Übersetzung
C-424/13 - 12
Schriftliche Erklärungen der Republik Litauen
Rechtssache C-424/13*
Schriftstück eingereicht von:
Republik Litauen
Übliche Bezeichnung der Rechtssache:
Zuchtvieh-Export
Eingangsdatum:
8. November 2013
* Verfahrenssprache: Deutsch.
DE
RECHTSSACHE C-424/13 - 12
SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNGEN DER REPUBLIK LITAUEN
vorgelegt nach Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshof von der Regierung der
Republik Litauen, vertreten durch Deividas Kriaučiūnas, Generaldirektor der
Abteilung Europarecht beim Ministerium für Justiz der Republik Litauen, und
Vaida Čepaitė, Juristin in derselben Abteilung,
in der Rechtssache C-
424/13
betreffend ein mit Beschluss vom 25. Juli 2013 ergangenes
Vorabentscheidungsersuchen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
(Deutschland) in der Rechtssache Zuchtvieh-Export zur Auslegung der
Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 über den Schutz
von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur
Änderung der Richtlinien 64/432/EWG und 93/119/EG und der Verordnung (EG)
Nr. 1255/97 (ABl. 2005, L 3, S. 1).
[Or. 2]
Die Regierung der Republik Litauen legt dem Gericht in der Rechtssache
C-424/13 die folgenden Erklärungen vor.
I – Die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen
1
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ersucht den Gerichtshof um die
Beantwortung folgender Fragen:
1.1 Ist Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 dahingehend auszulegen,
dass die zuständige Behörde am Versandort bei langen Beförderungen von
Hausequiden, Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen,
bei denen der Versandort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,
der Bestimmungsort aber in einem Drittland liegt, das vom Organisator
vorgelegte Fahrtenbuch nur dann gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. c mit einem
Stempel versehen darf, wenn das Fahrtenbuch die in Art. 14 Abs. 1
Buchst. a Ziff. ii gestellten Anforderungen für die gesamte
Beförderungsstrecke vom Versandort bis zum Bestimmungsort, also auch
für vollständig außerhalb des Gemeinschaftsgebiets der Europäischen Union
gelegene Beförderungsabschnitte, erfüllt?
1.2 Ist Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 dahingehend auszulegen,
dass die nach dieser Vorschrift zuständige Behörde am Versandort gemäß
Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung den Organisator des Transports
verpflichten darf, die Planung der vorgesehenen langen Beförderung so zu
ändern, dass die Vorschriften dieser Verordnung für die gesamte
Beförderung vom Versand- bis zum Bestimmungsort eingehalten werden,
auch wenn einzelne Beförderungsabschnitte ausschließlich in Drittländern
liegen?
2
ZUCHTVIEH-EXPORT
II – Der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt
2
Im Ausgangsverfahren hat die Klägerin, die Gesellschaft Zuchtvieh-Export GmbH
(im Folgenden: Klägerin), von der Beklagten, der Stadt Kempten (im Folgenden:
Beklagte), die Abfertigung eines Tiertransports verlangt, durch den 62
Zuchtfärsen mittels Straßentransport von Kempten (Allgäu) nach Andijan
(Usbekistan) ausgeführt werden sollten.
[Or. 3]
3
Nach den Antragsunterlagen sollte der Transport mit zwei Lastkraftwagen einer
von der Klägerin beauftragten Spedition erfolgen. Es war geplant, die Tiere von
Kempten (Allgäu) über Polen, Weißrussland, Russland und Kasachstan an ihren
Bestimmungsort Andijan in Usbekistan zu bringen. Die Gesamtstrecke hatte eine
Länge von mehr als 7 000 km und führte zum ganz überwiegenden Teil durch
Drittländer.
4
Die mit dem Antrag eingereichten Fahrtenbuchunterlagen enthielten in Bezug auf
die in Drittländern gelegenen Ruhe- und Umladeorte nur Angaben zu den Orten
Brest (Weißrussland) und Karaganda (Kasachstan). In der diesem Dokument
beigefügten Tabelle der Routenplanung waren von Brest nach Karaganda eine
Fahrtdauer von 146 Stunden sowie von Karaganda zum Bestimmungsort Andijan
eine Fahrtdauer von 29 Stunden genannt. In Brest und Karaganda waren jeweils
24-stündige Ruhepausen eingeplant. Nach der vom Geschäftsführer der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung sollte es auf dem mehr
als 4 000 km langen Streckenabschnitt zwischen Brest und Karaganda zwar
Ruhepausen geben, die Tiere hierbei aber nicht entladen, sondern nur von außen
mit Wasser und Futter versorgt werden.
