
11
Hinsichtlich der weiteren maßgeblichen Vorschriften erlaubt sich die Bundesregierung,
auf die Darstellung im Vorlagebeschluss zu verweisen.
C. SACHVERHALT UND VORLAGEFRAGE
12
Der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich wie
folgt zusammenfassen:
13
Die in Italien ansässigen Kläger des Ausgangsverfahrens sind an der französischen
Gesellschaft Paul Ricard S.A. beteiligt. Aus diesen Beteiligungen, deren Höhe unbe-
kannt ist, haben sie für die Jahre 2007 und 2008 Dividenden bezogen. Hierauf wurde in
Frankreich eine Quellensteuer in Höhe von 15 % erhoben.
– 6 –
14
In Italien wurden 40 % des Bruttobetrags der Dividenden mit dem entsprechenden per-
sönlichen Steuersatz versteuert. Dementsprechend wurde hierbei die französische
Quellensteuer lediglich zu 40 % angerechnet.
15
Die Kläger sind jedoch der Auffassung, dass die gesamte in Frankreich einbehaltene
Quellensteuer von der in Italien zu zahlenden Steuer abzuziehen sei. Ihrer Meinung
nach macht die in Italien geltende nationale Regelung für die Besteuerung von Divi-
denden ausländischen Ursprungs Beteiligungen an Gesellschaften, die in anderen Mit-
gliedstaaten ansässig sind, weniger attraktiv als Beteiligungen an italienischen Gesell-
schaften. Hierin erblicken die Kläger einen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Be-
stimmungen über die Freiheit des Kapitalverkehrs.
16
Vor diesem Hintergrund hat die Commissione entschieden, das bei ihr anhängige Ver-
fahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vor-
zulegen:
„Stehen die Art. 63 und 65 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
schen Union den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach
denen die Doppelbesteuerung im Fall einer in diesem Mitgliedstaat ansäs-
sigen Person, die als Aktionär einer in einem anderen Mitgliedstaat ansäs-
sigen Gesellschaft Dividenden bezieht, die in beiden Staaten besteuert
werden, nicht dadurch beseitigt wird, dass im Wohnsitzstaat eine Steuer-
gutschrift mindestens in Höhe der im Staat der ausschüttenden Gesell-
schaft gezahlten Steuer angerechnet wird?“
D. RECHTLICHE WÜRDIGUNG
17
Mit Blick auf die Formulierung der Vorlagefrage möchte die Bundesregierung vorweg-
schicken, dass die nur teilweise Anrechnung der französischen Quellensteuer nicht le-
diglich aus den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats (hier: Italien) resultiert. Viel-
mehr ist sie zugleich eine Folge des zwischen Italien und Frankreich geschlossenen
DBA. Daher ist letzteres bei den nachfolgenden Betrachtungen ebenfalls in den Blick
zu nehmen.
18
Hiervon ausgehend ist die Vorlagefrage im Ergebnis zu verneinen. Die im Ausgangsfall
einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen italienischen Rechts sowie des DBA
sind mit dem Unionsrecht vereinbar. Soweit tatsächlich eine Doppelbesteuerung er-
folgt, wird die französische Quellensteuer auch vollständig angerechnet. In der darüber
hinausgehenden Versagung der Anrechnung der französischen Quellensteuer liegt
keine unzulässige Beschränkung des freien Kapitalverkehrs.
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– 7 –
I. Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit
19
Die Commissione hat in ihrer Vorlagefrage mit Art. 63 und 65 AEUV ausschließlich Be-
stimmungen über die Kapitalverkehrsfreiheit als Prüfungsmaßstab benannt. Dies er-
scheint unproblematisch, da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Sachverhalt
des Ausgangsfalles in den Anwendungsbereich einer anderen Grundfreiheit fallen
könnte.
