Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 29. September 2014
Thomas Henze
Johannes Möller
Bevollmächtigte der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland
Gerichtshof der Europäischen Union
ZUSTELLUNGEN
– Kanzlei –
Bevorzugt per e-Curia oder an:
2925 Luxemburg
Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie
Per e-Curia
Referat EA5
Scharnhorststr. 34 - 37
10115 Berlin
Deutschland
Telefax: +49 30 18615 - 5334
Stellungnahme
In der Rechtssache C-299/14
betreffend das dem Gerichtshof der Europäischen Union von dem Landessozialgericht Nord-
rhein-Westfalen (Deutschland) mit Beschluss vom 22.05.2014 vorgelegte Vorabentschei-
dungsersuchen in dem dort anhängigen Rechtsstreit
Frau Jovanna Garcia-Nieto u.a.
gegen
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Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen
nehmen wir namens und in Vollmacht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland wie
folgt Stellung:
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– 3 –
Inhaltsverzeichnis
A. EINLEITUNG ............................................................................................................... 5
B. Rechtlicher Rahmen ................................................................................................... 6
I.
Unionsrecht ...................................................................................................................... 6
1.
Primärrecht ............................................................................................................................................ 6
a)
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ................................................................... 6
b)
Charta der Grundrechte der Europäischen Union ............................................................................ 7
2.
Sekundärrecht ....................................................................................................................................... 8
a)
Richtlinie 2004/38/EG ....................................................................................................................... 8
b)
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ...................................................................................................... 12
c)
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ....................................................................................................... 12
II. Nationales Recht ............................................................................................................. 15
1.
Grundgesetz ........................................................................................................................................ 15
2.
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende .................................. 16
3.
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe ........................................................................ 17
4.
Freizügigkeitsgesetz ............................................................................................................................. 18
III.
Europäische Menschenrechtskonvention ..................................................................... 19
C. Sachverhalt und Vorlagefrage .................................................................................. 20
D. Rechtliche Würdigung .............................................................................................. 22
I.
Zur ersten Vorlagefrage ................................................................................................... 22
1.
Zur Systematik der verschiedenen Leistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ................... 23
2.
Die Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem SGB II ................................................................................................................. 25
3.
Systematische Auslegung des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 ................................................... 26
II. Zur zweiten Vorlagefrage ................................................................................................. 28
1.
Mögliche Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 4 Verordnung (EG) Nr.
883/2004 ...................................................................................................................................................... 30
2.
Insbesondere: Verhältnis der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Richtlinie 2004/38/EG .................. 34
3.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sozialhilfe im
Sinne der Richtlinie 2004/38/EG .................................................................................................................. 36
4.
Zur Zulässigkeit, Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts von
„Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Freizügigkeitsrichtlinie auszuschließen .............................................. 38
5.
Zur Befugnis des nationalen Gesetzgebers, eine typisierende Regelung zu erlassen ......................... 41
6.
Zusammenfassung zur zweiten Vorlagefrage ...................................................................................... 46
III.
Zur dritten Vorlagefrage .............................................................................................. 46
1.
Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ............................ 47
2.
Kein Ausschluss von Dienstleistungen der Arbeitsvermittlung ........................................................... 49
3.
Hilfsweise: Rechtfertigung des Ausschlusses von einer Leistung zur Erleichterung des
Arbeitsmarktzugangs .................................................................................................................................... 50
a)
Legitimer Zweck einer Leistungsbeschränkung ............................................................................... 51
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– 4 –
b)
Verhältnismäßigkeit des Leistungsausschlusses aufgrund dessen beschränkten Umfangs............ 53
c)
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nicht stets eine Einzelfallprüfung ...................... 56
4.
Keine Unvereinbarkeit mit weiteren primärrechtlichen Gleichbehandlungsgeboten ........................ 58
5.
Zusammenfassung zur dritten Vorlagefrage ....................................................................................... 59
E. Ergebnis ................................................................................................................... 59
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A. EINLEITUNG
1
Im Ausgangsverfahren wird darüber gestritten, ob Unionsbürger, die weder Arbeitneh-
mer noch Selbständige sind und deren Aufenthaltsrecht auch nicht nach § 2 Abs. 3 des
Freizügigkeitsgesetzes/EU fortwirkt, sowie ihre Familienangehörigen für die ersten drei
Monate ihres Aufenthalts gegen den Aufnahmestaat einen Anspruch auf Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben.
2
Das vorliegende Verfahren weist inhaltliche Parallelen zu der Rechtssache Dano
(C-333/13) auf, in der Generalanwalt Wathelet am 20.05.2014 seine Schlussanträge
gestellt hat,1 sowie zur Rechtssache Alimanovic (C-67/14), in der die deutsche Bun-
desregierung eine Stellungnahme am 27.05.2014 eingereicht hat. Alle drei Verfahren
betreffen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat solchen
Unionsbürgern, die im Aufnahmemitgliedstaat nicht erwerbstätig sind, einen Anspruch
auf steuerfinanzierte „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ (Art. 3 Abs. 3
und Art. 70 in Verbindung mit Anhang X der Verordnung (EG) Nr. 883/2004) verwehren
darf.
3
In allen drei Ausgangssachverhalten haben die zuständigen Behörden es abgelehnt,
den Klägern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren. Der Un-
terschied zwischen den Rechtssachen Alimanovic und Dano einerseits und der vorlie-
genden Rechtssache Garcia-Nieto andererseits liegt im Wesentlichen im Folgenden:
Für Frau Alimanovic ergab sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeit-
suche. Frau Dano betrieb dagegen nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts
keine Arbeitsuche und konnte sich damit nicht auf ein entsprechendes Freizügigkeits-
recht berufen. Nach den Feststellungen des jeweils vorlegenden Gerichts waren Frau
Dano sowie ihr Familienangehöriger daher gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Zweiten
Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, Frau Alimanovic
sowie ihre Familienangehörigen gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, von den Leistun-
gen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.
4
Die hiesige Rechtssache Garcia-Nieto betrifft dagegen den Ausschluss von Personen
von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II. Diese Norm re-
1 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341.
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– 6 –
gelt, dass Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutschland weder als Arbeitnehmer
noch als Selbständige noch kraft einer Fortwirkung nach § 2 Abs. 3 des Freizügigkeits-
gesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, sowie ihre Familienangehörigen für die ers-
ten drei Monate ihres Aufenthalts nicht leistungsberechtigt sind.
5
Nach Überzeugung der deutschen Regierung steht das Unionsrecht einer solchen Re-
gelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, weil die betroffenen Personen noch keinen
Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Ein solcher Ausschluss von Sozialhilfeleis-
tungen ist im Unionsrecht selber, insbesondere in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG, ausdrücklich vorgesehen.
B. Rechtlicher Rahmen
I.
Unionsrecht
1. Primärrecht
a) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
6
Das unionsrechtliche Gleichbehandlungsgebot ist in Art. 18 des Vertrags über die Ar-
beitsweise der Europäischen Union (AEUV) primärrechtlich verankert:
Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbe-
reich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
7
Art. 20 AEUV bestimmt:
Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsange-
hörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen
Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.
(2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgese-
henen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem
a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzu-
halten;
b) in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive
Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunal-
wahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des
betreffenden Mitgliedstaats;
c) im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsange-
hörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, Recht auf Schutz durch die diplomatischen
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und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedin-
gungen wie Staatsangehörige dieses Staates;
d) das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich an den
Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, sowie das Recht, sich in einer der
Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union
zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten.
Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt,
die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maß-
nahmen festgelegt sind.
8
Art. 21 Abs. 1 AEUV legt fest:
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten
vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgese-
henen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
[…]
9
Art. 45 AEUV Abs. 1, 2 und 3 lauten:
(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden un-
terschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Be-
schäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und
Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,
a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer
dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung
auszuüben;
d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats un-
ter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen fest-
legt.
b) Charta der Grundrechte der Europäischen Union
10
Des Weiteren legt Art. 21 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
fest:
(2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungs-
bereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
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– 8 –
2. Sekundärrecht
a) Richtlinie 2004/38/EG
11
Von den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Fami-
lienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzu-
halten,2 (nachfolgend: Freizügigkeitsrichtlinie) sind die folgenden von Bedeutung:
(6) Um die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren und unbeschadet des
Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sollte die Lage
derjenigen Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Richtlinie
gelten und die daher kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht im Aufnah-
memitgliedstaat genießen, von dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage sei-
ner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden, ob die-
sen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte, wobei ihrer
Beziehung zu dem Unionsbürger sowie anderen Aspekten, wie ihre finanzielle oder
physische Abhängigkeit von dem Unionsbürger, Rechnung zu tragen ist.
(9) Die Unionsbürger sollten das Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat für ei-
nen Zeitraum von bis zu drei Monaten haben, ohne jegliche Bedingungen oder For-
malitäten außer der Pflicht, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reise-
passes zu sein, unbeschadet einer günstigeren Behandlung für Arbeitssuchende
gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs.
(10) Allerdings sollten Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres
ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unan-
gemessen in Anspruch nehmen. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbür-
gern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimm-
ten Bedingungen unterliegen.
(12) Für Aufenthalte von über drei Monaten sollten die Mitgliedstaaten die Möglich-
keit haben, eine — durch eine Anmeldebescheinigung bestätigte — Anmeldung des
Unionsbürgers bei der zuständigen Behörde des Aufenthaltsortes vorzuschreiben.
(13) Für Aufenthalte von über drei Monaten sollte das Erfordernis der Aufenthalts-
karte auf Familienangehörige von Unionsbürgern beschränkt werden, die nicht die
Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen.
(16) Solange die Aufenthaltsberechtigten die Sozialhilfeleistungen des Aufnah-
memitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, sollte keine Auswei-
sung erfolgen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sollte daher nicht au-
tomatisch zu einer Ausweisung führen. Der Aufnahmemitgliedstaat sollte prüfen, ob
2 ABl. L 158 vom 30.04.2004, S. 77.
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– 9 –
es sich bei dem betreffenden Fall um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, und
die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und den gewährten Sozialhil-
febetrag berücksichtigen, um zu beurteilen, ob der Leistungsempfänger die Sozial-
hilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen hat, und in diesem Fall seine
Ausweisung zu veranlassen. In keinem Fall sollte eine Ausweisungsmaßnahme ge-
gen Arbeitnehmer, Selbstständige oder Arbeitssuchende in dem vom Gerichtshof
definierten Sinne erlassen werden, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung
oder Sicherheit.
(21) Allerdings sollte es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben, zu be-
stimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Perso-
nen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe wäh-
rend der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für
einen längeren Zeitraum gewährt oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt
Unterhaltsbeihilfen für die Zwecke des Studiums, einschließlich einer Berufsausbil-
dung, gewährt.
12
Der Begriff „Familienangehöriger“ ist für die Richtlinie 2004/38/EG in Art. 2 Nr. 2 defi-
niert:
„Familienangehöriger“
a) den Ehegatten;
b) den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvor-
schriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, so-
fern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene
Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvor-
schriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;
c) die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehe-
gatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr
noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
d) die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehe-
gatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Un-
terhalt gewährt wird
13
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG lautet:
(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufent-
halt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner in-
nerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden
Personen:
a) jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehöri-
gen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte
Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland
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– 10 –
in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche
Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger
zwingend erforderlich machen;
b) des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinig-
te dauerhafte Beziehung eingegangen ist.
Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen
Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des
Aufenthalts dieser Personen.
14
Art. 6 dieser Richtlinie bestimmt:
(1) Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Be-
sitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten
keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.
(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses,
die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unions-
bürger begleiten oder ihm nachziehen.
15
Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie lautet:
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines ande-
ren Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt,
so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnah-
memitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehöri-
gen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitglied-
staat verfügen. […]
16
Art. 8 der Richtlinie 2004/38/EG lautet auszugsweise:
(1) Unbeschadet von Artikel 5 Absatz 5 kann der Aufnahmemitgliedstaat von Uni-
onsbürgern für Aufenthalte von über drei Monaten verlangen, dass sie sich bei den
zuständigen Behörden anmelden.
(2) Die Frist für die Anmeldung muss mindestens drei Monate ab dem Zeitpunkt der
Einreise betragen.
[…]
17
Art. 9 der Richtlinie 2004/38/EG lautet auszugsweise:
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– 11 –
(1) Die Mitgliedstaaten stellen den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die
nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, eine Aufenthaltskarte
aus, wenn ein Aufenthalt von über drei Monaten geplant ist.
(2) Die Frist für die Einreichung des Antrags auf Ausstellung der Aufenthaltskarte
muss mindestens drei Monate ab dem Zeitpunkt der Einreise betragen.
[…]
18
Art. 14 der Richtlinie 2004/38/EG bestimmt:
(1) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach
Artikel 6 zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht
unangemessen in Anspruch nehmen.
(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach
den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfül-
len. In bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unions-
bürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und
13 erfüllen, können die Mitgliedstaaten prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt
sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt.
(3) Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder
einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch
zu einer Ausweisung führen.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen
des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen
Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn
a) die Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder
b) die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist
sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Fami-
lienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen
können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht
haben, eingestellt zu werden.
19
Art. 24 dieser Richtlinie lautet:
(1) Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten
Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund
dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwen-
dungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen die-
ses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Fami-
lienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und
das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.
(2) Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflich-
tet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen
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– 12 –
dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten
drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums
nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Er-
werb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur
Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.
b) Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
20
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – die Vorgängerverordnung der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 – definiert Rechtsvorschriften im Sinne der Verordnung wie folgt:
„Rechtsvorschriften“: in jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Geset-
ze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in bezug
auf die in Artikel 4 Absätze 1 und 2 genannten Zweige und Systeme der sozialen
Sicherheit oder die in Artikel 4 Absatz 2a erfaßten beitragsunabhängigen Sonder-
leistungen.
c) Verordnung (EG) Nr. 883/2004
21
Der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit3 ist unter ande-
rem der folgende Erwägungsgrund vorangestellt:
(8) Der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung ist für Arbeitnehmer, die nicht
im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen, einschließlich Grenzgängern, von beson-
derer Bedeutung.