5
Mit Bescheid vom 30. Januar 2012 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, ihre
Transportplanung so abzuändern, dass sie auch hinsichtlich der Beförderung ab
der Kontrollstelle in Brest bis zum endgültigen Bestimmungsort den Vorschriften
der Verordnung Nr. 1/2005 entsprach, und lehnte die beantragte Abfertigung bis
zur Erfüllung dieser Verpflichtung durch die Klägerin ab.
6
Ein Antrag der Klägerin, die Beklagte im Rahmen eines einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens zu verpflichten, den Transport abzufertigen und das
Fahrtenbuch abzustempeln, hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Die
Klägerin hat diese Entscheidung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof
angefochten.
7
Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Ansicht ist, seine Entscheidung
hänge von der Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005 ab, hat
er dem Gerichtshof die unter Rn. 1 der vorliegenden Erklärungen
wiedergegebenen Fragen vorgelegt.
3
RECHTSSACHE C-424/13 - 12
III – Rechtliche Würdigung
Zur einheitlichen Anwendung der Verordnung Nr. 1/2005 in den Mitgliedstaaten
8
Die litauische Regierung möchte zunächst betonen, dass die Auslegung der
Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005 durch den Gerichtshof für alle
Mitgliedstaaten von Bedeutung ist,
[Or. 4] da der Tierschutz im Rahmen von
Transporten nach den Standards der Europäischen Union gewährleistet werden
muss und es nach derzeitigem Kenntnisstand unter den Mitgliedstaaten keine
einheitliche Praxis bei der Anwendung der Verordnung Nr. 1/2005 gibt.
9
Nach den Informationen der litauischen Regierung, die die Europäische
Kommission gegebenenfalls richtigstellen können wird, werden die
Anforderungen der Verordnung Nr. 1/2005 an Tiertransporte über große
Entfernungen in einigen Mitgliedstaaten der Union, darunter in der Republik
Litauen, unabhängig davon angewandt, ob der Transport auf dem Gebiet der
Union oder außerhalb ihrer Grenzen stattfindet. Dagegen wird die Verordnung Nr.
1/2005 in anderen Mitgliedstaaten der Union dahin ausgelegt, dass die darin
enthaltene Regelung ausschließlich auf Unionsgebiet Anwendung findet.
10 Das Fehlen einer einheitlichen Auslegung und Anwendung der Bestimmungen der
Verordnung Nr. 1/2005 in den Mitgliedstaaten bringt die Gefahr mit sich, dass das
Wohlergehen der Tiere nicht pflichtgemäß gewährleistet wird, sowie die Gefahr
einer Wettbewerbsverzerrung im Bereich des Tiertransports. Die Kommission hat
unter anderem erklärt, dass es aufgrund einer unterschiedlichen Auslegung der
Vorschriften der Verordnung Nr. 1/2005 und einer nicht hinreichenden Kontrolle
durch die Mitgliedstaaten schwierig sei, die Anwendung der Verordnung zu
kontrollieren, und dass eine Gewährleistung des Schutzes der transportierten Tiere
ohne eine strenge Anwendung der Verordnung nicht möglich sei.1
11 Zudem hat sich auch das Europäische Parlament darüber besorgt gezeigt, dass bei
der Auslegung der Verordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche
Unterschiede bestünden, da dies den Absichten der Verordnung zuwiderlaufe und
den Wettbewerb verzerre.2
12 Nach dem 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2005 fördert die
unzulängliche Ahndung von Verstößen gegen die Tierschutzvorschriften das
Umgehen dieser Vorschriften und führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Daher
1 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Auswirkungen
der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 über den Schutz von Tieren beim Transport, KOM(2011)
700 endgültig; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Strategie der Europäischen Union
für den Schutz und das Wohlergehen von Tieren 2012-2015, COM(2012) 6 final/2.
2 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Dezember 2012 zum Schutz von
Tieren beim Transport (2012/2031[INI]), Rn. 31.
4
ZUCHTVIEH-EXPORT
sollten unionsweit einheitliche Kontrollverfahren und Sanktionen für den Fall des
Verstoßes gegen die Tierschutzvorschriften festgelegt werden.