20
Zwar kann die steuerliche Behandlung von Dividenden dem Grunde nach sowohl unter
Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit als auch unter Art. 63 AEUV über den
freien Kapitalverkehr fallen.1 Doch die vom Gerichtshof zum Zwecke der Abgrenzung
verwendeten Kriterien führen hier nicht zu dem Ergebnis, dass stattdessen die Be-
stimmungen über die Niederlassungsfreiheit zur Anwendung gelangen müssten:
Bei der Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder
die andere dieser beiden Vertragsfreiheiten fällt, ist zunächst auf den Gegen-
stand der jeweiligen nationalen Regelung abzustellen:2
„Dazu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine nationale Rege-
lung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen si-
cheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und
deren Tätigkeiten zu bestimmen, unter die Bestimmungen des Vertrags
über die Niederlassungsfreiheit fällt […]. Hingegen sind nationale Bestim-
mungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage
erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens
Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien
Kapitalverkehr zu prüfen […].“3
Die im Ausgangsfall einschlägigen Bestimmungen des T.U.I.R. sowie des DBA
finden unabhängig von der Höhe der Beteiligung an einer Gesellschaft Anwen-
dung. Somit lässt sich anhand des Gegenstands dieser Rechtsvorschriften nicht
bestimmen, ob sie unter Art. 49 AEUV oder unter Art. 63 AEUV fallen.
Unter solchen Umständen berücksichtigt der Gerichtshof – soweit die einschlägi-
gen nationalen Regelungen Dividenden mit Ursprung in einem Mitgliedstaat be-
treffen – die tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles um zu bestim-
men, von welcher Grundfreiheit die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende
1 Urteile
Accor, C-310/09, EU:C:2011:581, Rn. 30;
Haribo Lakritzen Hans Riegel BetriebsgmbH und
Österreichische Salinen, C-436/08 und C-437/08, EU:C:2009:17, Rn. 33.
2 Urteil
Accor, zitiert in Fn.
1, Rn. 31.
3 Urteil
Accor, zitiert in Fn.
1, Rn. 32.
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– 8 –
Situation erfasst wird.4 Dies gilt namentlich mit Blick auf die Frage, ob die jeweils
vorhandenen Beteiligungen ihren Inhabern einen sicheren Einfluss auf die Ent-
scheidungen der Gesellschaft verschaffen und es ihnen ermöglichen, deren Tä-
tigkeit zu bestimmen; sofern letzteres zutrifft, finden die Bestimmungen des
AEUV über die Niederlassungsfreiheit Anwendung.5
Im vorliegenden Fall gibt es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beteili-
gungen der Kläger an der Gesellschaft Paul Ricard S.A. einen solchen sicheren
Einfluss vermitteln würden.
21
Hiervon ausgehend lässt sich festhalten, dass im Ausgangsfall der Anwendungsbe-
reich der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet ist und die Commissione Art. 63 und 65 AEUV
zutreffend als Prüfungsmaßstab benannt hat.
22
In diese Freiheit wird im Ausgangsfall jedoch nicht eingegriffen (nachfolgend
II.). Dem-
entsprechend nimmt die Bundesregierung zu einer möglichen Rechtfertigung aus-
schließlich hilfsweise Stellung (nachfolgen
d III.).
II. Nichtvorliegen einer Beschränkung
23
Bei der Beantwortung der Frage, ob es im vorliegenden Fall zu einer Beschränkung
der Kapitalverkehrsfreiheit kommt, ist von dem Umstand auszugehen, dass zwei Mit-
gliedstaaten ihre Besteuerungsbefugnis parallel zueinander ausüben.6 Allerdings gilt
diese Parallelität für die Besteuerung der Dividenden, welche die Kläger von der Ge-
sellschaft Paul Ricard S.A. beziehen, nur partiell. Denn
während Frankreich auf den gesamten Bruttobetrag dieser Dividenden eine
Quellensteuer in Höhe von 15 % erhebt,
bezieht Italien diese Dividenden lediglich mit 40 % ihres Bruttobetrages in die
Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ein.
24
Zugleich wird ein Abzug der französischen von der in Italien zu zahlenden Steuer nur in
begrenztem Umfang durchgeführt. Denn der abzugsfähige Betrag wird ausschließlich
4 Urteil
Beker und Beker, C-168/11, EU:C:2013:117, Rn. 28.