22
Art. 1 Buchstabe l) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 definiert „Rechtsvorschriften“ für
die Zwecke der Verordnung folgendermaßen:
„Rechtsvorschriften“ für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen
und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1
genannten Zweige der sozialen Sicherheit.
23
In Art. 2 dieser Verordnung ist ihr persönlicher Geltungsbereich festgelegt:
(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose
und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften
eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienan-
gehörigen und Hinterbliebenen.
(2) Diese Verordnung gilt auch für Hinterbliebene von Personen, für die die Rechts-
vorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten, und zwar ohne Rücksicht
auf die Staatsangehörigkeit dieser Personen, wenn die Hinterbliebenen Staatsan-
3 ABl. L 166 vom 30.04.2004, S.1.
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– 13 –
gehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in einem
Mitgliedstaat wohnen.
24
In der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 wird der sachliche Geltungsbereich durch Art. 3
festgelegt:
(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozia-
len Sicherheit betreffen:
a) Leistungen bei Krankheit;
b) Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft;
c) Leistungen bei Invalidität;
d) Leistungen bei Alter;
e) Leistungen an Hinterbliebene;
f) Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten;
g) Sterbegeld;
h) Leistungen bei Arbeitslosigkeit;
i) Vorruhestandsleistungen;
j) Familienleistungen.
(2) Sofern in Anhang XI nichts anderes bestimmt ist, gilt diese Verordnung für die
allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitrags-
freien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme betreffend die Ver-
pflichtungen von Arbeitgebern und Reedern.
(3) Diese Verordnung gilt auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleis-
tungen gemäß Artikel 70.
(4) Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Verpflichtungen von Ree-
dern werden jedoch durch Titel III nicht berührt.
(5) Diese Verordnung ist weder auf die soziale und medizinische Fürsorge noch auf
Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anwendbar.
25
In Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist das Gleichbehandlungsgebot verankert:
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die
diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvor-
schriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
26
Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 lautet:
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, berücksichtigt der zustän-
dige Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften:
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– 14 –
— den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des Leis-
tungsanspruchs,
— die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften,
— oder
— den Zugang zu bzw. die Befreiung von der Pflichtversicherung, der freiwilligen
Versicherung oder der freiwilligen Weiterversicherung,
von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten abhängig machen, soweit erfor-
derlich die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgeleg-
ten Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Er-
werbstätigkeit oder Wohnzeiten, als ob es sich um Zeiten handeln würde, die nach
den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.
27
Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bestimmt:
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die
nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser
Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum
Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder
seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw.
wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
28
Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bestimmt:
(1) Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach
Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbe-
reichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der
in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch
Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.
(2) Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck "besondere bei-
tragsunabhängige Geldleistungen" die Leistungen,
a) die dazu bestimmt sind:
i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu
gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Si-
cherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur
Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaft-
lichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,
oder
ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem so-
zialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,
und
b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der
allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung
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– 15 –
nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind
Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden,
nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;
und
c) die in Anhang X aufgeführt sind.
(3) Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des
vorliegenden Artikels genannten Leistungen.
(4) Die in Absatz 2 genannten Leistungen werden ausschließlich in dem Mit-
gliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvor-
schriften gewährt. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts und zu seinen
Lasten gewährt.
29
In Anhang X der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, festgelegt durch die Verordnung (EG)
Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009
zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der
sozialen Sicherheit und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge sind Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts der deutschen Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem SGB II aufgenommen worden:
DEUTSCHLAND
[…]
b) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeits-
suchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen
für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Absatz 1 des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllt sind.
II.
Nationales Recht
30
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts sind die
Folgenden:
1. Grundgesetz
31
Art. 1 Abs.1 des Grundgesetzes besagt:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
32
Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes legt fest:
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– 16 –
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundes-
staat.
2. Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsu-
chende
33
Aus dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) — Grundsicherung für Arbeitssu-
chende (nachfolgend: SGB II) sind folgende Normen von Bedeutung:
§ 1 Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende
(1) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermögli-
chen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.
(2) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung von er-
werbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfs-
gemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt
unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten
können.
[…]
(3) Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst Leistungen
1. zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Ein-
gliederung in Arbeit und
2. zur Sicherung des Lebensunterhalts.
§ 7 Leistungsberechtigte
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht
haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (er-
werbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind
1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Ar-
beitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3
des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienange-
hörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck
der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,
[…]
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– 17 –
§ 8 Erwerbsfähigkeit
(1) Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare
Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmark-
tes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
(2) Im Sinne von Absatz 1 können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig
sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden
könnte. Die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustim-
mung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen, ist ausreichend.
§ 9 Hilfebedürftigkeit
(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus
dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erfor-
derliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen, erhält. [...]
3. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe
34
Aus dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) — Sozialhilfe (nachfolgend: SGB
XII) sind folgende Normen von Bedeutung:
§ 21 Sonderregelung für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch
Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem
Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensun-
terhalt. [...]
§ 23 Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer
(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunter-
halt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur
Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben
unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall
gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die
im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind
und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften,
nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu
leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.
[...]
(3) Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufent-
haltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familien-
angehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sind sie zum Zweck einer Be-
handlung oder Linderung einer Krankheit eingereist, soll Hilfe bei Krankheit insoweit
nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unauf-
schiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder anste-
ckenden Erkrankung geleistet werden.
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– 18 –
(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückfüh-
rungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf
eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.
4. Freizügigkeitsgesetz
35
Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Vorschriften des
Gesetzes über die allge-
meine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU)4 lauten wie folgt:
§ 1 Anwendungsbereich
Dieses Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen ande-
rer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienange-
hörigen.
§ 2 Recht auf Einreise und Aufenthalt
(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das
Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
(2) Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:
1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbil-
dung aufhalten wollen,
[…]
5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4,
6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4,
[…]
(3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige
unberührt bei
1. vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit
oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der
Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
3. Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der frühe-
ren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht er-
forderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
4 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch
Artikel 8 des Gesetzes vom 17.06.2013 (BGBl. I S. 1555).
14299o_End_290914.docx, Möller, Johannes, EA5, 29.09.2014, 23:23:13
– 19 –
Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit
nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während
der Dauer von sechs Monaten unberührt.
(4) Unionsbürger bedürfen für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt
keines Aufenthaltstitels. [...]
(5) Für einen Aufenthalt von Unionsbürgern von bis zu drei Monaten ist der Besitz
eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ausreichend. Familienangehö-
rige, die nicht Unionsbürger sind, haben das gleiche Recht, wenn sie im Besitz ei-
nes anerkannten oder sonst zugelassenen Passes oder Passersatzes sind und sie
den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.
[…]
§ 3 Familienangehörige
(1) Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger haben
das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachzie-
hen. Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger gilt
dies nach Maßgabe des § 4.
(2) Familienangehörige sind
1. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in
§ 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Leben-
spartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind,
2. die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1
bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen
diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren.
[…]
§ 4 Nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte
Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unions-
bürger begleiten oder ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie
über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel
verfügen. [...]
III.
Europäische Menschenrechtskonvention
36
Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) lautet:
(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer
Wohnung und ihrer Korrespondenz.
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– 20 –
C. Sachverhalt und Vorlagefrage
37
Die Kläger des Ausgangsverfahrens, Frau Jovanna Garcia-Nieto, die Klägerin zu 1), ihr
Lebensgefährte Herr Joel Pena Cuevas, der Kläger zu 2), deren gemeinsame Tochter,
Jovanlis Pena Garcia, die Klägerin zu 3) und der Sohn des Herrn Cuevas, Joel Luis
Pena Cruz, der Kläger zu 4), sind spanische Staatsangehörige. Die Kläger zu 2) und
zu 4) sind außerdem dominikanische Staatsbürger. Die Kläger zu 1) und zu 2) lebten
seit Jahren in Spanien als Paar in einem gemeinsamen Haushalt und wirtschafteten
gemeinsam. Der Kläger zu 2) war in Spanien sozialversicherungspflichtig beschäftigt
und legte in der spanischen Sozialversicherung (mit Unterbrechungen) bis Februar
2011, zwei Tage im Juni 2011 und vom 27.07.2011 bis zum 15.07.2012 Versiche-
rungszeiten von insgesamt mehr als 12 Monaten zurück.
38
Die Klägerin zu 1) reiste zusammen mit der gemeinsamen Tochter, der Klägerin zu 3),
im April 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 1) meldete sich
am 01.06.2012 arbeitsuchend. Sie nahm am 12.06.2012 eine Beschäftigung als Kü-
chenhilfe auf, ab dem 01.07.2012 in sozialversicherungspflichtigem Umfang.
39
Der Kläger zu 2) reiste gemeinsam mit seinem Sohn, dem Kläger zu 4), am 23.06.2012
in die Bundesrepublik Deutschland ein, da er Arbeit suchte und die Kläger zu 1) bis 4)
wieder zusammenleben wollten.
40
In der Folgezeit wurde der Lebensunterhalt für alle Kläger aus dem Einkommen der
Klägerin zu 1) sowie dem Bezug von Kindergeld an die Klägerin zu 1) für die Klägerin
zu 3) und an den Kläger zu 2) für den Kläger zu 4) bestritten.
41
Am 30.07.2012 stellten die Kläger einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Das
Jobcenter lehnte die Leistungen für die Kläger zu 2) und zu 4) für die Monate August
und September 2012 unter Verweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 SGB II mit der Begründung ab, dass die Kläger zu 2) und zu 4) sich noch keine
drei Monate in der Bundesrepublik aufhielten und der Kläger zu 2) weder Arbeitnehmer
noch selbstständig erwerbstätig sei, noch die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin zu
1) auf ihn übertragbar sei. Er sei aktuell nicht freizügigkeitsberechtigt. Der Leistungs-
ausschluss gelte auch für seinen Sohn, den Kläger zu 4), da das Europäische Fürsor-
geabkommen (EFA) wegen der Wirkung des durch die Bundesregierung am
19.12.2011 wirksam erklärten Vorbehalts für Leistungen nach dem SGB II nicht mehr
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– 21 –
anspruchsbegründend sei. Für den Zeitraum ab Oktober 2012 bewilligte das Jobcenter
den Klägern zu 1) bis 4) Leistungen nach dem SGB II.
42
Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid – unter Beschränkung des Streitgegen-
standes auf die Leistungen für die Monate August und September 2012 – hatte vor
dem Sozialgericht Gelsenkirchen Erfolg. Das Sozialgericht verneinte die Anwendbar-
keit des Leistungsausschlusses für Ausländer aus Erwägungen, die es aus der Syste-
matik des SGB II selbst ableitete. Mit der Berufung zum Landessozialgericht Nord-
rhein-Westfalen begehrt die Behörde die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts.
43
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Argumentation des Sozialge-
richts, dass der Leistungsausschluss für Ausländer schon nach der Systematik des
SGB II nicht anwendbar sei, verworfen und mit Beschluss vom 22.05.2014 dem Euro-
päischen Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 Verordnung (EG) Nr. (EGV)
883/2004 – mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 EGV
883/2004 – auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen
iS von Art. 70 Abs. 1, 2 EGV 883/2004?
2. Falls 1) bejaht wird: Sind – gegebenenfalls in welchem Umfang – Ein-
schränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 EGV 883/2004
durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des
Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG (RL 2004/38/EG) möglich, nach denen
der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos für die ersten drei Monate
des Aufenthalts nicht besteht, wenn Unionsbürger in der Bundesrepublik
weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, Selbstständige noch aufgrund
des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügig-
keitsberechtigt sind?
3. Falls 1) verneint wird: Stehen andere primärrechtliche Gleichbehand-
lungsgebote – insbesondere Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18
AEUV – einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern eine
Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes ausnahmslos
verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zu-
gang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger zwar weder
Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des
§ 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, aber eine tat-
sächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeits-
markt des Aufnahmestaats aufweisen können?
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– 22 –
44
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die erste Vorlagefrage zu verneinen ist.
Hilfsweise ist die zweite Vorlagefrage zu bejahen. Die dritte Vorlagefrage ist zu vernei-
nen.
D. Rechtliche Würdigung
I.
Zur ersten Vorlagefrage
45
Mit seiner ersten Vorlagefrage will das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wis-
sen, ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 –
mit Ausnahme des Exportausschlusses nach Art. 70 Abs. 4 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 – auch für besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne von
Art. 70 Abs. 1, 2 dieser Verordnung gilt.
46
Diese Frage hatte bereits das Bundessozialgericht in der Rechtssache Alimanovic5
dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Auf die Ausführungen der Bundes-
republik Deutschland in ihrer Stellungnahme vom 27.05.20146 wird hier Bezug ge-
nommen. Die dort gemachten Ausführungen gelten entsprechend auch für die erste
Vorlagefrage in diesem Verfahren.
47
Nach Auffassung der deutschen Regierung ist der Anwendungsbereich des Art. 4 Ver-
ordnung (EG) Nr. 883/2004 bereits aus folgenden Erwägungen nicht eröffnet:
Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 koordiniert grundsätzlich nur die Systeme der
„Leistungen der sozialen Sicherheit“, nicht aber die Systeme „besonderer bei-
tragsunabhängiger Geldleistungen“ sowie „Leistungen der sozialen und medizini-
schen Fürsorge“ (siehe dazu 1).
Bei den Leistungen des deutschen SGB II handelt es sich um beitragsunabhän-
gige Leistungen, die in Anhang X „Besondere Beitragsunabhängige Geldleistun-
gen“ der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 aufgenommen wurden. Historisch sind
diese Leistungen eng mit den „klassischen“ Sozialhilfeleistungen verbunden (sie-
he hierzu 2).