[Or. 5]
13 Wenn die Verordnung Nr. 1/2005 nicht in allen Mitgliedstaaten einheitlich
angewandt wird, werden somit Transportunternehmen in Mitgliedstaaten, deren
Gesetzgebung eine Anwendung der Verordnung Nr. 1/2005 auf Tiertransporte
auch bezüglich der Abschnitte der Reise außerhalb der Unionsgrenzen vorsieht,
gegenüber Transportunternehmen in Mitgliedstaaten, die die Verordnung Nr.
1/2005 lediglich anwenden, soweit die Tiere innerhalb der Union transportiert
werden, unter wettbewerblichen Gesichtspunkten benachteiligt.
14 In dem Bericht der Kommission über die Auswirkungen der Verordnung (EG) Nr.
1/2005 des Rates über den Schutz von Tieren beim Transport, der in Rn. 10 der
vorliegenden Erklärungen angeführt wurde, wird dargelegt, wie die Verordnung
Nr. 1/2005 in den Mitgliedstaaten angewandt wird. Unter anderem wird
angegeben, dass die Bestimmungen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat in sehr
unterschiedlichem Maße durchgesetzt werden. Die Kommission stellt fest, dass
die unterschiedliche Auslegung von Vorschriften zu Marktverzerrungen führen
könne. Darüber hinaus könne ein zu geringer Nachdruck bei der Durchsetzung der
Verordnung Nr. 1/2005 diejenigen Transportunternehmen benachteiligen, die die
Vorschriften einhielten. Daher müsse für gleiche Wettbewerbsbedingungen für die
Unternehmer gesorgt und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts
gewährleistet werden.3
15 Es gilt deutlich zu machen, dass es infolge der Einhaltung der Anforderungen der
Verordnung Nr. 1/2005 in einigen Fällen unmöglich werden kann, Tiere außerhalb
der Unionsgrenzen zu transportieren, da in einigen Drittländern keine Ruheorte
zur Verfügung stehen. Die Transportunternehmen aus Mitgliedstaaten, die die
Anforderungen der Verordnung Nr. 1/2005 auch in Bezug auf Tiere einhalten, die
außerhalb des Gebiets der Europäischen Union transportiert werden, müssen daher
entweder den Transport durch Mitgliedstaaten umleiten, die die Anforderungen
der Verordnung Nr. 1/2005 lediglich auf Tiertransporte im Unionsgebiet
anwenden, oder sich für eine andere Art des Transports, beispielsweise den
Luftweg, entscheiden.
16 Eine Harmonisierung der Anwendungspraxis der Mitgliedstaaten der Union in
Bezug auf die Verordnung Nr. 1/2005 würde erstens einen besseren Schutz der
transportierten Tiere sicherstellen und zweitens eine Gleichbehandlung der
Transportunternehmen der verschiedenen Mitgliedstaaten in Bezug auf
Tiertransporte in Drittländer
gewährleisten, wodurch einer
Wettbewerbsverzerrung zwischen ihnen vorgebeugt würde.
3 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Auswirkungen
der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates über den Schutz von Tieren beim Transport,
KOM(2011) 700 endgültig, Rn. 2.6.1.
5
RECHTSSACHE C-424/13 - 12
Zur Gewährleistung des Wohlergehens der transportierten Tiere
17 Die litauische Regierung legt im Folgenden dar, aus welchen Gründen jeder
Vorgang im Bereich der Tiertransporte unter Beachtung des Wohlergehens der
Tiere durchzuführen ist, d. h. aus welchen Gründen Art. 14 Abs. 1 der Verordnung
Nr. 1/2005 dahin auszulegen ist, dass bei langen Beförderungen von Hausequiden,
[Or. 6] Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen die
Beförderung einschließlich desjenigen Beförderungsabschnitts, der außerhalb des
Unionsgebiets verläuft, den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005
entsprechen muss.
18 Zunächst zeigen die Annahme des Protokolls über den Tierschutz und das
Wohlergehen der Tiere, das dem Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft beigefügt ist, durch die Mitgliedstaaten und die Unterzeichnung des
Europäischen Übereinkommens über den Schutz von Tieren beim internationalen
Transport (revidiert) (Beschluss 2004/544/EG des Rates vom 21. Juni 2004 über
die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den Schutz von
Tieren beim internationalen Transport [revidiert], ABl. L 241, S. 21) durch die
Gemeinschaft, dass dem Tierschutz besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.