5 Urteil
Test Claimants in the FII Group Litigation, C- 446/04, EU:C:2006:774, Rn. 37.
6 Urteil
Kerckhaert und Morres, C-513/04, EU:C:2006:713, Rn. 20.
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– 9 –
von demjenigen Anteil des Bruttobetrags der Dividende berechnet, der für die italieni-
schen Steuervorschriften maßgebend ist, hier also 40 %.7
25
Diese Ausgestaltung der Besteuerung basiert nach den Ausführungen der Commissio-
ne, die insofern nicht weiter zu überprüfen sind,8 sowohl auf den Vorgaben des inner-
staatlichen italienischen Rechts (namentlich Art. 165 T.U.I.R.) als auch denjenigen des
DBA (namentlich Art. 24 DBA).9
26
Zu überprüfen ist jedoch, ob hierin eine Beschränkung der Freiheit des Kapitalverkehrs
liegt. Aus Sicht der Kläger ist dies zu bejahen. Wie bereits in Randnumm
er 15 ausge-
führt, werden ihrer Meinung nach durch die in Italien geltende Regelung für die Be-
steuerung von Dividenden ausländischen Ursprungs die Beteiligungen an Gesellschaf-
ten, welche in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, weniger attraktiv gemacht als
Beteiligungen an italienischen Gesellschaften. Namentlich meinen die Kläger, dass die
gesamte in Frankreich einbehaltene Quellensteuer von der in Italien zu zahlenden
Steuer abzuziehen sei.
27
Dem vermag die Bundesregierung nicht zu folgen.
1. Ausgangspunkt
28
Den Ausgangspunkt bildet insofern der Umstand, dass
„die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbe-
fugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine nach
dem EG-Vertrag verbotenen Beschränkungen darstellen, sofern eine sol-
che Ausübung nicht diskriminierend ist […].“10
Eine Diskriminierung besteht dabei nach ständiger Rechtsprechung in der Anwendung
unterschiedlicher Vorschriften auf vergleichbare Sachverhalte oder in der Anwendung
derselben Vorschrift auf unterschiedliche Sachverhalte.11
7 Ein Rechenbeispiel hierzu findet sich im Vorlagebeschluss auf S. [Or. 8].
8 Urteil
Damseaux, C-128/08, EU:C:2009:471, Rn. 22.
9 Vorlagebeschluss, S. [Or. 7] f.
10 Urteil
Damseaux, zitiert in Fn.
8, Rn. 27 unter Hinweis auf Urteile
Kerckhaert und Morres, zitiert in
Fn.
6, Rn. 19, 20 und 24 sowie
Orange European Smallcap Fund, C-194/06, EU:C:2008:289, Rn. 41,
42 und 47.
11 Urteil
Truck Center, C-282/07, EU:C:2008:762, Rn. 37.
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– 10 –
2. Vergleich mit der Besteuerung von Dividenden aus Italien
29
Hiernach läge eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zunächst einmal dann
vor, wenn die steuerliche Behandlung derjenigen Dividenden, die die Kläger von der in
Frankreich ansässigen Gesellschaft Paul Ricard S.A. beziehen, anders ausfiele als die
Behandlung von Dividenden, die aus Italien stammen, obwohl eine Gleichbehandlung
objektiv geboten wäre, weil beide Situationen vergleichbar sind.
30
Insofern ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach dem DBA – und innerhalb der dort
festgelegten Grenzen – die Besteuerung von Dividenden, welche von Gesellschaften
mit Sitz in Frankreich an in Italien Gebietsansässige ausgeschüttet werden, durch bei-
de Staaten zulässig ist. Somit hat Italien das Besteuerungsrecht für Dividenden, wel-
che in Italien ansässigen Personen zufließen, unabhängig davon, ob sie von einer in
Italien oder in Frankreich ansässigen Gesellschaft gezahlt werden.
