Übersetzung
C-163/15 - 13
Schriftliche Erklärungen
Rechtssache C-163/15*
Schriftstück eingereicht von:
Republik Polen
Übliche Bezeichnung der Rechtssache:
Hassan
Eingangsdatum:
22. Juli 2015
[Staatswappen der Republik Polen]
Warschau, den 22. Juli 2015
AN DEN PRÄSIDENTEN UND DIE MITGLIEDER
DES GERICHTSHOFS DER EUROPÄISCHEN UNION
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN
DER REPUBLIK POLEN
abgegeben gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union
im Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache
C-163/15
Hassan
(nationales Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf – Deutschland)
Bevollmächtigter der Republik Polen:
Bogusław Majczyna
Zustellungsanschrift:
* Verfahrenssprache: Deutsch.
DE
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN DER REPUBLIK POLEN – RECHTSSACHE C-163/15
Ministerstwo Spraw Zagranicznych
al. J. Ch. Szucha 23
00-580 Warszawa – POLEN
I. SACHVERHALT UND VORLAGEFRAGEN
1. Das Vorabentscheidungsersuchen in der Sache C-163/15
Hassan wurde von
einem deutschen Gericht (
Oberlandesgericht Düsseldorf) vorgelegt, das über die
Klage eines Lizenznehmers, der zur Verwendung der unter anderem für Bettwaren
und Bettdecken eingetragenen [Gemeinschafts]wortmarke „ARKTIS“ berechtigt
ist, wegen Verletzung des Rechts an dieser Marke zu entscheiden hat. Dieser
Lizenznehmer wurde nicht in das Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen.
Gemäß dem Lizenzvertrag ist der Lizenznehmer verpflichtet, im eigenen Namen
Rechte wegen der Verletzung der Markenrechte geltend zu machen. Der Beklagte
hat auf einer Internetseite Daunenbettdecken „innoBETT selection Arktis“
angeboten.
2. Das Ersuchen betrifft die Auslegung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung
(EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die
Gemeinschaftsmarke1. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Erteilung der Lizenz
für eine Gemeinschaftsmarke rechtliche Wirkungen gegenüber Dritten in allen
Mitgliedstaaten erst dann entfaltet, wenn der Lizenznehmer ins Register
eingetragen worden ist. Das nationale Gericht hat Zweifel daran, ob dies bedeutet,
dass erst mit dem Zeitpunkt der Eintragung ins Register der Lizenznehmer die
Klagebefugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung einer
Gemeinschaftsmarke gegenüber Dritten erwirbt. Das nationale Gericht hat an den
Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen gerichtet:
1. Steht Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009 der
Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung einer
Gemeinschaftsmarke durch einen Lizenznehmer, der nicht in das
Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen ist, entgegen?
2. Falls Frage 1. bejaht werden sollte: Steht Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der
Verordnung Nr. 207/2009 einer nationalen Rechtspraxis entgegen, nach der
der Lizenznehmer die Ansprüche des Markeninhabers gegen den Verletzer
im Wege der Prozessstandschaft durchzusetzen kann?
II. STANDPUNKT DER REPUBLIK POLEN
3. Die Republik Polen beschränkt sich auf die Beantwortung der ersten Frage. Nach
Auffassung der Republik Polen ist die Offenlegung der Erteilung einer Lizenz im
Gemeinschaftsmarkenregister keine Voraussetzung dafür, dass ein Lizenznehmer
Ansprüche wegen Verletzung einer Gemeinschaftsmarke geltend machen kann.
1 ABl. L 78 vom 24. März 2009, S.1.
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4. Obwohl die Frage ausschließlich die Auslegung des ersten Satzes von Art. 23
Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 betrifft, kann eine solche Auslegung
allerdings nicht losgelöst vom zweiten Satz dieses Absatzes vorgenommen
werden. Der zweite Satz hat hier im Gegenteil eine besonders große Bedeutung
für die umfassende Auslegung der ganzen Vorschrift und die Feststellung ihres
sachlichen Geltungsbereichs. Der zweite Satz sieht eine Ausnahme von der sich
aus dem ersten Satz ergebenden Regel vor. Der Charakter dieser Ausnahme
ermöglicht Schlussfolgerungen betreffend das Verständnis der Regel selbst.