5 Rechtssache C-67/14,
Alimanovic
6 Stellungnahme der Bundesregierung v. 27.05.2014 in der Rechtssache C-67/14,
Alimanovic.
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– 23 –
Eine systematische Auslegung des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
ergibt, dass dieser Anspruch nicht auf besondere beitragsunabhängige Geld-
leistungen anwendbar ist (siehe hierzu 3).
1. Zur Systematik der verschiedenen Leistungen nach der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004
48
In Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 werden drei Arten von Leistungen unter-
schieden: Leistungen der sozialen Sicherheit (Art. 3 Abs. 1), besondere beitragsunab-
hängige Geldleistungen (Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70) sowie Leistungen der
sozialen und medizinischen Fürsorge (Art. 3 Abs. 5).
49
Leistungen der sozialen Sicherheit zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Empfän-
ger unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung
der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung ge-
währt werden und sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
ausdrücklich aufgezählten Risiken beziehen.
50
Demgegenüber handelt es sich bei Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsor-
ge (im Folgenden: Sozialhilfe) im Sinne von Art. 3 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr.
883/2004 um Leistungen, die nicht von bestimmten Beschäftigungs-, Beitrags- oder
Mitgliedschaftszeiten abhängen, sondern jedem gewährt werden, der nicht über aus-
reichende Mittel verfügt, und die bezwecken, einen Zustand offensichtlicher Bedürftig-
keit zu lindern. Sie decken somit generell das Armutsrisiko ab und werden auch dann
erbracht, wenn keines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 enumera-
tiv aufgeführten Risiken vorliegt.
51
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende nach dem SGB II sind in Anhang X „Besondere beitragsunabhängige Geldleis-
tungen“ der Verordnung Nr. 883/2004 (Art. 70 Abs. 2 Buchstabe c)) aufgenommen
worden. Bei „besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen“ im Sinne von Art. 3
Abs. 3 bzw. Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 handelt es sich um Leistungen,
die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer An-
spruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale
der Sozialhilfe aufweisen und bisweilen als „Hybrid-Leistungen“ bezeichnet werden.
14299o_End_290914.docx, Möller, Johannes, EA5, 29.09.2014, 23:23:13
– 24 –
52
Der Unterscheidung in Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 kommt maßgebliche
Bedeutung zu:
53
Die Verordnung koordiniert grundsätzlich nur Leistungen der sozialen Sicherheit.7
54
Die Leistungen der Sozialhilfe werden in Art. 3 Abs. 5 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen.
55
Die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen hingegen werden grundsätzlich
vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst (vgl. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004). Jedoch bestimmt Art. 70 Abs. 3, dass Art. 7 und die Vorschriften des Ti-
tels III nicht für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gelten. Dies hat
zur Folge, dass – im Kontext der grenzüberschreitenden Freizügigkeit – die besonde-
ren beitragsunabhängigen Geldleistungen im Ergebnis nicht anders behandelt werden
als die „klassischen“ Sozialhilfeleistungen.
56
Insbesondere findet die Exportverpflichtung des Art. 7 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 keine Anwendung, wonach die Mitgliedstaaten Leistungen der sozialen
Sicherung nicht deshalb einstellen dürfen, weil der Leistungsempfänger seinen Woh-
nort in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat. Vielmehr gilt für die besonderen bei-
tragsunabhängigen Geldleistungen dasselbe wie für Sozialhilfeleistungen, nämlich,
dass im Falle des grenzüberschreitenden Wohnortwechsels die Zahlung eingestellt
werden kann.
57
Auch eine Zusammenrechnung von Zeiten gemäß Art. 6 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 findet in der Praxis bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleis-
tungen ebenso wenig statt wie im Falle der klassischen Sozialhilfeleistungen. Dies ist
deshalb der Fall, weil beide Leistungsarten ausschließlich steuerfinanziert sind und ihre
Gewährung und Berechnung gerade nicht von Beiträgen der Leistungsempfänger ab-
hängen (Art. 70 Abs. 2 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
58
Darüber hinaus sind sowohl die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen als
auch die „klassischen“ Leistungen der Sozialhilfe solche Leistungen, die ein Mindest-
einkommen sichern sollen.
7 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565, Rn. 43.
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– 25 –
59
Im Ergebnis behandelt das Unionsrecht die besonderen beitragsunabhängigen Geld-
leistungen also genauso wie „klassische“ Leistungen der Sozialhilfe. Aus dieser Zuord-
nung im unionsrechtlichen Kontext ergeben sich mithin keine Rechtswirkungen, die ei-
ne unterschiedliche Behandlung der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen
und der „klassischen“ Leistungen der Sozialhilfe im Kontext der Freizügigkeitsrichtlinie
2004/38/EG rechtfertigen würden.
2. Die Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II
60
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind keinem der
Zweige der sozialen Sicherheit nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
zuzuordnen. Das System der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der
Grundsicherung für Arbeitsuchende knüpft nicht unmittelbar an das Risiko der Arbeits-
losigkeit an. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst die im Ausgangsverfah-
ren streitgegenständlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Ein-
gliederungsleistungen. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts knüpfen insbe-
sondere an die Hilfebedürftigkeit von Personen an, setzen aber nicht zwingend voraus,
dass diese arbeitslos sind. Ausreichend ist, dass sie trotz einer Erwerbstätigkeit ihre
Hilfebedürftigkeit nicht überwinden können. Das Merkmal der Erwerbsfähigkeit (vgl. § 7
Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II) dient im Wesentlichen dazu, die Grenze zwischen den beiden
Existenzsicherungssystemen des SGB II und des SGB XII zu markieren und das inso-
fern einschlägige Regelungsregime zu ermitteln.
61
Diese Aspekte haben Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen in der
Rechtssache Dano folgern lassen:
„Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Mischcharakter des vom
SGB II eingerichteten Systems (das aus der Fusion von zwei früheren Re-
gelungen hervorgegangen ist, wovon eine ausschließlich der Arbeitslosen-
hilfe gewidmet war), die Beibehaltung einer vom SGB II getrennten Sozial-
hilferegelung und die Aufnahme der Grundsicherung in Anhang X der Ver-
ordnung Nr. 883/2004 mich dazu bewegen, in dieser Regelung ebenfalls
eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung zu sehen.“8
8 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 57.
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– 26 –
3. Systematische Auslegung des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004
62
Das vorlegende Gericht neigt – wie es auf S. 15 f. seines Vorlagebeschlusses darlegt –
zu der Auffassung, dass der Gleichbehandlungsanspruch des Art. 4 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gilt.
63
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Sie ist der Auffassung, dass der
Gleichbehandlungsanspruch des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht für die
besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gilt. Für diese Auffassung spricht
insbesondere die systematische Auslegung des Art. 4 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004.
64
Bereits ihrem Wortlaut nach ist Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht auf die
besonderen beitragsunabhängigen Leistungen anwendbar. Nach Art. 4 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 haben „Personen, für die die Verordnung gilt, die gleichen Rechte
und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsan-
gehörigen dieses Staates“. „Rechtsvorschriften“ definiert die Verordnung als „die Ge-
setze, Verordnungen, Satzungen und andere Durchführungsvorschriften [jedes Mit-
gliedstaates] in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Si-
cherheit“ (vgl. Art. 1 Buchstabe l) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Leistungen nach
dem SGB II sind jedoch keinem Zweig der Sozialen Sicherheit im Sinne des Absat-
zes 1 zuzuordnen.
65
Dieses Verständnis wird durch eine historische Betrachtung bestätigt, die die Entwick-
lung des Koordinierungsrechts berücksichtigt. In der Vorgängerverordnung (EWG) Nr.
1408/71 war der Begriff „Rechtsvorschrift“ in Art. 1 Buchstabe j) geregelt. Der Begriff
umfasste (im Gegensatz zur Verordnung (EG) Nr. 883/2004) neben den in Art. 4 Abs. 1
und 2 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 genannten Zweigen der Sozialen Sicherheit
ausdrücklich auch die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nach Art. 4
Abs. 2a Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. In der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 wurde
dies anders geregelt.
66
Es zeigt sich also, dass die exakte Bestimmung des Anwendungsbereichs des Art. 4
der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den Wertungswiderspruch, der bei einer weiterge-
henden Anwendung des Gleichbehandlungsanspruchs der Verordnung auf Personen
wie die Kläger entstehen könnte, vermeidet.
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– 27 –
67
Schließlich steht auch eine unionsrechts-systematische Auslegung der Anwendbarkeit
des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf die besonderen beitragsunabhängi-
gen Geldleistungen i.S.d. Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 entgegen: Die
Auslegung der Verordnung muss nach Auffassung der Bundesregierung im Sinne einer
Einheit der Rechtsordnung der Europäischen Union erfolgen. Es verbietet sich daher
eine Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dahingehend, dass sie anderen
unionsrechtlichen Regelungen entgegensteht bzw. diese in ihrer Wirksamkeit konterka-
riert oder aushöhlt.
68
Der Unionsgesetzgeber sieht in den ersten drei Monaten des Aufenthalts eine grund-
sätzliche, allein an den Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ge-
knüpfte Freizügigkeitsberechtigung für Unionsbürger vor (Art. 6 der Freizügigkeitsricht-
linie). Hiermit korrespondierend legt Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4
Buchstabe b) der Richtlinie 2004/38/EG fest, dass der Aufnahmemitgliedstaat nicht
verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen,
denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während dieser
ersten drei Monate des Aufenthalts, ausdrücklich aber auch darüber hinaus, einen An-
spruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG eröffnet
damit explizit die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses für diesen Zeitraum und un-
terscheidet zwischen dem Status einerseits der Arbeitnehmer und Selbstständigen so-
wie Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und andererseits dem Status der
Arbeitsuchenden.
69
Nach Ablauf der ersten drei Monate macht der Unionsgesetzgeber das Recht auf Auf-
enthalt von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern in einem anderen Mitgliedstaat davon
abhängig, dass der betreffende Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel und
einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, so dass keine Sozialhilfeleis-
tungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch genommen werden müssen (Art. 7
Abs. 1 Buchstabe b), Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG). Die Regelungen der
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dürfen vor dem Hintergrund einer Einheit der Rechts-
ordnung der Europäischen Union keinen Leistungszugang eröffnen, wenn dieser nach
Sinn und Zweck der Richtlinie 2004/38/EG gerade mit Blick auf seine Unverhältnismä-
ßigkeit begrenzt ist. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf ei-
ne Koordinierung der Sozialsysteme, nicht aber auf eine Vereinheitlichung der materi-
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– 28 –
ellen Standards in den einzelnen Mitgliedstaaten zielt. Im Ergebnis stimmt dies auch
mit den Wertungen des Urteils in der Rechtssache Brey9 sowie der Schlussanträge in
der Rechtssache Dano10 überein, die freilich in etwas anderem methodischem Zu-
sammenhang getroffen werden. Danach enthält Art. 4 der Verordnung (EG) Nr.
883/2004 kein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot, den Anspruch auf beitragsun-
abhängige Geldleistungen für nichterwerbstätige (einschließlich arbeitsuchende)
Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten zu beschränken.
70
Der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 ist daher für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nicht
eröffnet.
II.
Zur zweiten Vorlagefrage
71
Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und ggf. in
welchem Umfang im Falle einer Bejahung der ersten Vorlagefrage solche Einschrän-
kungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
als Folge der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG unionsrechtskonform sind, nach
denen der Anspruch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen für die ersten
drei Monate nicht besteht, wenn Unionsbürger in der Bundesrepublik Deutschland we-
der Arbeitnehmer noch Selbstständige, noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU
freizügigkeitsberechtigt sind.
72
Diese zweite Vorlagefrage entspricht strukturell der zweiten Vorlagefrage des Bundes-
sozialgerichts in der Rechtssache Alimanovic.11 Das vorlegende Landessozialgericht
möchte damit wissen, ob – eine Anwendbarkeit des Art. 4 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 entgegen der Ansicht der Bundesregierung unterstellt – der Leistungs-
ausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II unionsrechtskonform ist. Aufgrund der
vorgenannten strukturellen Verwandtschaft sind die Ausführungen der Bundesregie-
9 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565.
10 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341.
11 Rechtssache C-67/14,
Alimanovic.
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– 29 –
rung in ihrer Stellungnahme zur Rechtssache Alimanovic12 in weiten Teilen auch auf
die zweite Vorlagefrage des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen übertragbar.
73
Diese zweite Frage des vorlegenden Gerichts ist nach Auffassung der Bundesregie-
rung zu bejahen. Selbst wenn Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf die Grund-
sicherung nach dem SGB II anwendbar sein sollte – was die Bundesregierung ver-
neint -, ist es unionsrechtlich zulässig, Unionsbürgern in der Lage der Kläger zu 2) und
zu 4) in den ersten 3 Monaten ihres Aufenthaltes nicht den gleichen Zugang zu den
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren, wie
ihn Inländer beanspruchen können.
74
Zu diesem Schluss kommt die Bundesregierung aufgrund folgender Überlegungen:
Für eine Einschränkbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes für arbeitsu-
chende Unionsbürger während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes spre-
chen Argumente aus dem Primär- wie Sekundärrecht (siehe unten 1).
Insbesondere ist die Einschränkbarkeit erforderlich, damit nicht aus dem Zu-
sammenspiel der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Richtlinie 2004/38/EG Er-
gebnisse resultieren, die mit dem Willen des Unionsgesetzgebers unvereinbar
sind (siehe unten 2).
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind als
„Sozialhilfe“ im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG einzuordnen (siehe unten 3).
Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG erlaubt den Leistungsausschluss wäh-
rend der ersten 3 Monate des Aufenthalts, wenn es sich weder um Arbeitnehmer
oder Selbständige noch um Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und
ihre Familienangehörigen, handelt (siehe unten 4).