Die Erklärung Nr. 24 zum Tierschutz im Anhang zur Schlussakte des Vertrags
über die Europäische Union spiegelt ebenfalls die Bedeutung dieses Ziels wider.4
19 Wie aus der Präambel des Europäischen Übereinkommens über den Schutz von
Tieren beim internationalen Transport (revidiert) hervorgeht, verlangt das
Übereinkommen, dass Transporte von Tieren mit Rücksicht auf deren
Wohlergehen durchgeführt werden und den transportierten Tieren kein Leid
zugefügt wird. Im Übrigen wird in Art. 16 des Übereinkommens* unter anderem
verlangt, dass an Stellen, an denen die Gesundheitskontrolle durchgeführt wird,
Anlagen für das Ausruhen der Tiere vorhanden sein müssen.
20 Ferner bestimmt Art. 13 AEUV unter anderem, dass die Union und die
Mitgliedstaaten bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den
Bereichen Landwirtschaft und Verkehr den Erfordernissen des Wohlergehens der
Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung tragen müssen.
21 Mit der Verordnung Nr. 1/2005 wurde die Richtlinie 91/628/EWG des Rates vom 19.
November 1991 über den Schutz von Tieren beim Transport sowie zur Änderung der
Richtlinien 90/425/EWG und 91/496/EWG (ABl. L 340, S. 17), die Regeln zum
Schutz von Tieren bei langen Tiertransporten innerhalb der Gemeinschaft oder beim
4 Urteil des Gerichtshofs vom 17. Januar 2008, Viamex Agrar Handel und ZVK (C-37/06
und C-58/06, Slg. 2008, I-69, Rn. 22).
* – AdÜ: in der ursprünglichen Fassung.
6
ZUCHTVIEH-EXPORT
Export in Drittländern enthalten hatte, aufgehoben und ersetzt. Die Richtlinie verfolgte
das Ziel, einen effizienteren Schutz der Tiere beim Transport zu gewährleisten.5
22 Die Verordnung Nr. 1/2005 ist gemäß dem al gemeinen Grundsatz auszulegen, der im
elften Erwägungsgrund der Verordnung enthalten ist, wonach ein Transport von
Tieren nicht durchgeführt werden darf, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder
unnötige Leiden zugefügt werden könnten. Der Gerichtshof hat entschieden, dass
zwar die Beseitigung der technischen Hemmnisse im Handel mit lebenden Tieren und
das reibungslose Funktionieren der Marktorganisationen, die im zweiten
Erwägungsgrund der Verordnung aufgeführt sind, zu den Zielen dieser Verordnung
gehören, dass jedoch aus den Erwägungsgründen 2, 6 und 11 dieser Verordnung
hervorgeht,
[Or. 7] dass ihr Hauptziel der Schutz von Tieren beim Transport ist.
Insoweit beansprucht das Ziel der in Rn. 21 der vorliegenden schriftlichen
Erklärungen angeführten Richtlinie 91/268 für die Verordnung Nr. 1/2005 weiterhin
Gültigkeit.6
23 Der 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2005 stellt fest, dass sich lange
Beförderungen, d. h. Beförderungen, die 8 Stunden überschreiten (Art. 2
Buchst. m der Verordnung Nr. 1/2005), auf das Befinden der beförderten Tiere
nachteiliger auswirken als kurze. Art. 3 der Verordnung Nr. 1/2005 legt
allgemeine Bedingungen für den Transport von Tieren fest, die es verbieten, eine
Tierbeförderung durchzuführen oder zu veranlassen, wenn den Tieren dabei
unnötige Leiden zugefügt werden könnten. Außerdem müssen vor der
Beförderung alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden, um die
Beförderungsdauer so kurz wie möglich zu halten und den Bedürfnissen der Tiere
während der Beförderung Rechnung zu tragen. Da lange Beförderungen bei den
Tieren zu schweren Stresserscheinungen, zu großen Leiden und sogar zum Tod
während der Beförderung führen können7, sieht Kapitel V der Anlage I der
Verordnung Nr. 1/2005 Zeitabstände vor, innerhalb der Hausequide, Hausrinder,
Hausschafe, Hausziegen und Hausschweine getränkt und gefüttert werden müssen
und sich ausruhen können müssen, sowie die Beförderungsdauer, nach der die Tiere
eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden erhalten müssen, um die Auswirkungen
auf die transportierten Tiere so weit wie möglich zu beschränken.
