Landgericht Berlin
Beschluss
Geschäftsnummer: 16 O 546/15
08.05.2017
In dem Rechtsstreit
der VG Media Gesellschaft zur Verwertung der Urheber-
und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen mbH
▪▪▪,
Klägerin,
- Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ▪▪▪,-
g e g e n
die Google Inc.,
▪▪▪,
Beklagte,
- Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ▪▪▪,-
hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin am 08.05.2017 durch den Vorsitzenden Richter am
Landgericht ▪▪▪, den Richter am Landgericht ▪▪▪ und die Richterin am Landgericht ▪▪▪ beschlossen:
I. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 1 Nr. 5 und 11
der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998
über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Stellt eine nationale Regelung, die es ausschließlich gewerblichen Betreibern von
Suchmaschinen und gewerblichen Anbietern von Diensten, die Inhalte aufbereiten, nicht
aber sonstigen - auch gewerblichen - Nutzern verbietet, Presseerzeugnisse oder Teile
hiervon (ausgenommen einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte) öffentlich
zugänglich zu machen, nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem
Gebiet der Normen und technischen Vorschriften eine Regelung dar, die nicht speziell
auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielt,
und, falls dies nicht der Fall ist,
2. stellt eine nationale Regelung, die es ausschließlich gewerblichen Betreibern von
Suchmaschinen und gewerblichen Anbietern von Diensten, die Inhalte aufbereiten, nicht
aber sonstigen – auch gewerblichen - Nutzern verbietet, Presseerzeugnisse oder Teile
hiervon (ausgenommen einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte) öffentlich
zugänglich zu machen, eine technische Vorschrift im Sinne des Art. 1 Nr. 11 der
Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998
über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen
Vorschriften, nämlich eine verbindliche Vorschrift dar, die die Erbringung eines Dienstes
betrifft.
Gründe
I.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die die in § 87 f UrhG normierten Rechte
Leistungsschutzberechtigter an digitalen verlegerischen Angeboten gegenüber Verwertern
wahrnimmt.
Am 01. August 2013 trat in Deutschland das in §§ 87 f bis 87 h UrhG geregelte sog.
Leistungsschutzrecht für Presseverleger in Kraft. Der Gesetzesentwurf durchlief kein
Notifizierungsverfahren gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und
technischen Vorschriften.
Die nationalen Vorschriften lauten im hier interessierenden Umfang wie folgt:
§ 87 f Abs. 1 UrhG
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(1) Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das
Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es
sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das
Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens
als Hersteller.
§ 87 g Abs. 4 UrhG
(4) Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon,
soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von
Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils
1 Abschnitt 6 entsprechend.
Die Klägerin schließt vor diesem Hintergrund mit den Berechtigten den “Wahrnehmungsvertrag
Fernsehen, Hörfunk, Verleger” ab, in dem ihr die Berechtigten die ihnen gegenwärtig zustehenden
und während der Vertragsdauer noch zufallenden Rechte und Ansprüche an von ihnen
hergestellten Presseerzeugnissen im Sinne von § 87 f Abs. 2 UrhG (Online, nicht Print) zur
ausschließlichen Wahrnehmung einräumen. Betroffen sind wahlweise das Recht zur öffentlichen
Zugänglichmachung von Teilen von Presseerzeugnissen durch gewerbliche Suchmaschinen (§§
87 f Abs. 1, 87 g Abs. 4 S. 1 1. Alt. UrhG) und / oder das Recht zur öffentlichen
Zugänglichmachung von Teilen von Presseerzeugnissen durch Dienste, die Inhalte entsprechend
aufbereiten (§§ 87 f Abs. 1, 87 g Abs. 4 S. 1 2. Alt. UrhG).
Die Beklagte betreibt unter den Domains www.google.de und www.google.com die bekannte
Suchmaschine zum Auffinden von Internetseiten (Google Suche). Nach Eingabe des Suchwortes
und Auslösung der Suchfunktion erscheint u.a. ein kurzer Text oder Textausschnitt (Snippet) mit
einem Vorschaubild, der es dem Nutzer ermöglichen soll, die Relevanz der angezeigten
Internetseite für sein konkretes Informationsbedürfnis abzuschätzen. Es handelt sich um eine
Wortkombination aus der angezeigten Internetseite, die aus einigen Worten im Zusammenhang
mit dem Suchwort gebildet wird.
Die Suchmaschine enthält außerdem ein Menu, mit dessen Hilfe der Nutzer weitere spezialisierte
Suchdienste aufrufen kann, so die Google Bildersuche, Google Videosuche und Google
Nachrichtensuche (“News” im Menu).
Daneben betreibt die Beklagte den in Deutschland unter news.google.de oder news.google.com
gesondert abrufbaren Dienst Google News, in dem sie in der Art eines Magazins Nachrichten aus
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einem beschränkten Kreis von Nachrichtenquel en anzeigt. Hier besteht der sog. “Snippet” aus
einer Kurzzusammenfassung der Website, vielfach unter Verwendung der einleitenden Sätze.
Die Beklagte vermittelt über ihre Dienste AdWord und AdSense kostenpflichtig Werbeanzeigen
Dritter auf eigenen und auf Internetseiten Dritter.