Insbesondere sind die Mitgliedstaaten auch zu typisierenden Regelungen in die-
sem Bereich berechtigt (siehe unten 5).
12 Stellungnahme der Bundesregierung v. 27.05.2014 in der Rechtssache C-67/14,
Alimanovic.
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– 30 –
1. Mögliche Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 4
Verordnung (EG) Nr. 883/2004
75
Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt –
jedenfalls – nicht uneingeschränkt. Wie dargelegt, ist eine Einschränkung nach der
Auffassung der Bundesregierung in Bezug auf Leistungen nach Art. 3 Abs. 3, 70 der
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 bereits „in der Verordnung“ bestimmt (Art. 4 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 883/2004), da die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II nicht von den „Rechtsvorschriften“ des Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 erfasst sind.
76
Sollte der Gerichtshof eine Anwendung des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
auf die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 dennoch grundsätzlich bejahen, sind Einschränkungen des Gleichbe-
handlungsanspruchs in Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gleichwohl in Bezug
auf nicht erwerbstätige, einschließlich arbeitsuchende Unionsbürger und ihre Familien-
angehörigen in den ersten 3 Monaten ihres Aufenthaltes gerechtfertigt.
77
Auch außerhalb der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 liegen gewichtige rechtssystemati-
sche Gründe vor, die eine einschränkende Auslegung des Gleichbehandlungsan-
spruchs nach der Verordnung gebieten:
78
Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) räumt al-
len Unionsbürgern ein Recht auf Personenfreizügigkeit nur „vorbehaltlich der in den
Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und
Bedingungen“ ein. Eine solche sekundärrechtliche Beschränkung findet sich in Art. 24
Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG. Diese Regelung erlaubt unionsrechtlich ausdrücklich
eine Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
79
Die entsprechenden Einschränkungen des Gleichbehandlungsanspruchs hatten bei
der Verabschiedung der Richtlinie 2004/38/EG auch für den Rat eine außerordentliche
politische Bedeutung. Dies wird aus den Erwägungsgründen der Richtlinie deutlich. Die
Richtlinie 2004/38/EG verfolgt danach ausdrücklich das Ziel, „dass Personen, die ihr
Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen
des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen“ (Erwägungs-
grund 10 sowie Erwägungsgrund 21, ebenso für einen längeren Zeitraum Erwägungs-
grund 16).
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– 31 –
80
Vor diesem Hintergrund wird in der Richtlinie 2004/38/EG hinsichtlich der Bedingungen
für das Aufenthaltsrecht einerseits zwischen Erwerbstätigen – abhängig Beschäftigten
oder Selbstständigen – sowie andererseits Nichterwerbstätigen unterschieden. Nach
Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Richtlinie 2004/38/EG besteht ein unionsrechtliches
Aufenthaltsrecht ohne weitere Voraussetzungen, wenn es sich um einen Arbeitnehmer
oder Selbstständigen im Aufnahmemitgliedstaat handelt. Bei Nichterwerbstätigen ver-
langt Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b) der Richtlinie 2004/38/EG für einen Zeitraum von über
drei Monaten, dass der Betreffende über ausreichende eigene Existenzmittel verfügt
und daher keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen muss.
81
Die Gefahr einer unangemessenen Inanspruchnahme von Sozialleistungen droht je-
doch nicht nur bei den Fürsorgeleistungen nach Art. 3 Abs. 5 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004, sondern in gleicher Weise bei besonderen beitragsunabhängigen Geld-
leistungen nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die im Anhang X der
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 eingetragen sind und deren Finanzierung ausschließ-
lich durch Steuern und unabhängig von Beiträgen erfolgt. Das gilt auch und gerade in
Bezug auf die Leistungen nach dem SGB II. Besondere beitragsunabhängige Leistun-
gen entsprechen damit hinsichtlich der finanziellen Belastung reinen Fürsorgeleistun-
gen, auf die die VO (EG) Nr. 883/2004 nach dessen Art. 3 Abs. 5 keine Anwendung
findet.
82
Die Gemeinsamkeiten von steuerfinanzierten besonderen beitragsunabhängigen Geld-
leistungen und reinen Fürsorgeleistungen gebieten es, Art. 4 der Verordnung (EG) Nr.
883/2004 dahingehend auszulegen, dass die in der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehe-
nen Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in Bezug auf Sozialhilfeleistungen
auch auf rein steuerfinanzierte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, wie
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, Anwendung fin-
den.
83
Die vom europäischen Gesetzgeber ausdrücklich zugelassene Beschränkbarkeit des
Gleichbehandlungsgrundsatzes in Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG würde leerlaufen,
wenn Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für denselben Sachverhalt einen
Gleichbehandlungsanspruch begründete.
84
Die – nach Ansicht der Bundesregierung notwendige – Auslegung des Unionsrechts im
Sinne einer Einheit der Rechtsordnung der Europäischen Union und der Grundsatz
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– 32 –
praktischer Wirksamkeit des Unionsrechts gebieten daher eine einschränkende Ausle-
gung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 un-
ter Berücksichtigung der Wertungen der Freizügigkeitsrichtlinie.
85
Die unmittelbare Berücksichtigung der konkreten Inhalte und Wertungen der Richtlinie
2004/38/EG, insbesondere ihrer Art. 7 und 24 Abs. 2, ergibt sich darüber hinaus aus
dem Grundsatz, dass das speziellere Gesetz dem allgemeineren Gesetz vorgeht („lex
specialis derogat legi generali“).
86
Denn Art. 24 der Freizügigkeitsrichtlinie ist gegenüber dem Gleichbehandlungsgebot
aus Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als speziellere Vorschrift anzusehen. Die
Freizügigkeitsrichtlinie enthält ein eigenständiges Regelungswerk. Während die Ver-
ordnung (EG) Nr. 883/2004 allgemeine Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Si-
cherungssysteme beinhaltet, regelt die Richtlinie 2004/38/EG das Aufenthaltsrecht der
Unionsbürger in den aufnehmenden Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang ist in
Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG das Gleichbehandlungsgebot gesondert gere-
gelt.
87
Mit der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehenen Ausnahme hat der
europäische Gesetzgeber für die ersten drei Monate des Aufenthalts eines Unionsbür-
gers einen angemessenen Ausgleich gefunden zwischen dem Interesse des Unions-
bürgers an der Freizügigkeit und dem Interesse des Aufnahmemitgliedstaates, dass
sein Sozialhilfesystem nicht belastet wird. Die Ausnahme vom Gleichbehandlungsan-
spruch ist erforderlich, weil die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen gemäß Art.
14 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nicht automatisch zu einer Ausweisung führen
darf.
88
Darüber hinaus ist Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG auch deswegen als spezi-
ellere Regelung einzustufen, weil ihre Regelungen lediglich solche Unionsbürger be-
trifft, die weder Arbeitnehmer noch Selbstständige noch Personen, für die dieser Sta-
tuts fortwirkt, noch deren Familienangehörige sind. Demgegenüber ist der persönliche
Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 deutlich weiter gefasst ist (vgl. de-
ren Art. 2).
89
In einem europarechtskonformen und verhältnismäßigen Rahmen ist danach unter be-
stimmten Umständen eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern beim Zugang zu
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– 33 –
Sozialleistungen im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber den eigenen Staats-
angehörigen eines Mitgliedstaates gerechtfertigt.
90
Entgegen der Rechtsansicht, welche die Kommission in der Rechtssache Brey13 vertre-
ten hatte, sprechen auch historische Gesichtspunkte für eine entsprechende ein-
schränkende Auslegung des Gleichbehandlungsanspruchs in Art. 4 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004. Unter der Geltung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 waren inak-
tive Personen noch bis zum Jahr 2010 nicht vom persönlichen Anwendungsbereich
des europäischen koordinierenden Sozialrechts erfasst. Der einzige Erwägungsgrund
der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, der sich auf den Gleichbehandlungsanspruch be-
zieht (Nr. 8), nennt als Personen, für die dieser von besonderer Bedeutung sei, aus-
schließlich „Arbeitnehmer, die nicht im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen“.
91
Der Zuzug nichterwerbstätiger Personen wurde bei der Verabschiedung der Verord-
nung (EG) Nr. 883/2004 anscheinend seinerzeit nicht (hinreichend) berücksichtigt. Die
historische Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den besonderen bei-
tragsunabhängigen Geldleistungen, die zu dem heutigen Art. 70 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 geführt hat, gibt daher für die heutige Frage, ob Einschränkungen in Be-
zug auf wirtschaftlich inaktive Zuwanderer analog zur Richtlinie 2004/38/EG möglich
sind, nichts her. Diese Rechtsprechung basierte auf der Schwierigkeit einer eindeuti-
gen Zuordnung zu den Leistungen der sozialen Sicherheit einerseits und zu Fürsorge-
leistungen andererseits.
92
Vor Einführung einer weiteren Kategorie von Mischformen (hier: sogenannte besonde-
re beitragsunabhängige Geldleistungen) wären die Leistungen zur Sicherung des Le-
bensunterhalts nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II eindeutig den Leistungen der Fürsorge
gemäß Art. 3 Abs. 5 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zugeordnet wor-
den. Die Rechtsprechung hatte seinerzeit lediglich einen diskriminierungsfreien Zugang
von Arbeitnehmern und Selbstständigen zu Leistungen der sozialen Sicherheit vor Au-
gen. Die begrenzte Belastbarkeit der Sozialsysteme der betroffenen Aufnahmemit-
gliedstaaten ist jedoch im Blick zu behalten. Dies hat der Europäische Gesetzgeber be-
reits bei der Verabschiedung der Richtlinie 2004/38/EG mit seinem Regelungssystem
in Art. 24 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b) sowie Erwägungsgrund 16 antizipiert.
13 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565.
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– 34 –
2. Insbesondere: Verhältnis der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Richtlinie
2004/38/EG
93
Wie bereits herausgearbeitet, berührt die zweite Vorlagefrage insbesondere das Ver-
hältnis der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Richtlinie 2004/38/EG.
94
Der Gerichtshof hat sich in dem Urteil vom 19.09.2013 in der Rechtssache Brey14 aus-
führlich mit dem Verhältnis der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Richtlinie
2004/38/EG auseinandergesetzt. Er ist entgegen der Auffassung der Europäischen
Kommission den Stellungnahmen der Mitgliedstaaten gefolgt. Im Verhältnis der Ver-
ordnung zur Richtlinie konstatiert der Gerichtshof insbesondere:
„Die Verordnung Nr. 883/2004 schafft nämlich kein gemeinsames System
der sozialen Sicherheit, sondern lässt unterschiedliche nationale Systeme
bestehen und soll diese nur koordinieren. Sie lässt somit unterschiedliche
Systeme bestehen, die zu unterschiedlichen Forderungen gegen unter-
schiedliche Träger führen, gegen die dem Leistungsberechtigten unmittel-
bare Ansprüche entweder allein nach dem nationalen Recht oder nach dem
erforderlichenfalls durch Unionsrecht ergänzten nationalen Recht zu-
stehen.“15
95
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass die Richtlinie 2004/38/EG und die Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 unterschiedliche Ziele verfolgten. Die Verordnung solle eine nach-
teilige Auswirkung der Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch Arbeitnehmer und de-
ren Familienangehörige in Bezug auf den Genuss von Leistungen der sozialen Sicher-
heit verhindern, während die Richtlinie die Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleich-
tere und verstärke, aber auch die Bedingungen schaffe, unter denen dieses Recht
ausgeübt werden könne. Zu einer solchen Bedingung gehöre auch die in Art. 7 Abs. 1
Buchstabe b) Richtlinie 2004/38/EG genannte, wonach Unionsbürger, die die Arbeit-
nehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, über ausreichend Existenzmittel
verfügen müssen.
„Daraus ergibt sich, dass die Verordnung Nr. 883/2004 zwar den Unions-
bürgern, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch ge-
macht haben, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen
der sozialen Sicherheit, die in ihrem Ursprungsmitgliedstaat gewährt wur-
14 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565.
15 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565, Rn 43.
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– 35 –
den, garantieren soll, aber es die Richtlinie 2004/38 ihrerseits dem Auf-
nahmemitgliedstaat erlaubt, Unionsbürgern, wenn sie die Arbeitnehmerei-
genschaft nicht oder nicht mehr besitzen, rechtmäßige Beschränkungen in
Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese
die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch
nehmen.“16
96
Generalanwalt Wathelet hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Dano die-
ses Argument noch verstärkt, indem er ausführt:
„Die kumulative Anwendung der beiden sekundärrechtlichen Normen – der
Verordnung Nr. 883/2004 und der Richtlinie 2004/38 – würde, wenn sie so
ausgelegt würden, dass sie den allgemeinen Ausschluss der Staatsange-
hörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats von der
Gewährung einer Sozialhilfeleistung dieser Art verhindern, dazu führen,
den vom Gesetzgeber in dieser Richtlinie ausgedrückten Willen zunichte-
zumachen.
Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 sollten näm-
lich Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, die Sozialhilfeleistungen
des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen,
was bedeutet, dass „das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren
Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten [daher] be-
stimmten Bedingungen unterliegen [sollte]“. Im 21. Erwägungsgrund wird
ergänzt, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat folglich „überlassen bleiben
[sollte], zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder
Selbstständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Fami-
lienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufent-
halts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum ge-
währt“.17 (Unterstreichung hinzugefügt)
97
Gerade aus dem Zusammenspiel der Richtlinie 2004/38/EG mit der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 ergibt sich also – bei zutreffender Wertung des Willens des europäischen
Gesetzgebers – die Notwendigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 4 der Ver-
ordnung Nr. 883/2004 einzuschränken.
16 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565, Rn. 57.
17 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 107 f.
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– 36 –
3. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als So-
zialhilfe im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG
98
Wie dargelegt, handelt es sich bei den Leistungen nach dem SGB II nach Auffassung
der Bundesregierung um eine Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG.