24 Aus alledem folgt, dass offenkundig das Wohlergehen von Tieren, wenn sie einer
langen Beförderung ausgesetzt sind, ohne in regelmäßigen Abständen entladen zu
werden und ohne dass sie sich ausruhen können, nicht in angemessener Weise
5 Neunter Erwägungsgrund der Richtlinie 91/628; Urteil des Gerichtshofs vom 8. Mai 2008,
Danske Svineproducenter (C-491/06, Slg. 2008, I-3339, Rn. 29).
6
Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011, Danske Svineproducenter (C-316/10,
noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 44).
7
Erklärung des Europäischen Parlaments vom 15. März 2012 zur Festsetzung einer
Obergrenze von acht Stunden für die Beförderung von Schlachttieren in der Europäischen
Union; ferner wird in Rn. 2.3 des angeführten Berichts KOM(2011) 700 endgültig der
Kommission festgestellt, dass die Zahl der „bei der Ankunft toten Tiere“ bei
Langstreckentransporten höher war als bei kürzeren Transporten.
7
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gewährleistet werden kann und dass daher die Ziele weder des
Unionsprimärrechts noch der Verordnung Nr. 1/2005 noch des Europäischen
Übereinkommens über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport
(revidiert) verwirklicht werden.
25 Es ist festzustel en, dass sowohl die Kommission als auch das Parlament erklärt haben,
dass die Regelung gemäß der Verordnung Nr. 1/2005 zur Sicherstel ung des Schutzes
von Tieren sich überaus positiv auf das Wohlergehen der Tiere auswirke, wenn ihre
Einhaltung ordnungsgemäß durchgesetzt werde. Dies verlange in erster Linie nach
einer strengen Anwendung der Anforderungen an Fahrtenplanung und Fahrtdauer.8
26 In dem Ausgangsverfahren macht die Klägerin, die Gesellschaft Zuchtvieh-Export
GmbH, geltend, das nach dieser Anlage vorgeschriebene Entladen verursache bei
den Rindern erheblichen Stress, was insbesondere bei trächtigen Tieren mit
bedeutenden Risiken verbunden sei. Zudem könne der Kontakt zwischen Tieren
verschiedener Herkunft an den Inspektionsstellen und in Ställen zur Verbreitung
ansteckender Krankheiten führen, zumal
[Or. 8] hygienisch und technisch
einwandfreie Ställe während der Pausen in Gebieten außerhalb der Europäischen
Union oftmals nicht zur Verfügung stünden.
27 Nach Ansicht der litauischen Regierung trägt dieses Argument nicht. Wenn
nämlich die Umstände eine Einhaltung der Anforderungen der Verordnung Nr.
1/2005 für Tiertransporte auf dem Straßenweg durch das Gebiet von Drittländern
nicht gestat en, können diese Transporte nicht durchgeführt werden.
28 Der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit
schlägt als Alternative zum Transport lebender Tiere auf dem Straßenweg vor,
über lange Strecken Tierkörper und Fleisch zu transportieren.9 Das Parlament hat
außerdem erklärt, dass Tiere so nah wie möglich am Ort ihrer Aufzucht
geschlachtet werden sollten.10 Wenn dagegen aus bestimmten Gründen lebende
Tiere langen Beförderungen ausgesetzt werden müssen, so könnten nach
Auffassung der litauischen Regierung andere Arten des Transports, beispielsweise
der Luftweg, gewählt werden.
Zu den Vorabentscheidungsfragen
29 Mit der ersten und der zweiten Vorabentscheidungsfrage fragt das deutsche Gericht, ob
Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2005 dahin auszulegen ist, dass bei langen
Beförderungen von Hausequiden, Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und
8 Bericht KOM(2011) 700 endgültig der Kommission, Rn. 2.3 und 2.6.2; Entschließung des
Europäischen Parlaments vom 12. Dezember 2012 zum Schutz von Tieren beim Transport
(2012/2031[INI]), Rn. 1, 9 und 33.
9
Stellungnahme des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Lebensmittelsicherheit für den Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung
vom 9. Mai 2012 zum Schutz von Tieren beim Transport (2012/2031[INI]), Rn. 4 bis 6.
10
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Dezember 2012 zum Schutz von
Tieren beim Transport (2012/2031[INI]), Rn. 10.