31
Eine Beschränkung im Sinne des in Randnumm
er 29 Gesagten wäre hiernach nur
dann gegeben, wenn Italien Dividenden, die aus Frankreich stammen, anders und un-
günstiger besteuern würde als Dividenden, die von in Italien ansässigen Gesellschaf-
ten ausgeschüttet werden. Dies trifft jedoch nicht zu. Denn in beiden Fällen werden die
Dividenden nach italienischem Recht mit 40 % ihres Bruttobetrages im steuerlichen
Gesamteinkommen berücksichtigt und mit dem persönlichen Steuersatz zur Einkom-
mensteuer herangezogen. Folglich werden sie in Italien im selben Umfang der Besteu-
erung unterworfen.
3. Keine Beschränkung durch Methode und Höhe der Anrechnung der französi-
schen Quellensteuer
32
Damit ist als nächstes der Frage nachzugehen, ob es durch die Methode oder die Hö-
he der Anrechnung, welche in Italien hinsichtlich der in Frankreich gezahlten Quellen-
steuer vorgenommen wird, zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit kommt.
Es geht also darum, ob Italien – wie von den Klägern vorgetragen – verpflichtet wäre,
die gesamte in Frankreich einbehaltene Quellensteuer von der in Italien zu zahlenden
Einkommensteuer abzuziehen. Anders gewendet stellt sich die Frage, ob die Begren-
zung der Anrechnung der französischen Quellensteuer auf 40 %, welche auf Art. 165
Abs. 1 und Abs. 10 T.U.I.R. sowie Art. 24 DBA beruht, mit den unionsrechtlichen Be-
stimmungen über die Freiheit des Kapitalverkehrs vereinbar ist.
33
Aus Sicht der Bundesregierung ist dies zu bejahen. Denn die Begrenzung der Anrech-
nung der französischen Steuer auf 40 % entspricht spiegelbildlich der Begrenzung der
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– 11 –
Besteuerung von Dividenden in Italien in einem Umfang von nur 40 % der bezogenen
Dividenden. Da Frankreich 100 % der Dividenden einer Quellensteuer unterworfen hat,
Italien aber nur 40 % dieser Dividenden besteuert, ist es folgerichtig, dass Italien die
französische Steuer auch nur begrenzt auf seinen Besteuerungsumfang anrechnet.
34
Klarstellend sei insofern darauf hingewiesen, dass es im vorliegenden Fall nicht um die
Frage der Beseitigung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung geht. Letztere war be-
reits Gegenstand zahlreicher Verfahren vor dem Gerichtshof.12 Eine wirtschaftliche
Doppelbesteuerung ist gegeben, wenn hinsichtlich derselben Einkunftsquelle zwei ver-
schiedene Steuerpflichtige steuerlich in Anspruch genommen werden. Dies ist etwa
dann der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger, der von einer Gesellschaft Dividenden be-
zieht, zusätzlich zu seiner eigenen Besteuerung aufgrund der steuerlichen Vorbelas-
tung der ausschüttenden Gesellschaft wirtschaftlich belastet ist.
35
Im Ausgangsverfahren liegt hingegen eine juristische Doppelbesteuerung vor. Eine
solche ist hier insoweit gegeben, wie die beiden beteiligten Staaten – d. h. Italien als
Ansässigkeitsstaat und Frankreich als Quellenstaat – dieselben Einkünfte bei den kla-
genden Anteilseignern besteuern. Letzteres ist nur hinsichtlich einer Teilmenge von
40 % der Fall. Folglich unterliegen die Dividenden auch nur in diesem Umfang sowohl
der französischen als auch der italienischen Besteuerung.
36
Das Unionsrecht schreibt nach seinem gegenwärtigen Stand keine allgemeinen Krite-
rien für die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Be-
seitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Union vor.13 Nach dem von der Organi-
sation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (im Folgenden: „OECD“)
entwickelten Musterabkommen (im Folgenden: „OECD-MA“) ist diese Beseitigung im
Fall der juristischen Doppelbesteuerung Sache Italiens als Ansässigkeitsstaat. So se-
hen es Art. 23 A Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 23 B Abs. 1 OECD-MA vor. Den besag-
ten Bestimmungen des OECD-MA lässt sich überdies entnehmen, dass Italien frei da-
rin ist zu wählen, wie es die Beseitigung vornimmt, d. h. nach der Befreiungsmethode
(Art. 23 A OECD-MA) oder nach der Anrechnungsmethode (Art. 23 B OECD-MA).