Hierfür sprechen vor allem die nachfolgend angeführten systematischen und teleologi-
schen Argumente. Somit fallen diese Leistungen in den Anwendungsbereich von
Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG und dürfen Unionsbürgern deswegen unter
bestimmten Umständen versagt werden.
99
Zum Begriff der Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG haben General-
anwalt Wahl und der Gerichtshof in der Rechtssache Brey18 Kriterien entwickelt. Dies
war nötig, da die „Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung
ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten
verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und ein-
heitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der
Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden
muss.“19 Dies könne „nicht anhand von formalen Kriterien, sondern anhand des mit
dieser Bestimmung verfolgten Ziels“20 geschehen.
100 Der Begriff der Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG sei folglich „so
zu verstehen, dass er sich auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfs-
systeme bezieht, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die
ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Be-
streitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb
während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnah-
memitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Bei-
hilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann.“21
18 Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache C-140/12,
Brey, EU:C:2013:337, Rn. 37 ff; Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565.
19 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565, Rn. 49 m.w.N.
20 Urteil C-140/12
, Brey, EU:C:2013:565, Rn. 60 m.w.N.
21 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565, Rn. 61 m.w.N.
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– 37 –
101 Aus dieser Definition ergibt sich, dass auch die Leistungen zur Sicherung des Lebens-
unterhalts nach dem SGB II Sozialhilfeleistungen in diesem Sinne sind. Hiervon geht
auch das vorlegende Landessozialgericht aus.22
102 Zunächst handelt es sich bei Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie um Leistun-
gen, für die keine Beiträge erbracht worden sind und die durch allgemeine Steuermittel
finanziert werden. Dies trifft auch auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-
halts nach dem SGB II zu. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach
dem SGB II sind steuerfinanziert. Die Aufwendungen werden zu Lasten des Bundes
und der kommunalen Träger von den Jobcentern erbracht, die eine öffentliche Behörde
in diesem Sinne sind. Personen, die berechtigt sind, Leistungen zur Sicherung des Le-
bensunterhalts nach SGB II zu erhalten, müssen hierfür keine Beiträge erbringen oder
in der Vergangenheit erbracht haben. Leistungen nach dem SGB II sind folglich eben-
so von Vorleistungen unabhängig wie reine Fürsorgeleistungen.
103 Die Leistungen dienen im Wesentlichen der Sicherung des Lebensunterhalts, soweit
dieser nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann, und sollen insoweit den Man-
gel an ausreichenden eigenen Einkünften ausgleichen. Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II werden im Falle von Hilfebedürftigkeit erbracht.
Hilfebedürftig im Sinne des Gesetzes ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht
ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann
und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von
Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Leistungen sind ihrer
Höhe nach im Wesentlichen begrenzt auf diejenigen Mittel, die zur Sicherung eines
menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich sind, und orientieren sich an den
statistisch nachgewiesenen Verbrauchsausgaben von Haushalten unterer Einkom-
mensschichten (vgl. § 4 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG).
104 Dass die Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie
2004/38/EG zu verstehen sind, ergibt sich ferner auch noch aus einer anderen Überle-
gung. Die Richtlinie 2004/38/EG versteht den Begriff der Sozialhilfeleistungen – wie der
Gerichtshof in seiner vorstehend zitierten Definition zu Recht herausstellt – als solche
Leistungen, deren Inanspruchnahme durch Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten
22 Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22.05.2014, zu Vorlagefrage 2, Punkt 2.
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die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats möglicherweise (erheblich) be-
lasten und damit Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann.
105 Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 der
Richtlinie 2004/38/EG die Absicht zu Grunde liegt, die öffentlichen Finanzmittel des
Aufnahmemitgliedstaats zu schützen. Dieses Ziel – den Schutz der öffentlichen Fi-
nanzmittel vor der (übermäßigen) Inanspruchnahme des Fürsorgesystems SGB II –
verfolgen auch die Leistungsausschlüsse nach nationalem Recht. Das Verständnis von
„Sozialhilfeleistung“ im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG entspricht folglich dem des
SGB II.
106 Nach alledem treffen die vom Gerichtshof entwickelten Merkmale für Sozialhilfeleistun-
gen im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG daher eindeutig auch auf Leistungen zur Si-
cherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu.
107 Diesen Schluss zieht auch Generalanwalt Wathelet für die existenzsichernden Leistun-
gen nach dem SGB II, wenn er ausführt :
„Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen der Grundsiche-
rung scheinen mir daher der vom Gerichtshof im Urteil Brey herangezoge-
nen Definition der „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2004/38 zu
entsprechen, d. h. im Rahmen eines von öffentlichen Stellen eingerichteten
Hilfssystems gewährt zu werden, das ein Einzelner in Anspruch nimmt, der
nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbe-
dürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während sei-
nes Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnah-
memitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Ni-
veau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann.“23
108 Somit fallen diese ebenfalls unter den Begriff der Sozialhilfeleistungen im Sinne der
Richtlinie 2004/38/EG.
4. Zur Zulässigkeit, Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres
Aufenthalts von „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Freizügigkeitsricht-
linie auszuschließen
109 Grundsätzlich gibt Art. 45 Abs. 3 AEUV Unionsbürgern das Recht, sich zur Arbeitsuche
in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten. Gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der Richt-
23 Schlussanträge des Generalanwalt Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 72.
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linie 2004/38/EG besteht dieses Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche so lange,
wie der betroffene Unionsbürger nachweislich und mit Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht.
Zudem besteht ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht für 3 Monate gemäß Artikel 6
der Richtlinie 2004/38/EG. Diese Vorschriften sind im nationalen Recht in § 2 Abs. 2
Nr. 1 FreizügG/EU sowie in § 2 Abs. 5 FreizügG/EU umgesetzt.
110 Ungeachtet dessen ist der Aufnahmemitgliedstaat gem. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder
Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienan-
gehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts […] einen Anspruch auf
Sozialhilfe […] zu gewähren.
111 Gestützt auf diese Vorschrift – umgesetzt im nationalen Recht in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
SGB II – hatte die zuständige Behörde die Gewährung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Kläger zu 2) und 4) abgelehnt, denn der
Kläger zu 2) war im streitgegenständlichen Zeitraum selbst weder erwerbstätig noch
blieb ihm dieser Status erhalten.
112 Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG begründet in Fällen wie dem vorliegenden
aber auch keinen gleichen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen aus abgeleitetem Recht
als Verwandter eines Arbeitnehmers. Denn die Vorschrift regelt den unbeschränkten
Gleichbehandlungsanspruch nur für Arbeitnehmer, Selbständige sowie solche Perso-
nen, denen die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleibt, und ihre Familienangehöri-
gen, während andere Unionsbürger und ihre Familienangehörigen von Leistungen der
Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen. Sie ist nicht dahin auszulegen, dass Mit-
gliedstaaten verpflichtet sind, Personen in der Situation des Klägers zu 2) aufgrund
seiner Beziehung mit der Klägerin zu 1), die Arbeitnehmerin ist, als weiterem Familien-
angehörigen eines Arbeitnehmers einen unbeschränkten, gleichen Anspruch zu Sozi-
alhilfeleistungen zu gewähren.
113 Wer „Familienangehöriger“ eines Unionsbürgers ist, ist in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie
2004/38/EG legaldefiniert. Der Kläger zu 2) ist jedoch weder Ehegatte noch Lebens-
partner der Klägerin zu 1). Familienangehöriger ist er auch nicht als Verwandter in ge-
rader aufsteigender Linie der Klägerin zu 3) mangels Unterhaltsgewährung durch die
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Klägerin zu 3) an ihn nach Art. 2 Nr. 2 d) der Richtlinie 2004/38/EG;24 das Kindergeld
bezieht der Kläger zu 2) als Kindergeldberechtigter für den Kläger zu 4).
114 Der Begriff des Familienangehörigen in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist
auch nicht unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 6 (Wahrung der Familie im
weiteren Sinne), Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG sowie der zum Aufenthalts-
recht von weiteren Familienangehörigen eines Unionsbürgers ergangenen Rechtspre-
chung des Gerichtshofs25 oder Art. 8 EMRK auf den nichtehelichen Partner einer Uni-
onsbürgerin und als tatsächlich sorgender Elternteil einer freizügigkeitsberechtigten
Unionsbürgerin im Kleinkindalter zu erweitern. Erwägungsgrund 6 verlangt zwar eine
Berücksichtigung der Beziehung des weiteren Verwandten zum freizügigkeitsberechtig-
ten Unionsbürger. Art. 3 Abs. 2 verlangt die Berücksichtigung einer vorbestehenden
gemeinsamen häuslichen Gemeinschaft im Herkunftsland. In der Rechtssache Zu und
Chen stellte der Gerichtshof auf die praktische Wirksamkeit des Aufenthaltsrechts ei-
nes Unionsbürgers im Kindesalter ab, und folgerte daraus ein Aufenthaltsrecht des tat-
sächlich sorgenden Elternteils für das Kind, weil offenkundig der Genuss des Aufent-
haltsrechts durch ein Kind im Kleinkindalter voraussetze, dass sich die für das Kind tat-
sächlich sorgende Person bei diesem aufhalten dürfe.
115 All diese Erwägungen werden aber ausschließlich bei der Frage eines Aufenthalts-
rechts nach Unionsrecht berücksichtigt. Der vorliegende Fall beschäftigt sich aber nicht
mit der Frage des Aufenthaltsrechts der Kläger, sondern mit der Frage ihrer Berechti-
gung zum Bezug von Leistungen. Für diese Frage ist in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG eine eindeutige und abschließende Regelung vorgesehen, die den Perso-
nenkreis der Sozialhilfeberechtigten in Aufnahmemitgliedstaaten während der ersten
drei Monate ihres Aufenthalts definiert.
116 Auf den Fall angewendet gewährt Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 der Richtlinie
2004/38/EG nur den in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG definierten Familienan-
gehörigen der Klägerinnen zu 1) und zu 3) einen gleichen Zugang zu Sozialhilfeleis-
tungen, nicht aber weiteren Verwandten. Ein Anspruch des Klägers zu 2) und des Klä-
24 vgl. hierzu Urteil C-200/02,
Zu und Chen, EU:C:2004:639, Rn. 44.
25 u.a. Urteil C-200/02,
Zu und Chen, EU:C:2004:639, Rn. 45 ff; Urteil C-86/12,
Alopka, EU:C:2013:645, Rn. 29.
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gers zu 4) lässt sich darüber hinaus nicht ableiten. Der Kläger zu 2) zählt nicht zu dem
in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG als leistungsberechtigt aufgeführten Perso-
nenkreis. Anders gesprochen, er unterfällt der Ausnahme des Art. 24 Abs. 2 der Richt-
linie 2004/38/EG zum Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie
2004/38/EG. Er ist weder mit der Klägerin zu 1) verheiratet, noch wird ihm vom ge-
meinsamen Kind, der Klägerin zu 3), Unterhalt gewährt.
117 Auch der Kläger zu 4) zählt nicht zu dem in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG als
leistungsberechtigt aufgeführten Personenkreis. Er ist mit der Klägerin zu 1) nicht ver-
wandt, da es sich bei ihr nicht um seine Mutter handelt. Aus dem Umstand, dass die
Klägerin zu 3) seine Halbschwester ist, lässt sich ebenfalls kein Anspruch auf Sozialhil-
feleistungen ableiten. Denn der gemeinsame Vater als verbindendes Elternteil, der
Kläger zu 2), ist, wie oben ausgeführt, nicht anspruchsberechtigt.
118 So wie aus dem Recht zum Aufenthalt nicht ohne weiteres ein Recht auf Sozialhilfe
folgen muss, sagt umgekehrt die mangelnde Berechtigung der Kläger zu 2) und zu 4)
hinsichtlich Sozialhilfeansprüchen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts im Auf-
nahmemitgliedstaat nichts über ihr dortiges Aufenthaltsrecht aus. Das Auseinanderfal-
len von Aufenthaltsrecht und Sozialhilfeansprüche ist unionsrechtlich in Art. 24 Abs. 2
der Richtlinie 2004/38/EG sowie Erwägungsgrund 21 vorgesehen.
5. Zur Befugnis des nationalen Gesetzgebers, eine typisierende Regelung zu
erlassen
119 Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Brey festgestellt, dass die Behörden bei der
Prüfung, ob der Betroffene die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates un-
angemessen in Anspruch nimmt, die Umstände jedes Einzelfalls, insbesondere die
Höhe der dem Antragsteller verfügbaren Einkünfte und die voraussichtliche Dauer des
Bezugs von Sozialleistungen, berücksichtigen müssen.26 Anders als der vorliegende
Fall, der den in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG explizit erlaubten Leistungs-
ausschluss für die ersten 3 Monate des Aufenthalts thematisiert, betrifft die Rechtssa-
che Brey den Leistungsausschluss während des Aufenthalts von über 3 Monaten.
26 Urteil C-140/12
, Brey, EU:C:2013:565.
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120 Der Bundesregierung erscheint es angezeigt, auch zu erörtern, zu welchen Ergebnis-
sen eine etwaige Übertragung des Urteils
Brey auf Fälle wie den hier vorliegenden füh-
ren würde.
121 Die Situation von Herrn Brey war nach dem Verständnis der deutschen Regierung
dadurch gekennzeichnet, dass er sich in einer sehr speziellen Lage befand. Er war in
Österreich nicht wirtschaftlich aktiv, insbesondere kein Arbeitnehmer. Ihm war die Be-
mühung um einen Arbeitsplatz zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation aber
auch aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht zuzumuten, zumal er sich bereits im
Ruhestand befand.