8
ZUCHTVIEH-EXPORT
Hausschweinen die Beförderung einschließlich desjenigen Beförderungsabschnit s, der
außerhalb des Unionsgebiets verläuft, den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005
entsprechen muss.
30 Nach Auffassung der litauischen Regierung bestehen keine Zweifel daran, dass diese
Fragen zu bejahen sind. Dies folgt erstens aus den Bestimmungen des Unionsrechts,
die in den Rn. 20 bis 23 der vorliegenden Erklärungen angeführt werden, wonach zur
Gewährleistung des Tierschutzes eine Reihe von Verpflichtungen bestehen, und
zweitens aus der Formulierung gewisser Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005.
31 Nach Auffassung der litauischen Regierung führen sowohl eine teleologische
Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005 als auch eine Auslegung
ihres Wortlauts zu der Schlussfolgerung, dass diese Bestimmungen auch auf den
Transport von Tieren außerhalb des Unionsgebiets Anwendung finden.
[Or. 9]
32 Es ist darauf hinzuweisen, dass Rechtsvorschriften mit Rücksicht auf ihren Sinn und
Zweck auszulegen sind. Wenn nunmehr der Tierschutz lediglich beim Transport von
Tieren innerhalb des Unionsgebiets gewährleistet würde, das Wohlergehen der Tiere
aber auf dem Beförderungsabschnitt außerhalb des Unionsgebiets nicht mehr gewahrt
würde, so wäre dies mit dem wesentlichen Ziel der Verordnung Nr. 1/2005, nämlich
der Gewährleistung des Wohlergehens der Tiere beim Transport (Rn. 22 der
vorliegenden Erklärungen), nicht vereinbar. Daher ist die litauische Regierung der
Meinung, dass das Wohlergehen der transportierten Tiere
während der gesamten
Dauer des Transports gewährleistet sein muss, unabhängig davon, ob der
Tiertransport innerhalb der Union oder auf einem Beförderungsabschnit außerhalb
des Unionsgebiets stat findet. Dem ist anzufügen, dass diese Meinung auch von der
Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Kommission geteilt wird,
die festgestellt hat, dass die Gewährleistung des Tierschutzes ein Thema des
grenzüberschreitenden Handels sowohl innerhalb der Union als auch zwischen den
Mitgliedstaaten und Drittländern sei.11 Es liegt auf der Hand, dass der Tierschutz
beeinträchtigt wäre, wenn die Anforderungen der Verordnung Nr. 1/2005 im Gebiet
von Drittländern nicht erfüllt würden.
33 Hervorzuheben ist ferner, dass Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1/2005 ausdrücklich klarstel en, dass die Anforderungen dieser
Verordnung für lange Beförderungen von Hausequiden, ausgenommen registrierte
Equiden, sowie von Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen
zwischen Mitgliedstaaten sowie von und nach Drit ländern gelten.
34 Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2005 macht deutlich, dass die zuständige
Behörde am Versandort bei langen Beförderungen von Hausequiden, Hausrindern,
Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen zwischen Mitgliedstaaten sowie
von und nach Drittländern das vom Organisator vorgelegte Fahrtenbuch nur dann mit
einem Stempel versehen darf, wenn es wirklichkeitsnahe Angaben enthält und darauf
11 Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, Tierschutz
(2007), http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/factsheet_farmed03-2007_en.pdf.
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RECHTSSACHE C-424/13 - 12
schließen lässt, dass die Beförderung den Vorschriften dieser Verordnung entspricht
(Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Verordnung Nr. 1/2005*). Sind diese
Voraussetzungen nicht erfüllt, kann die zuständige Behörde vom Organisator
verlangen, die Planung der vorgesehenen langen Beförderung so zu ändern, dass die
Vorschriften der Verordnung Nr. 1/2005 eingehalten werden (Art. 14 Abs. 1 Buchst. b
der Verordnung Nr. 1/2005).
35 Es ist festzustellen, dass unter Punkt 7 in Abschnitt 1 des Fahrtenbuchs unter der
Überschrift „Planung“ angegeben ist, dass der Organisator nachweisen muss, dass
er gemäß den Vorschriften der Verordnung Nr. 1/2005 angemessene Maßnahmen
zur Gewährleistung des Wohlergehens der Tiere während der gesamten
Beförderung getroffen hat, und dass gemäß Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr.