5. Aus dem zweiten Satz ergibt sich, dass (in Abweichung vom ersten Satz) vor der
Eintragung die Erteilung der Lizenz rechtliche Wirkung gegenüber Dritten, die
Rechte an der Gemeinschaftsmarke nach dem Datum der Lizenzerteilung
erworben haben, entfaltet, wenn sie im Zeitpunkt des Erwerbs des Rechts von der
Lizenz wussten. Daraus folgt, dass grundsätzlich (erster Satz) vor der Eintragung
ins Register die Erteilung einer Lizenz keine Rechtswirkung gegenüber Dritten
entfaltet, die Rechte an der Marke nach dem Datum der Lizenzerteilung erworben
haben. Denn grundsätzlich wird es einem Dritten, der Rechte an der Marke
erwirbt, nicht möglich sein, Kenntnis davon zu erlangen, dass für diese Marke
zuvor eine Lizenz erteilt wurde, bevor diese Lizenz ins Register eingetragen
wurde.
6. Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 regelt somit als Ganzes die Folgen
der Lizenzerteilung (sowie der in den Art. 17 und 19 genannten Handlungen)
gegenüber Dritten, die anschließend Rechte an derselben Gemeinschaftsmarke
erworben haben. Diese Vorschrift regelt jedoch nicht die Folgen der
Lizenzerteilung gegenüber Personen, die keinerlei Rechte an einer Marke
erworben haben, jedoch diese Rechte im Rahmen ihrer Tätigkeit verletzen.
7. Die ratio legis der so verstandenen Regelung ist klar. Sie garantiert
Rechtssicherheit dadurch, dass der nächste gutgläubige Erwerber der Rechte an
der Gemeinschaftsmarke sie ohne die sich aus der vorher erteilten Lizenz
ergebenden Belastungen (und ohne die sich aus den in Art. 17 und 19 genannten
Handlungen ergebenden Belastungen oder Rechtsmängeln) erwirbt. Im Falle einer
entsprechenden Eintragung ins Register wird die frühere Handlung aber
gegenüber diesem späteren Erwerber wirksam sein, d. h. wenn der Erwerber
davon bereits ohne Weiteres Kenntnis erlangen konnte und jedenfalls dann, wenn
er diese Kenntnis aus einer anderen Quelle erlangt hat.
8. Es ist an dieser Stelle hinzuzufügen, dass die Folgen der in den Art. 17, 19 und 22
der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Handlungen gegenüber dem späteren
Erwerber von der Art dieser Handlungen und der Art der Handlungen des späteren
Erwerbers abhängen. Beispielsweise wird die Wirksamkeit der im Register
offengelegten Erteilung einer ausschließlichen Lizenz darin bestehen, dass die
Erteilung einer weiteren Lizenz wegen Verstoßes gegen die frühere
ausschließliche Lizenz unwirksam sein wird.
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SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN DER REPUBLIK POLEN – RECHTSSACHE C-163/15
9. Eine andere Auslegung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009,
die auf die Anwendung dieser Vorschrift auf Dritte, die nicht zu den späteren
Erwerbern gehören, abzielen würde, ginge über die oben genannten Ziele des
Schutzes des guten Glaubens der Erwerber und der Rechtssicherheit hinaus. Für
die Bestimmung des Schutzumfangs und damit der Grenzen von
Verhaltensweisen, die das Recht an der Gemeinschaftsmarke nicht verletzen
würden, ist wiederum die Information über die Eintragung einer bestimmten
Marke ausreichend. Aus dieser Information folgt, dass ein Recht an dieser Marke
besteht, das geschützt wird und nicht verletzt werden darf. Einer Offenlegung der
Lizenz bzw. anderer Belastungen des Rechts an der Marke bedarf es unter diesem
Gesichtspunkt nicht.