37
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, beseitigt Italien nach den Vorga-
ben seines nationalen Rechts sowie der im DBA mit Frankreich getroffenen Vereinba-
rung die juristische Doppelbesteuerung der Dividenden – soweit diese tatsächlich vor-
12 Vgl. etwa Urteile
Test Claimants in the FII Group Litigation, zitiert in Fn.
5; Kommission / Deutsch-
land, C-284/09, EU:C:2011:670;
Amurta, C-379/05, EU:C:2007:655.
13 Urteil
Kronos, C-47/12, EU:C:2014:2200, Rn. 68.
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– 12 –
liegt – mittels der Anrechnungsmethode. Im Umfang von 40 % der von den Klägern
bezogenen Dividenden erfolgt also eine Anrechnung der in Frankreich einbehaltenen
Quellensteuer.
38
Dementsprechend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass in diesem Umfang keine
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt.
4. Keine Beschränkung durch Freistellung der Dividenden von der Besteuerung
im Umfang von 60 %
39
Eine Beschränkung der Freiheit des Kapitalverkehrs kann ferner auch nicht darin er-
blickt werden, dass für 60 % der durch die Kläger von der Gesellschaft Paul Ricard
S.A. bezogenen Dividenden eine Freistellung von der italienischen Steuer erfolgt.
a) Parallele zum Fall Kronos
40
Insofern ist zunächst auf das Urteil in der Rechtssache
Kronos14 hinzuweisen. In die-
sem hat sich der Gerichtshof bereits mit der Frage befasst, ob die Freistellung von aus-
ländischen Dividenden durch einen Mitgliedstaat eine Beschränkung der Grundfreihei-
ten darstellen kann.
41
In dem damals zugrundeliegenden Fall hatte sich ein Steuerpflichtiger benachteiligt ge-
fühlt, weil seine ausländischen Dividendeneinkünfte in Deutschland zu 100 % von der
Besteuerung freigestellt waren und er dementsprechend seine inländischen Verluste
steuerlich nicht nutzen konnte.15 Aus Sicht der Bundesregierung ist der vorliegende
Fall insoweit gleichgelagert, wie die aus Frankreich bezogenen Dividenden in Italien
nicht der Besteuerung unterworfen sind. Hinsichtlich dieser 60 % lastet auf den besag-
ten Dividenden ausschließlich die französische Quellensteuer. Mit anderen Worten
kommt es insoweit als Folge der Anwendung der Befreiungsmethode nicht zu einer ju-
ristischen Doppelbesteuerung.
42
Vor diesem Hintergrund lässt sich zunächst einmal die folgende Aussage aus dem Ur-
teil
Kronos auf den vorliegenden Fall übertragen:
„Folglich gehen in einer Situation, in der der Mitgliedstaat seine Besteue-
rungsbefugnis hinsichtlich der ausländischen Dividenden nicht ausübt, in-
dem er sie bei der Empfängergesellschaft weder besteuert noch auf andere
Weise berücksichtigt, seine Pflichten als Sitzstaat der die Dividenden be-
14 Urteil
Kronos, zitiert in Fn.
13. 15 Urteil
Kronos, zitiert in Fn.
13, Rn. 58.
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– 13 –
ziehenden Gesellschaft nicht so weit, dass er die sich aus der Ausübung
der Besteuerungsbefugnisse eines anderen Mitgliedstaats oder eines Dritt-
staats ergebende steuerliche Belastung ausgleichen müsste.“16
43
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich des freigestellten Teils der Dividenden
– wie im Fall Kronos – dem Fehlen einer Erstattung der französischen Quellensteuer
als Gegenstück die Nichtberücksichtigung der Dividenden bei der Veranlagung in Ita-
lien gegenübersteht.17
44
Dementsprechend lässt sich festhalten, dass hinsichtlich dieses in Italien freigestellten
Teils eine Parallele zum Fall Kronos besteht und – ebenso wie dort – das Vorliegen ei-
ner Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu verneinen ist.
b) Weitere Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des Gerichtshofs
45
Dafür, dass diese Sichtweise zutreffend ist, finden sich in der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs noch weitere Anhaltspunkte.