Mit der Klage wendet sich die Klägerin dagegen, dass die Beklagte in der Vergangenheit Textteile
(Snippets) und Bilder aus den Angeboten der Mitglieder der Klägerin für ihre eigenen Dienste
nutzte, ohne dafür ein Entgelt zu entrichten. Sie nimmt sie deswegen auf Feststellung der
Schadenersatzpflicht wegen der Nutzung von Textausschnitten, Bildern und Bewegtbildern für die
Anzeige von Suchergebnissen und Nachrichtenüberblicke seit dem 01. August 2013 in Anspruch.
Außerdem verlangt sie Auskunft und Schadenersatz.
II.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, inwieweit die §§ 87 f bis 87 g UrhG
anwendbar sind
, da die Klage nach Ansicht der Kammer zumindest teilweise begründet ist. Nach
der Rechtsprechung des EuGH dürfen Vorschriften, die unter Verstoß gegen die Vorlage-
(Notifizierungs-)Pflicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und
technischen Vorschriften zustande gekommen sind, dem Einzelnen nicht entgegengehalten
werden. Sie sind unanwendbar (EuGH, Urteil vom 30.04.1996 – C – 194/94 - CIA Security
International/Signalson - = EuZW 1996, 379 Rdnr. 54 = NJW 1997, 1062).
Es stellt sich daher die Frage, ob die genannten nationalen Vorschriften eine technische Vorschrift
im Sinne des Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen
Vorschriften darstellen. Nach Art. 1 Nr. 11 der genannten Richtlinie umfasst der Begriff der
“technischen Vorschrift” auch Vorschriften betreffend Dienste. Eine “Vorschrift betreffend Dienste”
wird in Art. 1 Nr. 5 der genannten Richtlinie beschrieben als “eine allgemein gehaltene Vorschrift
über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über deren
Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den
Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser
Nummer definierten Dienste abzielt.” Der in Bezug genommene Art. 1 Nr. 2 der genannten
Richtlinie definiert den “Dienst” als eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in
der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers
erbrachte Dienstleistung”.
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Nach Ansicht der Kammer erfüllt die in Rede stehende nationale Vorschrift diese
Voraussetzungen.
§ 87 f UrhG weist dem Hersteller eines Presseerzeugnisses das ausschließliche Recht zu, das
Presseerzeugnis oder Teile davon (ausgenommen einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte)
öffentlich zugänglich zu machen. § 87 Abs. 4 UrhG erklärt die öffentliche Zugänglichmachung von
Presseerzeugnissen oder Teilen davon für zulässig, wenn sie nicht durch gewerbliche Anbieter
von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend
aufbereiten. Daraus folgt, dass eine öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder
Teilen davon nur dann unzulässig ist, wenn sie durch einen gewerblichen Anbieter von
Suchmaschinen oder einen gewerblichen Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend
aufbereiten, erbracht wird, jedoch zulässig bleibt, wenn sie durch andere Nutzer einschließlich
anderer
gewerblicher
Nutzer
vorgenommen
wird.
Das
Gesetz
billigt
dem
Leistungsschutzberechtigten ein Verbietungsrecht nur gegenüber gewerblichen Anbietern von
Suchmaschinen oder Anbietern von Diensten zu, die Inhalte entsprechend aufbereiten, während
es bei der öffentlichen Zugänglichmachung durch andere, auch gewerbliche, Nutzer nicht besteht.
Anbieter von Suchmaschinen erbringen eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft im Sinne
des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli
1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften.
Sie erbringen diese Dienstleistung im Fernabsatz, nämlich ohne gleichzeitige physische
Anwesenheit der Vertragspartner, auf elektronischem Weg und auf individuellen Abruf eines
Empfängers, der nach Eingabe eines Suchbegriffs die Suche auslöst. Gleichwohl stellt § 87 g Abs.
4 UrhG in Verbindung mit § 87 f Abs. 1 UrhG nur dann eine “Vorschrift betreffend Dienste” im
Sinne des Art. 1 Nr. 5 der genannten Richtlinie dar, wenn es sich um eine Regelung über die
Betreibung der unter Nummer 2 genannten Dienste handelt, insbesondere eine Regelung über den
Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten. Regelungen, die nicht
speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen, sind ausdrücklich
ausgenommen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es daher darauf an, ob § 87 g Abs.
4 UrhG in Verbindung mit § 87 f Abs. 1 UrhG eine allgemein gehaltene Vorschrift über die
Betreibung eines Dienstes im Sinne des Art. 1 Nr. 5 darstellt. Da nur Anbieter von Suchmaschinen
und Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten, zu den Adressaten der
nationalen Norm zählen, handelt es sich nach Ansicht der Kammer um eine allgemeine Regelung
über die Erbringung von Diensten und nicht um eine Bestimmung, die sich nur reflexhaft auf die
Erbringung von Diensten auswirkt. Ist die Richtlinie in diesem Sinne, nämlich dahin auszulegen,
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dass es für Einordnung der nationalen Vorschrift als eine allgemeine Vorschrift betreffend Dienste
auf den Normadressaten der nationalen Vorschrift ankommt, hätte dies zur Folge, dass der
Gesetzesentwurf gemäß Art. 8 Abs. 1 der genannten Richtlinie einer Notifizierung bedurft hätte
und die Norm, nachdem sie kein Notifizierungsverfahren durchlaufen hat, vom nationalen Gericht
nicht angewendet werden darf.
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