1/2005 unter „Beförderung“
der gesamte Transportvorgang vom Versand-
zum [Or. 10] Bestimmungsort, einschließlich des Entladens, Unterbringens und
Verladens an Zwischenstationen, zu verstehen ist. Die Verordnung Nr. 1/2005
enthält keine Bestimmung, wonach sich der Versand- und der Bestimmungsort auf
Unionsgebiet befinden müssen.
36 Demzufolge geht aus der Auslegung der Formulierung „lange Beförderungen
zwischen Mitgliedstaaten sowie von und nach Drittländern“ in Art. 14 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1/2005 unter Berücksichtigung des Begriffs der „Beförderung“,
der in Rn. 35 der vorliegenden Erklärungen erörtert wurde, hervor, dass das
Wohlergehen der Tiere während des gesamten Transportvorgangs, einschließlich
des Transports in Drittländer, gewährleistet sein muss.
37 Nach alledem ist festzustellen, dass aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1/2005 folgt, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005
anzuwenden und die Namen der Ruhe- und Umladeorte für die Tiere im Fahrtenbuch
für die gesamte Beförderung, d. h. vom Versand- zum Bestimmungsort, einschließlich
des Gebiets von Drit ländern, anzugeben sind. Nur dann darf die zuständige Behörde am
Versandort das Fahrtenbuch mit einem Stempel versehen. Trifft das Gegenteil zu, kann
die zuständige Behörde vom Organisator der Beförderung verlangen, die Planung der
vorgesehenen langen Beförderung so zu ändern, dass die Vorschriften der Verordnung
eingehalten werden.
38 Andernfal s würde dadurch nicht nur das Erfordernis der Gewährleistung des
„Wohlergehens der Tiere“ außerhalb der Unionsgrenzen missachtet, es würden auch
Tiere im Binnenmarkt der Union zugelassen, die unter Verletzung wesentlicher
Erfordernisse des Tierschutzes in die Union eingeführt wurden.
39 Darum schlägt die litauische Regierung vor, die Fragen des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs dahin zu beantworten, dass bei langen Beförderungen
* – AdÜ: Wörtlich spricht die litauische Fassung dieses Artikels von „langen Beförderungen
zwischen Mitgliedstaaten und in Drittländer“ und lautet weiter: „wenn das vom Organisator
vorgelegte Fahrtenbuch wirklichkeitsnahe Angaben enthält und den Vorschriften dieser
Verordnung entspricht“.
10
ZUCHTVIEH-EXPORT
von Hausequiden, Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen
zwischen Mitgliedstaaten sowie von und nach Drittländern die Beförderung
einschließlich desjenigen Beförderungsabschnitts, der außerhalb des
Unionsgebiets verläuft, den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2005
entsprechen muss.
IV – Beantwortung der Fragen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
40 Nach alledem schlägt die litauische Regierung vor, auf die erste Frage des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wie folgt zu antworten:
Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 ist dahin auszulegen, dass die
zuständige Behörde am Versandort bei langen Beförderungen von Hausequiden,
Hausrindern, Hausschafen, Hausziegen und Hausschweinen, bei denen der
Versandort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, der Bestimmungsort
aber in einem Drittland liegt,
[Or. 11] das vom Organisator vorgelegte
Fahrtenbuch nur dann gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung mit einem
Stempel versehen darf, wenn das Fahrtenbuch die in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a
Ziff. ii der Verordnung Nr. 1/2005 gestellten Anforderungen für die gesamte
Beförderungsstrecke vom Versandort bis zum Bestimmungsort, also auch für
vollständig außerhalb des Gemeinschaftsgebiets der Europäischen Union gelegene
Beförderungsabschnitte, erfüllt.
41 Die litauische Regierung schlägt vor, auf die zweite Frage des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs wie folgt zu antworten:
Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 ist dahin auszulegen, dass die
nach dieser Vorschrift zuständige Behörde am Versandort gemäß Art. 14 Abs. 1
Buchst. b der Verordnung Nr. 1/2005 den Organisator des Transports verpflichten
darf, die Planung der vorgesehenen langen Beförderung so zu ändern, dass die
Vorschriften dieser Verordnung für die gesamte Beförderung vom Versand- bis
zum Bestimmungsort eingehalten werden, auch wenn einzelne
Beförderungsabschnitte ausschließlich in Drittländern liegen.
Deividas Kriaučiūnas
Vaida Čepaitė
Generaldirektor der Abteilung
Juristin in der Abteilung
Europarecht
Europarecht
Vertreter der litauischen Regierung
Vilnius, 8. November 2013
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