122 Herr Brey und seine Frau verfügten auch über eine Rente der deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung, die auf ihrer eigenen Leistung beruhte. Allerdings beliefen sich
diese Ansprüche auf eine Höhe, die etwas unterhalb der Summe lag, welche das Ehe-
paar zur Sicherung des Existenzminimums benötigte. Die Rentenansprüche von Herrn
Brey und somit der auf eigener Leistung beruhende Betrag der Eheleute Brey beziffer-
ten sich auf über 800 Euro. Diese waren deutlich mehr als doppelt so hoch wie der
strittige Anspruch auf die Ausgleichszulage, also der beanspruchte „staatliche Beitrag“
zur Sicherung des Existenzminimums des Ehepaars Brey.
123 Die Bundesregierung versteht das Urteil
Brey, wonach die nationalen Behörden und
Gerichte eine Vielzahl von Kriterien zu ermitteln haben, um zu entscheiden, ob die In-
anspruchnahme von Sozialleistung im Einzelfall unangemessen sei, dahingehend,
dass damit der sehr speziellen Situation des Ehepaars Brey maßgeblich Rechnung ge-
tragen werden sollte. Nach Überzeugung der deutschen Regierung kann aus dem Ur-
teil in der Rechtssache
Brey aber keineswegs gefolgert werden, dass in jeder Konstel-
lation, in welcher nationales Recht wirtschaftlich inaktive Unionsbürger ausländischer
Staatsangehörigkeit von dem Bezug von Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie
2004/38/EG ausschließt, eine auf jeden Lebenssachverhalt bezogene umfassende
Einzelfallprüfung zur Unangemessenheit der Inanspruchnahme von Sozialhilfe zwin-
gend erforderlich wäre.
124 In dieser Weise scheint auch Generalanwalt Wathelet die Entscheidung des Gerichts-
hofes in der Rechtssache Brey zu verstehen: „In einem solchen Fal drängte sich in
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Anbetracht der allgemeinen Systematik der Richtlinie 2004/38 das Erfordernis einer
Einzelfallprüfung auf.“27
125 Grundsätzlich muss nämlich davon ausgegangen werden, dass der nationale Gesetz-
geber, der – wie jeder Gesetzgeber – ex ante eine abstrakt-generelle Regelung für ei-
ne große Zahl von Einzelfällen zu treffen hat, berechtigt ist, typisierende Entscheidun-
gen zu treffen. Dies folgt auch aus dem rechtsstaatlichen – und damit auch primär-
rechtlichen – Gebot der Rechtssicherheit sowie der Gleichmäßigkeit und Transparenz
des Verwaltungshandelns.
126 Auch aus verwaltungspraktischen Gründen wäre eine Einzelfallprüfung in Massenver-
fahren, wie sie die Verbescheidung von Anträgen auf Leistungen nach dem SGB II
darstellt, schlechterdings nicht leistbar. Gerade diesen Gedanken macht auch Gene-
ralanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Dano fruchtbar,
wenn er argumentiert :
„Außerdem hat der Gerichtshof, wenn auch in einem anderen Bereich, ent-
schieden, dass „in der Regel nicht verlangt werden [kann], dass eine Maß-
nahme […] vorschreibt, dass jeder Einzelfall individuel geprüft wird, […] da
die fragliche Regelung in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht hand-
habbar bleiben muss“. Er hat ferner anerkannt, dass eine erhebliche Ge-
fährdung des finanziellen Gleichgewichts eines Systems der sozialen Si-
cherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann,
der bestimmte Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen kann.
Derselbe Gedanke steht auch hinter der den Mitgliedstaaten belassenen
Möglichkeit, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur De-
ckung des Unterhalts von Studierenden aus anderen Mitglied-staaten nicht
zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte
Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann.“28
127 Es kommen weitere Erschwernisse hinzu: So sind bei der Frage, wie lange der Sozial-
hilfebezug voraussichtlich dauern wird, zwangsläufig Prognoseentscheidungen erfor-
derlich. Hier würde sich also die weitere Frage stellen, in welchen Abständen überprüft
werden muss, wie zuverlässig die Prognose war und wie genau vorgegangen werden
muss, wenn neue Erkenntnisse eine neue Prognose rechtfertigen.
27 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 122.
28 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 132.
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128 Auch könnte die Entscheidung, hinsichtlich jedes einzelnen Falles die konkrete finanzi-
elle Belastung und Belastbarkeit des Mitgliedstaates zu berücksichtigen, dazu führen,
dass Sozialhilfeleistungen nur „nach Kassenlage“ beansprucht werden können. Sollte
ein Mitgliedstaat in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und seiner Bonität plötz-
lich nachlassen und sollte ihm daher die finanzielle Belastung nicht mehr zuzumuten
sein, so verlören „über Nacht“ zahlreiche Unionsbürger ihre gegen diesen Mitgliedstaat
gerichteten Sozialhilfeansprüche – wohlgemerkt ipso iure und nicht etwa aufgrund ei-
ner Entscheidung des Gesetzgebers.
129 Aus alledem folgt nach Überzeugung der Bundesregierung: Das Urteil in der Rechts-
sache
Brey29 schließt nicht aus, dass in bestimmten Konstellationen, insbesondere in
Massenverfahren, der nationale Gesetzgeber typisierend festlegt, dass die Inan-
spruchnahme des nationalen Sozialhilfesystems durch wirtschaftlich inaktive Unions-
bürger – jedenfalls während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes – „unangemes-
sen“ ist.
130 Für eine solche grundsätzliche Typisierungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers
spricht auch, dass sich die Formulierung der „unangemessenen“ Inanspruchnahme
des Sozialhilfesystems des Aufnahmemitgliedstaats in der Freizügigkeitsrichtlinie
2004/38/EG nur im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht findet (Art. 14, sowie Er-
wägungsgründe 10 und 16). In Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG, auf den es als
die hier entscheidende Norm ankommt, wird die Verpflichtung der Mitgliedstaaten,
Nichterwerbstätigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes einen Anspruch auf
Sozialhilfe zu gewähren, dagegen ohne Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs
der Unangemessenheit – und ohne jede weitere Einschränkung – aufgehoben.
131 Dies ist vor dem Hintergrund der von der Freizügigkeitsrichtlinie getroffenen Grundwer-
tungen auch folgerichtig. Denn die Richtlinie 2004/38/EG trifft eine grundsätzliche Un-
terscheidung zwischen verschiedenen Aufenthaltszeitspannen, namentlich zwischen
den ersten drei Monaten des Aufenthaltes in dem Aufnahmemitgliedstaat und der rest-
lichen Zeit. Der Ablauf der ersten drei Monaten im Aufnahmemitgliedstaat prägt die
Erwägungen und Regelungen der Richtlinie 2004/38/EG in vielerlei Hinsicht (vgl. im
29 Urteil C-140/12,
Brey, EU:C:2013:565.
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Allgemeinen nur die Erwägungsgründe 9, 10, 12, 13, 21 sowie die Artikel 6, 7, 8, 9 und
24). Dabei hat diese von der Freizügigkeitsrichtlinie gesetzte zeitliche Grenze selbst
einen „typisierenden Charakter“, indem ab diesem Zeitpunkt von einer intensiveren Be-
ziehung zwischen Unionsbürger und Aufnahmestaat ausgegangen wird.
132 Mit Blick auf die Sozialleistungen ist vor allem auch Erwägungsgrund 21 der Richtlinie
2004/38/EG von Bedeutung, nach dem es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen
bleiben soll, zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbst-
ständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen
Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitsu-
chenden für einen längeren Zeitraum gewährt.
133 Jedenfalls muss die Frage der Unangemessenheit nicht zwingend in einer Einzelfall-
entscheidung beantwortet werden. Vielmehr kann der Gesetzgeber des Mitgliedstaates
auch im Wege einer typisierenden Regelung bestimmte Fallgruppen vom Sozialhilfe-
bezug ausschließen, wenn dieser Fallgruppe – generalisierend betrachtet – eine unan-
gemessene Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des Aufnahmemitgliedstaates
zugrunde liegt. Es ist daher verhältnismäßig, Unionsbürger, die mangels (vorangegan-
gener) Erwerbstätigkeit noch keine Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt haben, in
den ersten drei Monaten oder als Arbeitssuchende auch während eines längeren Zeit-
raums als regelmäßig abstrakt das Sozialhilfesystem belastend von Sozialhilfeleistun-
gen auszuschließen.
134 Ebenso ist die Typisierung der familiären Verbindung verhältnismäßig. Mit der Rege-
lung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, dass nur ausländische Familienangehörige
von ausländischen Arbeitnehmern, Selbständigen und Personen, die aufgrund des § 2
Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, leistungsberech-
tigt sind, stellt der deutsche Gesetzgeber im SGB II zulässigerweise auf bereits verfes-
tigte familiäre Bindungen ab. Diese familiären Bindungen müssen allerdings über eine
Verwandtschaft oder die Begründung einer Ehe bzw. einer eingetragenen Lebenspart-
nerschaft Ausdruck gefunden haben. Zu berücksichtigen ist bei der Beurteilung der
Verhältnismäßigkeit auch, dass im Vergleich zum vorliegenden Fall ab dem vierten
Monat des Aufenthalts in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen weitere fa-
miliäre Bindungen dazu führen können, dass der Leistungsausschluss im SGB II nicht
greift. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn der länger als drei Monate
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dauernde Aufenthalt in Deutschland einem anerkannten Zweck dient, der sich nicht in
der Arbeitssuche erschöpft.
6. Zusammenfassung zur zweiten Vorlagefrage
135 Der Ausschluss während der ersten drei Monate des Aufenthaltes in einem Aufnah-
memitgliedstaat (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II) stellt eine zulässige, typisierende Ent-
scheidung des Gesetzgebers des Mitgliedstaates dar, zu der Art. 24 Abs. 2 der Richtli-
nie 2004/38/EG die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt und die im Übrigen der
Wertungssystematik der Richtlinie 2004/38/EG – und damit der des Unionsgesetzge-
bers – entspricht.
136 Die deutsche Bundesregierung schlägt vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten,
dass das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 es
den Mitgliedstaaten nicht verbietet, durch Bestimmungen des nationalen Rechts zur
Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG andere Personen als Arbeit-
nehmer, selbständig Erwerbstätige oder solche Personen, denen dieser Status erhal-
ten bleibt sowie deren Familienangehörige im Sinne von Art. 2 der Richtlinie
2004/38/EG unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens für die ersten 3 Mo-
nate ihres Aufenthalts von Leistungen auszuschließen, die wie die Leistungen zur Si-
cherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie
2004/38/EG und gleichzeitig als besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sin-
ne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 einzuordnen sind.
III.
Zur dritten Vorlagefrage
137 Mit seiner dritten Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob andere primärrechtliche
Gleichbehandlungsgebote, insbesondere Art. 45 AEUV in Verbindung mit Art. 18
AEUV, einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, die Unionsbürgern einen An-
spruch auf eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch
den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, in den ersten drei Monaten ihres Aufenthal-
tes ausnahmslos verweigert, wenn diese Unionsbürger weder Arbeitnehmerinnen, Ar-
beitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügig-
keitsberechtigt sind, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbe-
sondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates aufweisen können.
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138 Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass die dritte Vorlagefrage ebenfalls zu
verneinen ist. Eine Regelung, nach der Unionsbürger keinen Anspruch auf eine Sozial-
leistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes haben, es sei denn, sie sind,
Arbeitnehmer, Selbstständige oder aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügig-
keitsberechtigt, steht im Einklang mit Unionsrecht.
1. Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II
139 Zunächst möchte die deutsche Regierung darauf hinweisen, dass der Gerichtshof die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nicht – auch nicht
in seinem Urteil Vatsouras und Koupatantze30 – als Leistungen, die den Zugang zum
Arbeitsmarkt ermöglichen, eingeordnet hat. In dieser Rechtssache haben sowohl Ge-
neralanwalt Colomer als auch der Gerichtshof bereits Ausführungen zu den Leistungen
nach dem SGB II gemacht.
140 Generalanwalt Colomer hat insoweit in seinen Schlussanträgen den Namen der dama-
ligen „Arbeitsgemeinschaft zur Arbeitsmarktintegration“ (Jobcenter) sowie deren Auf-
gabe nach dem SGB II zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt betrachtet.
Gleichwohl hat er die Bewertung des Zwecks der konkreten Leistung dem nationalen
Gericht überlassen, indem er ausführt, dass es dem vorlegenden Gericht obliege zu
beurteilen, ob die beantragte „Sozialhilfe“ den Zweck der Arbeitsmarktintegration er-
füllt.31
141 Auch der Gerichtshof hat in seinem Urteil in der Rechtssache Vatsouras und Kou-
patantze32 ausgeführt, dass es Sache der nationalen Behörden und Gerichte sei, die
grundlegenden Merkmale der Leistung zu prüfen, insbesondere ihren Zweck und die
Voraussetzungen ihrer Gewährung. Eine Einordnung dahingehend, dass die Leistun-
gen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine „Sozialhilfeleistungen“
im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG, sondern Leistungen sind, die
den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, und der Zugang zu Leistungen zur
30 Urteil verbundene Rechtssache C-22/08 und C-23/08,
Vatsouras und Koupatantze, EU:C:2009:344.
31 Schlussanträge des Generalanwalts Colomer in den verbundenen Rechtssachen C-22/08 und C-23/08,
Vatsouras und
Koupatantze, EU:C:2009:150, Rn. 58 f.
32 Urteil C-22/08, C-23/08,
Vatsouras und Koupatantze, EU:C:2009:344.
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Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger
sich damit nach Art. 45 Abs. 2 AEUV richtet, hat der Gerichthof also gerade nicht vor-
genommen.
142 Nach Überzeugung der deutschen Bundesregierung sind die Leistungen der Grundsi-
cherung nach dem SGB II – abstellend auf die prägende, überwiegende Funktion und
unbeschadet der weiteren mit den Leistungen verfolgten erwerbsfördernden Ziele – als
Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG einzuordnen, die nicht Art. 45 AEUV un-
terfallen.