46
So hat er im Urteil
Meilicke (C-262/09) ausgeführt:
„Der in Art. 56 Abs. 1 EG niedergelegte freie Kapitalverkehr kann […] nicht
zur Folge haben, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, über eine Aufhebung
der inländischen Steuer, die der Anteilseigner für aus dem Ausland bezo-
gene Dividenden zu entrichten hat, hinauszugehen und einen Betrag zu er-
statten, der seinen Ursprung im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats
hat […], da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats
durch die Ausübung der Steuerhoheit des anderen Mitgliedstaats be-
schränkt würde […].“18
47
Demnach ist es unionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Italien nur diejenige Steu-
er anrechnet, die überhaupt zu einer Doppelbesteuerung führt. Hingegen würde eine
Verpflichtung zur vollständigen Anrechnung der ausländischen Quellensteuer unab-
hängig vom eigenen Steuerniveau eine Subvention der Besteuerung eines anderen
Staates darstellen. Diesbezüglich ist auf die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil
Gilly hinzuweisen, wo es heißt:
„Im übrigen wäre […] der Wohnsitzstaat, wenn er als Steueranrechnungs-
betrag einen höheren Betrag als den den Einkünften aus ausländischer
Quelle entsprechenden Teilbetrag der nationalen Steuer berücksichtigen
müßte, gezwungen, seine Steuer auf die übrigen Einkünfte entsprechend
16 Urteil
Kronos, zitiert in Fn.
13, Rn. 85.
17 Urteil
Kronos, zitiert in Fn.
13, Rn. 88.
18 Urteil
Meilicke u. a., C-262/09, EU:C:2011:438, Rn. 33.
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– 14 –
zu verringern, was für diesen Staat zu einem Verlust an Steuereinnahmen
führen und damit seine Souveränität auf dem Gebiet der direkten Steuern
beeinträchtigen würde.“19
48
Beachtung verdient ferner die Feststellung im Urteil
Block,
„dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Ge-
meinschaftsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Au-
tonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr
eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen
Mitgliedstaaten anzupassen, um namentlich die sich aus der parallelen
Ausübung ihrer Besteuerungsbefugnisse ergebende Doppelbesteuerung zu
beseitigen und so in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die An-
rechnung der Erbschaftsteuer zu ermöglichen, die in einem anderen Mit-
gliedstaat als dem Wohnsitzstaat des Erben entrichtet wurde […].“20
49
Zudem ist namentlich dem Urteil
Damseaux zu entnehmen, dass es Sache jedes Mit-
gliedstaates ist, unter Beachtung des Unionsrechts sein System der Besteuerung von
Gewinnausschüttungen zu organisieren und in diesem Rahmen die auf den empfan-
genden Anteilsinhaber anwendbare Besteuerungsgrundlage sowie den für ihn gelten-
den Steuersatz zu bestimmen.21
50
Hieraus lässt sich schließen, dass für einen Mitgliedstaat insoweit, wie er seine Be-
steuerungsbefugnis hinsichtlich ausländischer Dividenden nicht ausübt, als Sitzstaat
des Dividendenempfängers nicht die Pflicht besteht, die sich aus der Ausübung der
Besteuerungsbefugnisse eines anderen Mitgliedstaates ergebende steuerliche Belas-
tung ausgleichen zu müssen.
5. Zwischenergebnis
51
Dementsprechend kommt die Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass im Ausgangs-
fall keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt.
III. Hilfsweise Ausführungen zur Rechtfertigung
52
Vor diesem Hintergrund nimmt sie zur Frage einer möglichen Rechtfertigung nur kurso-
risch und ausschließlich für den Fall Stellung, dass der Gerichtshof hinsichtlich des
Vorliegens einer Beschränkung zu einem anderen Ergebnis gelangt. In diesem Fall wä-
19 Urteil
Gilly, C-336/96, EU:C:1998:221, Rn. 48.