10. Ein weiteres Argument, das für die Richtigkeit der in diesen Erklärungen
dargestellten Auslegung des Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 spricht,
liefert der Wortlaut des Art. 17 Abs. 6 dieser Verordnung. Gemäß dieser
Vorschrift kann der Rechtsnachfolger seine Rechte aus der Eintragung der
Gemeinschaftsmarke nicht geltend machen, solange der Rechtsübergang nicht in
das Register eingetragen ist. Somit stellt diese Vorschrift ein Hindernis bei der
Geltendmachung von Ansprüchen durch den Eigentümer (Erwerber) der Marke
dar, wenn das Recht nicht in das Register eingetragen wurde.
11. Sollte Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin ausgelegt
werden, dass er die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen durch den
Eigentümer (Erwerber) der Marke gegenüber dem Verursacher der Verletzung
davon abhängig macht, dass die Übertragung des Rechts an der Marke auf ihn im
Register eingetragen ist, dann würden die beiden oben genannten Vorschriften
(Art. 17 Abs. 6 und Art. 23 Abs. 1 Satz 1) die gleiche Rechtsnorm wiederholen.
Denn die Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009
betrifft Rechtshandlungen, die sowohl in Art. 22 (Erteilung der Lizenz) als auch in
Art. 17 (Übertragung des Rechts an der Marke) dieser Verordnung geregelt sind.
12. Im Hinblick auf die Rationalität des Unionsgesetzgebers und die sich daraus
ergebende Annahme, dass dieselbe Norm in einem bestimmten Rechtsakt nur
durch eine einzige Vorschrift ausgedrückt werden sollte, ist davon auszugehen,
dass, wenn Art. 17 Abs. 6 der Verordnung Nr. 207/2009 (für den
Rechtsnachfolger) eine Einschränkung der Möglichkeit vorsieht, ein Verfahren
wegen Verletzung anhängig zu machen, eine solche Einschränkung sich dann
nicht mehr aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt.
13. Zu betonen ist, dass die Verordnung Nr. 207/2009 gegenüber Lizenznehmern
keine zu Art. 17 Abs. 6, der Rechtsnachfolger betrifft, analoge Vorschrift enthält.
Die Voraussetzungen, unter denen der Lizenznehmer ein Verfahren wegen
Verletzung einer Gemeinschaftsmarke anhängig machen kann, regelt
demgegenüber Art. 22 Abs. 3. Danach kann der Lizenznehmer ein Verfahren
wegen Verletzung einer Gemeinschaftsmarke nur mit Zustimmung ihres Inhabers
anhängig machen. Der Inhaber einer ausschließlichen Lizenz kann ein solches
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Verfahren anhängig machen, wenn der Inhaber der Gemeinschaftsmarke nach
Aufforderung nicht selber innerhalb einer angemessenen Frist die
Verletzungsklage erhoben hat. Diese Vorschrift erfordert zudem keine Eintragung
der Lizenz ins Register2.
III. ENTSCHEIDUNGSVORSCHLAG
14. Aufgrund der oben dargestellten Argumentation schlägt die Republik Polen dem
Gerichtshof der Europäischen Union vor, die erste Frage des vorlegenden Gerichts
wie folgt zu beantworten:
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die
Gemeinschaftsmarke steht einer Geltendmachung von Ansprüchen wegen
Verletzung einer Gemeinschaftsmarke durch einen Lizenznehmer, der nicht
in das Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen ist, nicht entgegen.
Bogusław Majczyna
Bevollmächtigter der Republik Polen
2 Dieser Auslegung sind die polnischen Gerichte gefolgt, u. a. Sąd Apelacyjny w Warszawie
(Appellationsgericht in Warschau) im Urteil vom 28. Oktober 2013 in der Sache mit dem
Aktenzeichen I ACa 410/13 sowie Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht in
Warschau) im Urteil vom 28. Januar 2015 in der Sache mit dem Aktenzeichen XXII GWzt
55/14.
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