143 Auch Generalanwalt Wathelet hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Dano
die dort wie auch in der Rechtssache Alimanovic und in der vorliegenden Rechtssache
streitigen Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie
2004/38/EG eingeordnet und insofern von Leistungen, die den Zugang zum Arbeits-
markt ermöglichen sollen, abgegrenzt.33
144 Zwar hat der deutsche Gesetzgeber sich mit der Neustrukturierung der steuerfinanzier-
ten existenzsichernden Leistungen im Jahr 2005 für eine stärkere Aktivierung erwerbs-
fähiger Personen entschieden und als maßgebliches Abgrenzungskriterium für die Zu-
ordnung zum SGB II oder SGB XII die Erwerbsfähigkeit bestimmt. Das Abgrenzungs-
kriterium der Erwerbsfähigkeit führt aber nicht zur Einordnung als Leistung, die den
Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Denn die Leistungen zur Sicherung des Le-
bensunterhalts nach dem SGB II sollen vielmehr im Wesentlichen auch den Lebensun-
terhalt der Leistungsempfänger sichern. Verfolgt eine konkrete Leistung sowohl exis-
tenzsichernde Zwecke der Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG als auch Ein-
gliederungszwecke, ist im Wege einer Schwerpunktbetrachtung auf die überwiegende
und prägende Funktion der Leistungen abzustellen.
145 Dementsprechend hat auch Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen in der
Rechtssache Dano die alleinige Maßgeblichkeit des Kriteriums der Erwerbsfähigkeit in
Frage gestellt und vielmehr eine Einordnung als Sozialhilfe aufgrund der im Wesentli-
33 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 65 ff.
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chen auch existenzsichernden Funktion der konkret streitigen Leistungen vorgenom-
men.34
146 Entscheidend geprägt werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II von ihrer existenzsichernden Funktion. Nach § 1 Abs. 1 SGB II soll
die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben
zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Nach § 1 Abs. 2 SGB II soll die
Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leis-
tungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben,
stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der
Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können.
147 Mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Bestandteil der im SGB II
geregelten Grundsicherung für Arbeitsuchende hat der deutsche Gesetzgeber entspre-
chend den Vorgaben aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein
„subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums“ geschaffen, das nach
seiner Zielrichtung sämtlichen Bedarfslagen, die zur Gewährleistung eines menschen-
würdigen Daseins gedeckt werden müssen, Rechnung tragen soll.35
148 In Übereinstimmung mit der Einordnung der streitigen Leistungen durch Generalanwalt
Wathelet in den Schlussanträgen in der Rechtssache Dano vertritt die Bundesregie-
rung daher die Auffassung, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
solche Leistungen der Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG sind und der Zugang zu ihnen mithin nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG beschränkbar ist. Die Regelungen sind somit nicht an Art. 45 Abs. 2 AEUV
zu messen. Die Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II konnten in
Umsetzung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG geregelt werden.
2. Kein Ausschluss von Dienstleistungen der Arbeitsvermittlung
149 Die Bundesregierung legt Wert auf die Feststellung, dass mit der Einordnung der hier
streitigen Leistungen als Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG und der damit eröffneten Möglichkeit des Ausschlusses von Leistungen
34 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13,
Dano, EU:C:2014:341, Rn. 67 ff. und 72.
35 Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 09.02.2010 ,1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175 ff.
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während der ersten drei Monate des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat (und wäh-
rend des längeren Zeitraums, in dem sich ein Unionsbürger zur Arbeitsuche in dem
Land aufhält), von der im deutschen Recht Gebrauch gemacht wurde und die hier
streitgegenständlich ist, Unionsbürger nicht von jeglichen Leistungen der Arbeitsver-
mittlung ausgeschlossen sind.
150 Im Hinblick auf Arbeitsmarktfragen können sich Unionsbürger an die für sie jeweils zu-
ständigen Stellen der Bundesagentur für Arbeit bzw. Jobcenter wenden. Unionsbürger
können sich bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit arbeitsuchend oder arbeits-
los melden. Dann stehen ihnen grundsätzlich alle Beratungs- und Vermittlungsleistun-
gen der aktiven Arbeitsförderung des Geltungsbereichs des SGB III in Abhängigkeit
von den Anspruchsvoraussetzungen der jeweiligen Leistungen zur Verfügung. Dabei
sind Unionsbürger nicht anders gestellt als arbeitsuchend oder arbeitslos gemeldete In-
länder.
151 Arbeitsuchende, die sich für eine Beschäftigung in Deutschland interessieren, aber
noch nicht hier wohnen, können sich an die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung
der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) und die EURES-Berater in den jeweiligen Her-
kunftsländern wenden. Die Beratung durch die örtliche Agentur für Arbeit, ZAV oder
Jobcenter bezieht sich auch auf arbeitsmarktbezogene Programme und Förderungen,
die auf besondere Problemlagen von Migranten, wie etwa Sprachdefizite, zielen.
3. Hilfsweise: Rechtfertigung des Ausschlusses von einer Leistung zur Er-
leichterung des Arbeitsmarktzugangs
152 Selbst wenn die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als
Leistungen einzuordnen wären, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen,
und daher an Art. 45 Abs. 2 AEUV zu messen wären – was nach Ansicht der Bundes-
regierung nicht der Fall ist –, ist die Beschränkung in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II mit
Unionsrecht vereinbar. Dies ergibt sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs in der Rechtssache Collins36 und Rechtssache Vatsouras und Koupatant-
ze37.
36 Urteil C-138/02,
Collins, EU:C:2004:172.
37 Urteil in der verbundenen Rechtssache C-22/08 und C-23/08,
Vatsouras und Koupatantze, EU:C:2009:344.
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Die Ausgestaltung des vorübergehenden Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2
Nr. 1 SGB II für Unionsbürger, die weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selb-
ständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind,
und ihrer Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts ist mit dem
Gleichbehandlungsgebot des Art. 45 AEUV vereinbar. Eine Beschränkung des Zu-
gangs zu Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ist gerecht-
fertigt, denn die Beschränkung verfolgt einen legitimen Zweck, knüpft an ein geeigne-
tes Unterscheidungskriterium an und ist auch verhältnismäßig.
a) Legitimer Zweck einer Leistungsbeschränkung
153 Der Gerichtshof führt in seinem Urteil in der Rechtssache Collins zu der Richtlinie
1612/68 – einer Richtlinie, die durch die Richtlinie 2004/38 EG geändert worden ist –
folgendes aus:
„Der Gerichtshof hat … bereits entschieden, dass es ein legitimes Anliegen
des nationalen Gesetzgebers ist, sich einer tatsächlichen Verbindung zwi-
schen demjenigen, der Leistungen beantragt, die eine soziale Vergünsti-
gung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstel-
len, und dem betroffenen räumlichen Arbeitsmarkt vergewissern zu wol-
len.“38 (Unterstreichung hinzugefügt)
154 In Vatsouras und Koupatantze39 und Prete40 bestätigte der Gerichtshof noch einmal,
dass es ein legitimes Anliegen des nationalen Gesetzgebers ist, sich einer tatsächli-
chen Verbindung zwischen demjenigen, der eine Sozialleistung beantragt, und dem
betreffenden räumlichen Arbeitsmarkt zu vergewissern. Wie aus diesen Ausführungen
ersichtlich ist, stellt der Gerichtshof ausdrücklich auf eine Verbindung zum Arbeitsmarkt
des Staates, dessen Sozialleistung begehrt wird, ab.
155 Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt es abzugrenzen gegenüber seinen Aus-
führungen in der Rechtsprechungslinie Bidar41, Stewart42 und Kommission/Österreich43.
38 Urteil C-138/02,
Collins, EU:C:2004:172, Rn. 67.
39 Urteil in der verbundenen Rechtssache C-22/08 und C-23/08,
Vatsouras und Koupatantze, EU:C:2009:344, Rn. 38.
40 Urteil C-367/11,
Prete, EU:C:2012:668, Rn. 33.
41 Urteil C-209/03
, Bidar, EU:C:2005:169.
42 Urteil C-503/09,
Stewart, EU:C:2011:500.
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So heißt es dort, dass nicht auf eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt des
Staates, dessen Leistung begehrt wird, abzustellen ist, sondern lediglich auf eine tat-
sächliche Verbindung zwischen dem, der eine Leistung beantragt, und dem zuständi-
gen Mitgliedstaat. Der Unterschied zu der erstgenannten Gruppe liegt darin, dass die
Personen, die in Bidar, Stewart und Kommission vs. Österreich Leistungen begehrten,
allesamt nicht arbeitsuchend waren. In Bidar und Kommission/Österreich ging es um
Leistungen für Studenten. In Stewart war streitig, ob ein Anspruch auf Arbeitsunfähig-
keitsgeld bestand. In diesen Fällen wäre es widersinnig gewesen, auf eine Verbindung
zum Arbeitsmarkt abzustellen, wie sie naturgemäß von Studenten44 oder (vorüberge-
hend) arbeitsunfähigen Personen nicht verlangt werden kann.
156 Die vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien eines legitimen Zwecks einer Leistungsbe-
schränkung werden von der in Frage stehenden Regelung erfüllt. Das ausnahmslose
Erfordernis eines dreimonatigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat vor einer even-
tuellen Gewährung von Sozialleistungen nach dem SGB II soll sicherstellen, dass die-
se ausreichende Verbindung zwischen dem, der die Leistung begehrt, und dem Ar-
beitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates besteht. Auch, wenn auf eine Verbindung
zwischen der Person und dem Mitgliedstaat abgestellt wird, verfolgt das dreimonatige
Aufenthaltserfordernis den legitimen Zweck, sicherzustellen, dass ein Mindestmaß an
Integration im Aufnahmestaat desjenigen, der die Leistung begehrt, besteht.
157 Nach Ansicht der Bundesregierung verfolgt die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
SGB II einen weiteren, in der Rechtsprechung des Gerichtshofes angeführten, legiti-
men Zweck. Dieser Zweck ist, das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems
der sozialen Sicherheit zu gewährleisten.45 Das deutsche Sozialsystem soll vor einer
übermäßigen Belastung geschützt werden, die zu befürchten ist, müsste Deutschland
auch für die ersten drei Monate des Aufenthalts jedem Unionsbürger, der sich in die-
sem Zeitraum voraussetzungslos in Deutschland aufhalten kann (Art. 6 der Richtlinie
2004/38/EG), einen gleichen Zugang zu Sozialhilfeleistungen wie Inländern gewähren.
43 Urteil C-75/11,
Kommission/Österreich, EU:C:2012:605.
44 Urteil C-209/03,
Bidar, EU:C:2005:169, Rn. 58.
45 Vgl. Urteil C-503/09,
Stewart, EU:C:2011:500, Rn. 89 mit Verweis auf Urteil C-158/96,
Kohll, EU:C:1998:171, Rn. 41 und
Urteil C-228/07
, Petersen, EU:C:2008:494, Rn. 57.
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Die Leistungen nach dem SGB II sollen nur solchen Personen gewährt werden, die ei-
ne hinreichende Verbindung zu Deutschland und seinem Arbeitsmarkt haben. Grund-
sätzlich sind nach dem SGB II sämtliche, d.h. auch ausländische Staatsangehörige
leistungsberechtigt. Während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts sind jedoch
nicht-erwerbstätige ausländische Personen, deren Freizügigkeitsrecht auch nicht auf-
grund vorangegangener Erwerbstätigkeit fortwirkt oder sich durch Familienzugehörig-
keit zu einem freizügigkeitsberechtigten Ausländer ableitet, von Leistungen ausge-
schlossen. Zudem sind ausländische Personen von Leistungen nach dem SGB II aus-
geschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
158 Dem liegt die – mit der Grundannahme der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimmende –
Annahme des deutschen Gesetzgebers zugrunde, dass eine hinreichende tatsächliche
Verbindung während der ersten drei Monate des Aufenthaltes regelmäßig (noch) nicht
besteht, wenn der Unionsbürger nicht durch eine aktuelle oder vorangegangene Er-
werbstätigkeit in Deutschland bereits die tatsächliche Verbindung zum deutschen Ar-
beitsmarkt begründet hat. Gleichzeitig erreicht der deutsche Gesetzgeber damit auch,
dass kein Anreiz zur Einreise in die Bundesrepublik geschaffen wird ausschließlich mit
dem Ziel, aus dem Sozialhilfesystem (gegebenenfalls auch nur sehr kurzfristig) finanzi-
ellen Nutzen zu ziehen.
b) Verhältnismäßigkeit des Leistungsausschlusses aufgrund dessen be-
schränkten Umfangs
159 Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II für die ersten drei Monate des Auf-
enthalts ist auch verhältnismäßig. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ist zur Erreichung des
vorstehend benannten Zweckes geeignet und erforderlich. Schließlich ist der Leis-
tungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II auch verhältnismäßig im engeren
Sinne. Denn er steht zu der Erreichung des Regelungszweckes nicht außer Verhältnis,
wie sich bereits aus dem nur sehr begrenzten sachlichen und zeitlichen Umfang des
Leistungsausschlusses ergibt.
160 § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II nimmt – vorbehaltlich des Vorliegens der übrigen, allge-
meinen Anspruchsvoraussetzungen – nur solche Unionsbürgerinnen und Unionsbürger
(sowie ihre Familienangehörigen) für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von dem
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II aus, die weder in der Bundesrepublik
Deutschland, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des
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Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt noch deren Familienangehörige
sind.
161 Selbst wenn ein Unionsbürger aktuell nicht erwerbstätig ist, geht das Gesetz (teilweise
befristet) bei Vorliegen bestimmter Umstände von einer hinreichenden Verbindung zum
Arbeitsmarkt aus. Dies ist dann der Fall, wenn der Unionsbürger in Deutschland er-
werbstätig gewesen ist und wenn seine Arbeitslosigkeit – von der Agentur für Arbeit
bestätigt – unfreiwillig ist (weitere Fälle ergeben sich aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr.