20 Urteil
Block, C-67/08, EU:C:2009:92, Rn. 31.
21 Urteil
Damseaux, zitiert in Fn.
8, Rn. 25 unter Hinweis auf Urteile
Test Claimants in Class IV oft he
ACT Group Litigation, C-374/04, EU:C:2006:773, Rn. 50,
Test Claimants in the FII Group Litigation,
zitiert in Fn.
5, Rn. 47 sowie
Orange European Smallcap Fund, zitiert in Fn
. 10, Rn. 30.
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re zu berücksichtigen, dass nationale Maßnahmen mit dem Unionsrecht vereinbar sein
können, auch wenn sie geeignet sind, die Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit zu be-
hindern oder weniger attraktiv zu machen.
1. Im Allgemeininteresse liegende zwingende Ziele
53
Hierzu müssen die beschränkenden Maßnahmen zunächst einmal ein im Allgemeinin-
teresse liegendes zwingendes Ziel verfolgen.22
a) Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse
54
Als ein solches legitimes Ziel ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Wahrung
der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaa-
ten anerkannt.23 Sie dient dem Zweck, die Symmetrie zu wahren zwischen dem Recht
zur Besteuerung der Gewinne einerseits sowie der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu
bringen, andererseits.24
55
Eben dieses Ziel wird mit den im vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des itali-
enischen Rechts sowie des DBA verfolgt. Denn deren konsequente Anwendung hat
zur Folge, dass die ausgeschütteten Gewinne im Ergebnis nicht sowohl mit der franzö-
sischen Quellensteuer als auch mit der italienischen Einkommensteuer belastet wer-
den.
56
Hingegen wäre die vom Gerichtshof geforderte Symmetrie gestört, wenn man – den
Klägern folgend – verlangen würde, dass die gesamte französische Quellensteuer auf
die von ihnen in Italien zu entrichtende Einkommensteuer angerechnet wird. Denn dies
hätte zur Folge, dass Italien als Ansässigkeitsstaat der Kläger gezwungen wäre, die
durch einen anderen Mitgliedstaat – hier also Frankreich – vorgenommene Besteue-
rung (vollständig) zu berücksichtigen, obwohl Italien selbst auf Grund seiner nationalen
Gesetze diese Einkünfte nicht (vollständig) in die Steuerbemessung mit einbezogen
hat. Dies hätte zur Konsequenz, dass Italien als Ansässigkeitsstaat der Anteilseigner
eine auf die Dividenden entfallende ausländische Steuer anrechnen und gegebenen-
falls erstatten müsste, obwohl es für die gleichen Dividenden keine Steuer erhebt.
57
Indessen folgt aus dem Urteil
Orange European Smallcap Fund, dass der Ansässig-
keitsstaat eines Dividendenempfängers nicht dazu verpflichtet ist, einen Steuernachteil
22 Urteil
Kommission / Österreich, C-10/10, EU:C:2011:399, Rn. 38.
23 Urteil
Grünewald, C-559/13, EU:C:2015:109, Rn. 40.
24 Urteil
Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 32.
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auszugleichen, der sich aus einer Mehrfachbelastung ergibt, die zur Gänze durch den
Mitgliedstaat bewirkt wird, in dessen Hoheitsgebiet die diese Dividenden ausschütten-
de Gesellschaft niedergelassen ist, da der zuerst genannte Mitgliedstaat die erhaltenen
Dividenden bei den in seinem Hoheitsgebiet Ansässigen weder besteuert noch auf an-
dere Weise berücksichtigt.25 Dies lässt sich im vorlegenden Fall im Wege eines Erst-
recht-Schlusses auf jene 60 % des Bruttobetrags der Dividenden übertragen, die Italien
nicht in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer einbezieht. Denn hinsicht-
lich dieser 60 % kommt es gar nicht zu einer Mehrfachfachbelastung, sodass es auch
an einem – aus solch einer Mehrfachbelastung resultierenden – Steuernachteil für die
Kläger fehlt. Mithin wäre insofern die Annahme einer Ausgleichspflicht noch weniger
gerechtfertigt als in jenem Fall, welcher dem Urteil
Orange European Smallcap Fund
zugrunde lag.