3 FreizügG/EU, die die vorübergehende Erwerbsminderung und Aufnahme einer Be-
rufsausbildung betreffen). Ist der nicht-erwerbstätige Unionsbürger ein Familienange-
höriger eines in Deutschland erwerbstätigen Unionsbürgers (Arbeitnehmer, selbständig
Erwerbstätiger) geht das SGB II ebenfalls bereits in den ersten drei Monaten des Auf-
enthalts von einer hinreichenden Verbindung aus.
162 Dabei hat der deutsche Gesetzgeber eine typisierende Entscheidung dahingehend ge-
troffen, dass hinsichtlich der in der Norm genannten Personengruppen für die Dauer
von drei Monaten „unwiderleglich vermutet“ wird, dass eine unangemessene Belastung
des deutschen Sozialsystems ohne tatsächliche Verbindung mit dem deutschen Ar-
beitsmarkt entstünde. Dieser Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten des Auf-
enthalts soll die regelmäßig anzunehmende unangemessene Belastung für das Sozial-
hilfesystem verhindern. Damit hat sich der deutsche Gesetzgeber – wie vorstehend
aufgezeigt – an dem europäischen Gesetzgeber orientiert und den Leistungsaus-
schluss für die ersten drei Aufenthaltsmonate der ratio legis der Richtlinie 2004/38/EG
entnommen.
163 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil in der Rechtssache Vatsouras und Koupatantze46
auch anerkannt, dass sich eine Verbindung zum Arbeitsmarkt u.a. aus der tatsächli-
chen Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums in dem Mitglied-
staat ergeben kann, ohne den „angemessenen Zeitraum“ der Arbeitsuche, während
dessen noch keine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt besteht und ein Leis-
tungsausschluss noch zulässig ist, näher zu bezeichnen. Soweit der Gerichtshof – im
Zusammenhang mit anderen Sozialleistungen – eine angemessene Gewichtung der
Kriterien nach Repräsentativität auch in Abhängigkeit von der beanspruchten Leistung
46 Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-22/08 und C-23/08,
Vatsouras und Koupatantze, EU:C:2009:344.
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verlangt und die Einseitigkeit von Kriterien und deren unangemessene Gewichtung
(Vorschreiben konkreter Zeiträume) beanstandet, wenn sie nicht zwangsläufig für den
tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit repräsentativ sind, und den ande-
ren repräsentativen Umstand ausschließen,47 stehen diese Anforderungen des Ge-
richtshofs dem im SGB II geregelten allgemeinen Kriterium des Voraufenthalts von drei
Monaten nicht entgegen.
164 Auch wenn unter Zugrundelegung der Feststellungen des vorlegenden Gerichts die
Annahme einer missbräuchlichen oder einer übermäßigen Belastung des Sozialhilfe-
systems konkret nicht nahe liegen dürfte, muss es dem Gestaltungsspielraum des
deutschen Gesetzgebers überlassen sein, in den ersten drei Monaten des Aufenthalts
eines Unionsbürgers typischerweise noch von einer unangemessenen Belastung des
Sozialhilfesystems mangels hinreichender Verbindungen zum deutschen Arbeitsmarkt
auszugehen, wenn eine Erwerbstätigkeit noch nicht ausgeübt wird oder wurde.
165 Es ist nicht von vornherein unverhältnismäßig, dass nur die engere Verbindung zum
deutschen Arbeitsmarkt aufgrund einer Erwerbstätigkeit oder vorangegangenen Er-
werbstätigkeit oder aber engeren familiären Verbindungen, nicht aber weitere, sonstige
bestehende familiäre Bindungen bereits in den ersten drei Monaten im einzelnen Be-
rücksichtigung finden können.
166 Auch Generalanwalt Wathelet hat die Anwendung von allgemeinen Kriterien zur Beur-
teilung der Verbindung in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Dano nicht von
vornherein als unverhältnismäßig angesehen. Unter Verweis auf die Erwägungsgründe
10 und 21 der Richtlinie 2004/38/EG hat er vielmehr den dem Ausschlussgrund des § 7
Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zugrunde liegenden Zweck anerkannt und das diesem zu-
grunde liegende allgemeine Kriterium als zum Nachweis einer tatsächlichen Verbin-
dung geeignet48 angesehen.
47 Urteil C-75/11,
Kommission/Österreich, EU:C:2012:605, Rn. 62, 63.
48 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache C-333/13
, Dano, EU:C:2014:341, Rn. 131 und 139.
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c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nicht stets eine Einzel-
fallprüfung
167 An der Verhältnismäßigkeit des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
SGB II ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu zweifeln, dass die Norm einen „aus-
nahmslosen“ Leistungsausschluss vorsieht.
168 Nach Auffassung der Bundesregierung sind Art. 45 Abs. 2 AEUV und die Rechtspre-
chung des Gerichtshofs zur hinreichenden Verbindung zum Arbeitsmarkt, zum Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit und zur Repräsentativität von Kriterien nicht dahin auszu-
legen, dass in jedem Einzelfall eine Verbindung anhand sämtlicher Umstände des Ein-
zelfalls zu beurteilen ist. Unionsrecht steht einer typisierenden Regelung der Verbin-
dung zum Arbeitsmarkt für Leistungen nicht entgegen, wenn diese Leistungen wie im
vorliegenden Fall in vollständig bedarfsdeckender Höhe grundsätzlich unbefristet be-
zogen werden können. Die Auffassung der Bundesregierung wird bestätigt durch die
Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Dano, der die Be-
deutung von einer Handhabbarkeit von Regelungen betont und damit die Anwendung
von allgemeinen Kriterien rechtfertigt, insbesondere bei zeitlich unbefristet möglichem
Leistungsbezug.
169 Bei der Frage des zulässigen Integrationsgrades ist nach der konkreten Leistung zu
unterscheiden. Geht es nicht „nur“ um eine Fahrpreisermäßigung wie im Urteil Kom-
mission/Österreich49, für die nur ein geringerer Grad an Integration gefordert werden
kann, sondern um Leistungen, die gegebenenfalls zeitlich unbefristet in Höhe des vol-
len Bedarfs auch für Familienangehörige gewährt werden, ist die Voraussetzung eines
stärkeren Integrationsgrades angemessen. Je umfangreicher eine Leistung ist, desto
stärker darf der vorausgesetzte Integrationsgrad sein.
170 Im Sinne der Grundsätze der Rechtssicherheit und Transparenz, auf die der Gerichts-
hof in seinem Urteil in der Rechtssache Förster50 hingewiesen hat, kann sich der Mit-
gliedstaat dazu entscheiden, den erforderlichen Integrationsgrad typisierend zu be-
stimmen und auf eine konkrete Ermittlung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu
verzichten. In diesem Urteil hat der Gerichtshof selbst das Erfordernis eines fünfjähri-
49 Urteil C-75/11,
Kommission/Österreich, EU:C:2012:605.
50 Urteil C-158/07,
Förster, EU:C:2008:630.
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gen ununterbrochenen Aufenthalts im Hinblick auf die Anforderungen an den Grad der
Integration von Ausländern im Aufnahmemitgliedstaat nicht als unverhältnismäßig an-
gesehen. Darüber hinaus ist der Gerichthof in der Frage, ob die strikte Voraussetzung
der Voraufenthaltsdauer verhältnismäßig ist oder aber eine individuelle Prüfung erfor-
dert, den Bedenken des Generalanwalts Mazák51 in seinen Schlussanträgen in der
Rechtssache Förster nicht gefolgt.
171 Übertragen auf die deutsche Regelung folgt daraus: Die der deutschen Regelung zu-
grunde liegende Typisierung gewährleistet eine klare, handhabbare und gleichzeitig
angemessene Regelung des Leistungszugangs anhand des Kriteriums der Aufent-
haltsdauer. Typisierend geht der Gesetzgeber davon aus, dass bei einer Aufenthalts-
dauer von weniger als drei Monaten eine hinreichende Verbindung eines nicht in
Deutschland erwerbstätigen Unionsbürgers (mit der Folge der Leistungsberechtigung
im SGB II) jedenfalls nicht gegeben ist, es sei denn er begründet diese Verbindung als
Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG (s.o.).
172 Die deutsche Regierung ist der Ansicht, dass die typisierende Annahme einer fehlen-
den hinreichenden Verbindung zum Arbeitsmarkt bzw. zur Gesellschaft im Regelungs-
komplex des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit dem FreizügG/EU ange-
messen ausgestaltet ist. Die Angemessenheit der Beschränkung des Leistungszu-
gangs und des Unterscheidungskriteriums wird dadurch gewährleistet, dass bei der
Prüfung, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II Anwendung fin-
det, in gewissem Maße die persönliche Situation des Unionsbürgers Berücksichtigung
findet: Besteht ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer, selbständig Erwerbstätiger, nach
§ 2 Abs. 3 FreizügG/EU (z.B. bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach vorangegangener
Erwerbstätigkeit in Deutschland) oder als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers,
selbständig Erwerbstätigen oder nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU Freizügigkeitsberechtig-
ten, besteht auch eine Leistungsberechtigung.
173 Die konkrete Berücksichtigung jeglicher Umstände jedes Einzelfalls mit Blick auf die
Frage, ob aufgrund der im Einzelfall bestehenden tatsächlichen familiären Bindungen
eine hinreichende Verbindung besteht, oder ob eine übermäßige Belastung des natio-
nalen Sozialhilfesystems im konkreten Fall auszuschließen ist, etwa anhand einer
51 Schlussanträge des Generalanwalts Mazák in der Rechtssache C-158/07,
Förster, EU:C:2008:399, Rn. 129 f.
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Prognose, ob nach dreimonatigem Aufenthalt eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird oder
anderweitiges Einkommen zur Verfügung stehen wird (etwa aus Leistungen des Her-
kunftsmitgliedstaates), kann nicht gesetzlich abstrakt dargestellt, für die Betroffen
rechtssicher und gleichzeitig für die Praxis handhabbar gestaltet werden. Eine Berück-
sichtigung jeglicher Umstände des Einzelfalls kann daher auch unionsrechtlich von den
Mitgliedstaaten nicht verlangt werden.
4. Keine Unvereinbarkeit mit weiteren primärrechtlichen Gleichbehand-
lungsgeboten
174 Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB II bereits nicht an Art. 45 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 AEUV zu messen. Jedenfalls aber
– selbst wenn man dies entgegen dem Vorstehenden annehmen wollte – ist der Leis-
tungsausschluss eines Unionsbürgers während der ersten drei Monate seines Aufent-
halts gerechtfertigt.
175 Weitere primärrechtliche Gleichbehandlungsgebote gebieten ebenfalls nicht den glei-
chen Zugang für einen Unionsbürger zu Leistungen des SGB II während der ersten
drei Monate seines Aufenthalts.
176 Dies gilt insbesondere für das allgemeine Diskriminierungsverbot gegenüber Unions-
bürgern nach Art. 18 AEUV i. V. m. Art. Art. 20, 21 AEUV. Denn nach Art. 21 Abs. 1
AEUV steht das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet anderer Mit-
gliedstaaten aufzuhalten, unter dem Vorbehalt „der in den Verträgen und in den Durch-
führungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.“ Die Regelung
des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG, die bestimmte Personen von einem An-
spruch auf Sozialhilfe ausschließt, stellt eine solche Beschränkung dar. Insoweit hat
der europäische Gesetzgeber festgelegt, dass eine Gleichbehandlung zwischen den
eigenen Bürgern eines Mitgliedstaates und denen anderer Mitgliedstaaten nicht erfol-
gen muss.
177 Auch greift das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 21
Abs. 2 der Europäischen Grundrechte-Charta nicht. Denn Art. 21 Abs. 2 der Europäi-
schen Grundrechte-Charta entfaltet seine Wirkung nur „unbeschadet besonderer Best-
immungen der Verträge“ und verweist damit auf Art. 45 Abs. 2 AEUV – von dessen
Anwendbarkeit die Bundesregierung nicht ausgeht – bzw. auf Art. 18 AEUV i. V. m. Art.
20, 21 AEUV. Wie oben dargelegt, handelt es sich bei der Verwehrung von Leistungen
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zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um eine nach diesen Vorschrif-
ten erlaubte und gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung.
5. Zusammenfassung zur dritten Vorlagefrage
178 Die deutsche Regierung schlägt daher vor, die dritte Vorlagefrage wie folgt zu beant-
worten:
Weder Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV noch andere primärrecht-
liche Gleichbehandlungsgebote stehen einer nationalen Bestimmung entgegen, die
Unionsbürgern eine Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes aus-
nahmslos verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zu-
gang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger weder Arbeitnehmer noch
Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt
sind. Aufgrund der zulässigen, typisierenden Betrachtungsweise der nationalen Rege-
lung kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall eine tatsächliche Verbindung zum Auf-
nahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates besteht.
E. Ergebnis
179 Vor diesem Hintergrund ist die Vorlagefrage aus Sicht der Bundesregierung wie folgt
zu beantworten:
1. Der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 der
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist für „besondere beitragsunabhängige
Geldleistungen“ nicht eröffnet.
2. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 verbietet es den Mitgliedstaaten nicht, durch Bestimmungen
des nationalen Rechts zur Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG, andere Personen als Arbeitnehmer, selbständig Erwerbstätige
oder solche Personen, für die dieser Status fortwirkt, sowie deren Fami-
lienangehörige im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2004/38/EG unter Um-
ständen wie denen des Ausgangsverfahrens für die ersten drei Monate ih-
res Aufenthalts von Leistungen auszuschließen, die wie die Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sozialhilfe im Sinne
der Richtlinie 2004/38/EG und gleichzeitig als besondere beitragsunabhän-
gige Geldleistung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 einzuordnen
sind.
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