b) Gewährleistung der Kohärenz des italienischen Steuersystems
58
Als ein weiteres in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkanntes legitimes Ziel
lässt sich im vorliegenden Fall die Gewährleistung der Kohärenz des italienischen
Steuersystems anführen.26
59
Dieser Rechtfertigungsgrund setzt voraus, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwi-
schen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine be-
stimmte steuerliche Belastung besteht.27 Aus Sicht des betroffenen Mitgliedstaats be-
deutet dies, dass eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung durch eine Besteu-
erung bei demselben Steuerpflichtigen wieder ausgeglichen wird.
60
Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Dem „Nachteil“ der fehlenden Anrechnung
der französischen Quellensteuer im Umfang von 60 % steht der „Vorteil“ gegenüber,
dass die dazugehörigen Einnahmen in Italien nicht bei der Veranlagung erfasst wer-
den. Damit ist die teilweise fehlende Anrechnung der ausländischen Quellensteuer das
logische Pendant des Umstands, dass die Dividenden hinsichtlich dieses Anteils auch
keiner Besteuerung im Inland unterliegen.
61
Damit ist die nötige Kohärenz im vorliegenden Fall gegeben.
25 Urteil
Orange European Smallcap Fund, zitiert in Fn.
10, Rn. 41.
26 Urteil
Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, C-157/07, EU:C:2008:588, Rn. 42 f.
27 Urteil
Santander Asset Management SGIIC, C-338/11, EU:C:2012:286, Rn. 51.
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2. Eignung
62
Darüber hinaus ist die im italienischen Recht und dem DBA getroffene Regelung auch
zur Erreichung der genannten Ziele geeignet, da sie vollkommen symmetrisch vor-
geht,28 indem sie nur für denjenigen Teil der Dividenden keine Anrechnung der franzö-
sischen Quellensteuer vornimmt, der durch Italien nicht in die Bemessungsgrundlage
für die Einkommensteuer einbezogen wird.
3. Verhältnismäßigkeit
63
Aus Sicht der Bundesregierung ist auch der darüber hinaus zu beachtenden Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit29 gewahrt. Denn die hier in Rede stehenden Regelungen zur
Anrechnung der ausländischen Quellensteuer gehen nicht über das hinaus, was zur
Erreichung der mit ihnen verfolgten Ziele erforderlich ist. Namentlich ist nicht ersicht-
lich, durch welche weniger eingreifenden Maßnahmen es möglich wäre, die in Rand-
nummer
54 angesprochene Symmetrie – zwischen dem Recht zur Besteuerung der
Gewinne sowie der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen – zu wahren.
4. Zwischenergebnis
64
Sollte der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, dass im Ausgangsfall eine Be-
schränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt, wäre diese als gerechtfertigt anzuse-
hen.
E. ERGEBNIS
65
Nach alledem ist die Vorlagefrage aus Sicht der Bundesregierung wie folgt zu beant-
worten:
Die Art. 63 und 65 AEUV stehen einer Regelung, die sich aus den Rechts-
vorschriften eines Mitgliedstaates sowie einem zwischen diesem und einem
weiteren Mitgliedstaat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen
ergibt, nicht entgegen, wonach die Doppelbesteuerung im Fall einer im
erstgenannten Mitgliedstaat ansässigen Person, die als Aktionär einer in
dem letztgenannten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft Dividenden be-
zieht, die in beiden Staaten besteuert werden, nicht dadurch beseitigt wird,
dass im Wohnsitzstaat die Steuer mindestens in ihrer im Staat der aus-
schüttenden Gesellschaft gezahlten Höhe angerechnet wird.
28 Urteil
Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, zitiert in Fn.
26, Rn. 44.
29 Urteil
Kommission / Österreich, zitiert in Fn.
22, Rn. 38.